Red Hulk Smash!
Von Julius VietzenDer Begriff „Reshoots“, also „Nachdrehs“, hat sich in den vergangenen Jahren zu einem DER Trigger-Wörter schlechthin für Filmfans im Internet entwickelt: Kaum ein anderes Wort versetzt die Leute so sehr Aufregung und drückt einem Film schon vor Veröffentlichung so sehr seinen Stempel auf. Und das meist unabhängig davon, dass „additional photography“, so der etwas neutralere englischsprachige Fachbegriff, eigentlich bei so gut wie jedem Film einer gewissen Größenordnung dazugehört. Das ist von Anfang an mit eingeplant, um kleinere und größere Probleme auszubügeln, die sich mitunter eben erst beim Schnitt des Films offenbaren.
Auch „Captain America: Brave New World“ gehört zu jenen Projekten, bei denen gefühlt im Wochentakt von neuen Nachdrehs zu hören und zu lesen war. Wie viel davon tatsächlich stimmt und wie stark Marvel das Solofilmdebüt von Anthony Mackie als Captain America wirklich noch einmal überarbeitet und umgestellt hat, werden wir womöglich nie mit letzter Sicherheit erfahren. Fest steht aber, dass die ganze Aufregung in Fankreisen vorab weitestgehend unnötig war. Denn „Captain America: Brave New World“ ist kleineren Schwächen zum Trotz ein ziemlich rundes Gesamtpaket geworden.
Bei einem Einsatz in Mexiko rettet Captain America (Anthony Mackie) nicht nur einige Geiseln aus der Gewalt des skrupellosen Söldners Sidewinder (Giancarlo Esposito) und seiner Serpent Society, sondern stellt auch eine Ladung Adamantium sicher. Dabei handelt es sich um ein noch stärkeres Metall als Vibranium, das dem gigantischen Celestial entnommen wurde, der im Film „Eternals“ aus dem Indischen Ozean geschlüpft ist. Zum Dank wird Cap gemeinsam mit seinem Mitstreiter Joaquin Torres (gibt nach „The Falcon And The Winter Soldier“ ein sympathisches MCU-Spielfilmdebüt: Danny Ramirez) zu einer Veranstaltung im Weißen Haus eingeladen, bei der ein Vertrag über die gemeinsame internationale Nutzung von Adamantium auf den Weg gebracht werden soll.
Doch einige Teilnehmende an der Veranstaltung versuchen, den US-Präsidenten Thaddeus Ross (Harrison Ford) zu ermorden. Darunter auch der jahrelang von der US-Regierung eingesperrte Supersoldat Isaiah Bradley (Carl Lumbly), den Sam bei dem Event unbedingt an seiner Seite haben wollte. Obwohl die Attentäter bei ihrer Tat offenbar unter Gedankenkontrolle standen, droht Bradley nun die Todesstrafe. Aber das will Captain America um jeden Preis verhindern und stellt gemeinsam mit Torres Nachforschungen an. Ebenso wie Ross' Sicherheitsberaterin Ruth Bat-Seraph (Shira Haas) findet das Duo heraus, dass eine gefährliche Macht im Hintergrund die Fäden zu ziehen scheint...
35 Filme und 14 Serien (teils mit mehreren Staffeln) umfasst das Marvel Cinematic Universe (MCU) inzwischen. Und auch wenn die (Marketing-)Verantwortlichen jedes Mal wieder betonen, dass man keineswegs alle vorherigen Titel gesehen haben müsse: Eine gewisse Historie (oder einen gewissen erzählerischen Ballast) trägt das MCU mittlerweile natürlich mit sich herum. In „Brave New World“ zeigt sich das vor allem bei dem ziemlich ungelenken Auftakt, in dem eine Nachrichtensendung erst mal kurz die Handlung von wichtigen Vorgängern wie „Der unglaubliche Hulk“, „Eternals“ und „The Falcon And The Winter Soldier“ zusammenfasst.
Zugleich wird in unnatürlich klingenden Dialogen auch noch die Neubesetzung der Figur Thaddeus Ross, die ursprünglich vom 2022 verstorbenen William Hurt gespielt wurde, mit erklärt. In anderen Momenten, etwa bei einem ebenso gelungenen wie stimmigen MCU-Cameo im späteren Verlauf des Films oder der von Fans seit langem geforderten Aufarbeitung der Ereignisse aus „Eternals“, erweist sich die Einbindung in die 17 Jahre umspannende MCU-Geschichte hingegen eher als Vorteil. Regisseur Julius Onah („The Cloverfield Paradox“) kann hier aus der Einbettung in das große Ganze doch einiges Kapital schlagen – und spätestens bei den ersten Actionszenen ist der holprige Auftakt dann sowieso größtenteils schon wieder vergessen.
