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    Spirited
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Spirited

    Will Ferrell und Ryan Reynolds haben mehr Spaß als das Publikum

    Von Christoph Petersen

    Ryan Reynolds ist nicht nur ein Hollywoodstar, sondern auch ein Meister der (Selbst-)Vermarktung. Wie er vor zwei Jahren den in den sozialen Medien in der Luft zerrissenen Werbespot für ein Peloton-Trainingsrad ausgenutzt hat, um den viralen Schwung der berühmt-berüchtigten Peloton Wife in Richtung seiner Alkohol-Marke Aviation American Gin umzuleiten, ist als genialer Geistesblitz in die Advertising-Geschichte eingegangen. Kein Wunder also, dass er nach Netflix (Dwayne Johnson, Gal Gadot und er bekamen jeweils 20 Millionen für „Red Notice“) nun auch bei Apple TV+ mächtig abgesahnt hat: Sein Co-Star Will Ferrell und er wurden für das Weihnachts-Musical „Spirited“ jeweils mit einer Traumgage von ebenfalls 20 Millionen Dollar pro Kopf kompensiert. Die Goldgräberstimmung im Streaming-Sektor ist also doch noch nicht ganz vorüber …

    … und es passt zudem wie die Faust aufs Auge, dass Reynolds in dem Apple TV+ Original nun ebenfalls ein Marketing-Genie verkörpert, wenn diesmal auch ein teuflisches. So ist es vor allem an Will Ferrell, in seinem altbekannten, gutherzig-naiven Manchild-Modus für wohlige Festtagsstimmung zu sorgen – wenn auch immer wieder unterbrochen von kruden (Meta-)Gags, die sowohl die Idee eines Weihnachtsfilms als auch die eines Feel-Good-Musicals bewusst konterkarieren. Die Idee liegt da nicht allzu fern, dass „Daddy’s Home“-Regisseur Sean Anders und sein Co-Autor John Morris sich Charles Dickens „Eine Weihnachtsgeschichte“ vor allem deshalb als Vorlage für „Spirited“ ausgesucht haben, weil sich mit dem Nachnamen „Dickens“ gute „Dick“-Jokes (= „Penis“) formen lassen. Wie viel Spaß man damit am Ende hat, hängt wohl vor allem davon ab, wie sehr man sich von der (Spiel-)Freude der beiden Hauptdarsteller mitreißen lässt.

    Ryan Reynolds und Will Ferrell sind jetzt vielleicht nicht die größten Musical-Experten – aber sie haben ansteckend viel Spaß bei der Sache.

    Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht (Will Ferrell) hat es mit der Hilfe seiner Kolleg*innen, dem Geist der vergangenen Weihnacht (Sunita Mani) sowie dem Geist der zukünftigen Weihnacht (Stimme im Original: Tracy Morgan), mal wieder geschafft: Die griesgrämige Karen Blansky (Rose Byrne) wurde in der Weihnachtsnacht per Crashkurs zu einem besseren Menschen geformt – und mit ein wenig Glück werden ihr zukünftigen guten Taten genügend Wellen schlagen, um die Welt als Ganzes ein kleines Stück besser zu machen.

    Aber nach Weihnachten ist vor Weihnachten – und so steht direkt die Auswahl fürs nächste Jahr ins Haus: Gesucht wird jemand, bei dem eine Bekehrung die größtmögliche positive Auswirkung für die Zukunft hätte. Die Entscheidung fällt schließlich auf den Werbeexperten Clint Briggs (Ryan Reynolds), dessen Marketing-Firma nach dem Grundsatz „Füttere den Hass“ operiert und direkt einen erbitterten Kulturkampf anzettelt, nur um ein paar Weihnachtsbäume mehr zu verkaufen. Allerdings gilt Clint als absolut unbelehrbar – kein Wunder. Schließlich setzt er sogar seine beste Mitarbeiterin Kimberly (Octavia Spencer) darauf an, den Gegenkandidaten seiner die achte Klasse besuchenden Nichte Wren (Marlow Barkley) bei der Schulsprecherwahl mit allen denkbaren Mitteln zu zerstören…

