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    Hatching
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Hatching

    Das wahrscheinlich größte Überraschungs-Ei der Welt

    Von Christoph Petersen

    Es gab in diesem Jahr wohl keinen zweiten Film auf dem renommierten Festival in Sundance, der bereits vor seiner Weltpremiere so neugierig gemacht hat wie ein finnischer Beitrag in der auf Horrorstoffe spezialisierten Midnight-Sektion – und das lag vor allem an einem einzelnen, sehr geschickt ausgewählten Szenenbild: Darauf sieht man ein blondes Mädchen, das sich in ihrem Bett über ein riesiges (Vogel-)Ei beugt, das scheinbar aus ihrem zerstörten rosafarbenen Plüschteddy herausgeplatzt ist wie einst der Chestburster aus John Hurt in „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“.

    Wo kommt das Ei her? Und noch viel wichtiger: Was wird aus ihm herausschlüpfen? In ihrem passend betitelten Langfilmdebüt „Hatching“ präsentiert die finnische Regisseurin Hanna Bergholm das immer weiter anwachsende Ei als – im Wechsel zärtliche, ekelhafte und blutige - Metapher für all die Imperfektionen, die mit dem Erwachsenwerden nun mal einhergehen. Das Ergebnis ist ein satirisch angehauchter Horrorfilm, der sich mit der aufgesetzten Weißer-Gartenzaun-Perfektion in Social-Media-Zeiten zwar ein sehr leichtes Ziel für seine gesellschaftskritischen Seitenhiebe sucht, aber mit dunkelschwarzem Humor und einem überraschenden „Monster“ trotzdem ziemlich gut unterhält.

    Wenn man das Szenenbild sieht, dann will man doch auch wissen, was nun in dem Ei drin ist. Oder nicht?

    Die zwölfjährige Tinja (Siiri Solalinna) ist es gewohnt, perfekt zu sein. Schließlich betreibt ihre Mutter (Sophia Heikkilä) einen Video-Blog, auf dem sie zwar behauptet, den „ganz normalen Alltag einer Familie in Finnland“ zu zeigen, aber in Wahrheit ist natürlich jedes Detail auf den Eindruck von „Perfektion“ hin getrimmt – angefangen beim Haus selbst, in dem wirklich jeder einzelne Winkel dermaßen schick hergerichtet ist, dass man ihn ohne jeden weiteren Handgriff direkt für einen Einrichtungskatalog fotografieren könnte.

    Für Tinja steht als nächstes ein Turnturnier auf dem Programm – und natürlich erwartet ihre Mutter, dass ihre Tochter als Siegerin aus dem Wettbewerb hervorgehen wird. Nur ist Reeta (Ida Määttänen), die Tochter der neuen Nachbarn, noch viel besser am Stufenbarren. Der Druck auf Tinja wächst und wächst – und damit auch das mysteriöse Ei unbekannter Herkunft, das die Schülerin eines Abends plötzlich in ihrem Bett entdeckt...

    Selbst wenn alles auf Pefektion getrimmt ist, bricht sich das Abgründige und Hässliche doch irgendwann Bahn...

    Filme, die den ganzen Schmutz hinter der hochglänzenden Fake-Fassade von Social-Media-Profilen freilegen, gibt es inzwischen fast so viele wie Mode-Influencer*innen auf Instagram & Co. „Hatching“ kann diesen inhaltlich zwar nicht wirklich etwas Neues hinzufügen, aber zumindest fühlt sich die Weise, auf welche der Film die bekannte Geschichte erzählt, erfreulich frisch an. Zum einen ist die namenlos bleibende Mutter nicht etwa geradeheraus böse – selbst wenn die Handy-Kameras nicht laufen, versucht sie sich um ihre Tochter zu kümmern, ohne dabei erkennen zu können, was diese wirklich bräuchte. Das macht den Konflikt schon mal weniger klischeehaft, zumal es einige wunderbar trockenhumorige Momente gibt, wenn etwa der Vater (Jani Volanen) nach einem blutigen Fund im Bett der Tochter lieber nichts sagt, um sich so vor dem Gespräch über ihre erste Menstruation zu drücken.

    Zum anderen landen Hanna Bergholm und ihre Mitstreiter*innen mit dem, was da – überraschend früh im Film – aus dem Ei schlüpft, eben auch einen echten Volltreffer. Wir werden hier einen Teufel tun und die Details spoilern – aber der Animatronik-Designer Gustav Hoegen („Ex Machina“, „Jurassic World 2: Das gefallene Königreich“) sowie der Spezial-Make-up-Künstler Conor O'Sullivan (oscarnominiert für „Der Soldat James Ryan“ und „The Dark Knight“) haben hier wirklich ganze Arbeit geleistet. Die sich ständig wandelnde Kreatur ist erschreckend und zugleich auf ziemlich abgefuckte Weise auch irgendwie niedlich – und sie sorgt für eine ganze Reihe wahrhaft-garstiger Szenen, die in der blumigen Puppenhaus-Einrichtung der Alles-ist-perfekt-Familie natürlich gleich doppelt so boshaft wirken...

    Fazit: Ja, die Allegorie für die unperfekten, manchmal sogar ganz schön schmutzigen Seiten des Erwachsenwerdens ist mitunter etwas überdeutlich. Aber das, was da dann aus dem Ei schlüpft, ist einfach zu überzeugend, um an diesem mitunter ganz schön ekligen und schwarzhumorigen Coming-of-Age-Body-Horror nicht seine Freude zu haben.

    Wir haben „Hatched“ im Rahmen der Fantasy Filmfest Nights 2022 gesehen, wo der Film seine Deutschlandpremiere gefeiert hat.

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