In „Brave New World“ geht es zentral darum, dass Sam Wilson noch immer mit seiner Rolle als Captain America ringt. Schließlich muss er als Superheld ohne Superkräfte in einer Welt voller übermächtiger Bedrohungen in die sehr großen Fußstapfen von Steve Rogers treten. Diesen thematischen Schwerpunkt greift das insgesamt fünf Autoren umfassende Drehbuchteam jedoch nicht nur in einigen stark geschriebenen Monologen und Dialogen, sondern eben auch in den Actionszenen auf. So muss Cap seine Widersacher alleine mit Kampfgeschick und Willenskraft überwinden und dabei immer wieder auch ordentlich einstecken.
Oft kommt dabei zwar der ikonische Captain-America-Schild zum Einsatz, vor allem aber ringen Sam Wilson, Joaquin Torres oder auch die Ex-Black-Widow Ruth Bat-Seraph ihre Gegner in einer Reihe von gut choreografierten Nahkämpfen mit allen erdenklichen Martial-Arts-Mitteln nieder. Das ist doch sehr ansehnlich, selbst wenn in dieser Hinsicht das Niveau des MCU-Vorgängers „Shang-Chi And The Legend Of The Ten Rings“ nicht ganz erreicht wird.
Auch ein Duell zwischen Sam Wilson und Sidewinder erweist sich als gelungen, weil es in seiner Intensität an die Highway-Actionszene aus „The Return Of The First Avenger“ erinnert – sowieso war der zweite „Captain America“-Teil mit seinen Polit-Thriller-Anleihen ein deutliches Vorbild für „Brave New World“. Ein packender Luftkampf, bei dem Cap und Torres am Himmel über der Celestial-Statue einige Kampfjets ausschalten müssen, entpuppt sich nach knapp zwei Dritteln sogar als Höhepunkt des Films. Nicht nur ist die Action gut, zusätzliche Spannung kommt auch auf, weil Thaddeus Ross immer mehr droht, sich in den ikonischen Red Hulk zu verwandeln.
Sowieso erweist sich die Besetzung von Harrison Ford als eine der Stärken von „Captain America 4“: Ford knüpft einerseits erkennbar an die Performance seines verstorbenen Kollegen William Hurt an, gewinnt der in bereits fünf MCU-Filmen präsenten Figur aber auch eigene, erstaunlich emotionale Facetten ab. Wenn sich der US-Präsident aller globalen Krisen zum Trotz vor allem wünscht, dass seine Tochter Betty (Liv Tyler gibt 17 Jahre nach „Der unglaubliche Hulk“ ihr MCU-Comeback) wieder mit ihm spricht, genügen Ford einige wenige Szenen, um das glaubhaft herüberzubringen.
So erhält dann auch das unvermeidliche, bereits in den Trailern angedeutete Duell zwischen Cap und Red Hulk eine etwas andere Note, die über den reinen Blockbuster-Krawall hinausgeht. Und auch die beiden anderen Antagonisten von „Brave New World“ gehören definitiv zu den besseren Marvel-Bösewichten der jüngeren MCU-Historie. So spielt „Breaking Bad“-Baddy Giancarlo Esposito in seinen wenigen Szenen wie gewohnt seinen diabolischen Charme aus, während der dritte Bösewicht im Bunde (dazu nur so viel: ein weiterer MCU-Rückkehrer) genug Hintergrundgeschichte bekommt, um ihn von den austauschbaren Schurken der Vergangenheit abzuheben.
Nicht so richtig gelingen will es hingegen, „Captain America 4“ deutlich vom restlichen MCU abzuheben und ihm somit eine eigene Identität zu verpassen. Vieles hat man so oder so ähnlich schon im Avengers-Universum gesehen – und teilweise auch schon besser: Sei es die Captain-America-Problematik („The Falcon And The Winter Soldier“), die Martial-Arts-Action („Shang-Chi“), die Polit-Thriller-Anleihen („Captain America 2“) oder das Hulk-Duell, dessen größte Besonderheit bei „Brave New World“ darin liegt, dass der Wüterich hier eben rot statt grün ist.
So kommt durchaus immer mal wieder das Gefühl auf, dass „Captain America 4“ einfach „nur“ ein weiterer MCU-Film ist, dem ein Stück weit der Event-Charakter etwa von „Avengers: Endgame“, „Deadpool & Wolverine“ oder auch dem kommenden „The Fantastic Four: First Steps“ abgeht. Wer sich daran nicht stört, bekommt mit „Brave New World“ aber mehr als solide Marvel-Unterhaltung geboten.
Fazit: Actionszenen, Figuren, Handlung und Thematik greifen bei „Captain America: Brave New World“ stimmig ineinander. Insgesamt wagt sich Regisseur Julius Onah aber zu selten auf inhaltliches, erzählerisches oder inszenatorisches Neuland.