    Wie in einer (vor-)weihnachtlichen Karaoke-Bar

    „Spirited“ ist das Musical-Debüt von Ryan Reynolds – und wegen seiner Gesangskünste hat er den Job sicherlich nicht bekommen. Womöglich hat der „Free Guy“-Star den Job überhaupt nur angenommen, um seinem musicalerprobten „Erzfeind“ Hugh „The Greatest Showman“ Jackman in einer seit Jahren andauernden und nun in einer Zusammenarbeit bei „Deadpool 3“ kulminierenden Marketing-Fehde einen auszuwischen. Aber wie dem auch sei: Die für das Fortschreiten des Plots eigentlich gar nicht nötigen, aber die Spielzeit auf mehr als zwei Stunden aufpumpenden Musical-Sequenzen in „Spirited“ wirken ohnehin wie Karaoke-Sessions von Multimillionären, die es sich ganz einfach leisten können, in jeder Situation Unsummen für Backgroundtänzer*innen und Kitsch-Kulissen rauszuhauen. Da passt das Bemühte-Laien-Niveau von Reynolds und Ferrell eigentlich perfekt.

    Dass die von Rose Byrne verkörperte und alle immer anzeigende Horror-Nachbarin in der Eröffnungssequenz „Karen“ mit Vornamen heißt, ist natürlich kein Zufall, sondern eine Anspielung auf das populäre Karen-Meme. Wenig später fragt sich einer der Hilfs-Geister, ob es eigentlich jemanden gibt, der dafür da ist, nach dem Tod seine (vermutlich nicht jugendfreie) Search History zu löschen. Auch wenn der Dickens-Plot eigentlich ganz darauf ausgerichtet ist, die wahre Bedeutung von Weihnachten zu erkennen, wird man durch solche Gags (wahrscheinlich durchaus gewollt) immer wieder aus der zwischenzeitig aufkeimenden Festtagsstimmung herausgerissen. Das geht hin bis zu einer wahrhaft absurden Gaga-Nummer, bei dem uns der singende Will Ferrell weismachen will, dass im London des 19. Jahrhunderts der Gruß „Good Afternoon“ in etwa dasselbe bedeutete wie heutzutage ein gepflegtes „Fuck You“.

    Wenn es sein muss, geht der Geist der gegenwärtigen Weihnacht (Will Ferrell) notfalls auch auf Tuchfühlung mit seiner Zielperson…

    Wenn der Geist der gegenwärtigen Weihnacht mal wieder zu einem Song einsetzt, versucht sein Vorgesetzter Marley (Patrick Page) sofort, ihn davon abzuhalten – und auf die Nachfrage, warum denn eigentlich andauernd gesungen wird, gibt es als Antwort die Feststellung, dass nun mal das komplette Jenseits ein einziges Musical sei. „Spirited“ ist in dieser Hinsicht ein merkwürdiges Zwitter-Wesen, wenn Ferrell und Reynolds bei den Weihnachts-Hymnen sichtlich alles geben, Regisseur Sean Anders aber im selben Moment ein Netz und doppelten Boden einspannt, weil er immer wieder die vierte Wand durchbricht.

    Zum Problem wird das allerdings erst im finalen Drittel, wenn das Publikum zum einen beginnt, die ausufernde Spielzeit zu spüren, und zum anderen echte Emotionen nötigen werden, um Clint auf der Zielgeraden doch noch auf den rechten Pfad der Tugend zurückzuführen. Da muss dann schon der Selbstmord eines Achtklässlers herhalten, um den Film wieder in die Spur zu bringen – und das wirkt dann, ein Zeichen gegen Online-Bullying hin oder her, doch ziemlich verzweifelt. Klar, es ist seit einigen Jahren die Erfolgsmasche von Ryan Reynolds, egal was er macht – aber das augenzwinkernde Über-allem-stehen verhindert, dass bei „Spirited“ nachhaltige Weihnachtsstimmung aufkommt.

    Fazit: Regisseur Sean Anders und sein Co-Autor John Morris schmeißen in ihrer modernisierten Musical-Version von Charles Dickens „Eine Weihnachtsgeschichte“ alle möglichen Elemente und Tonalität wild durcheinander – zum Glück hält die pure Spielfreude von Will Ferrell und Ryan Reynolds das alles gerade noch so zusammen.

     

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