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    Die Frau im Nebel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Frau im Nebel

    Chan-Wook Park kann auch anders

    Von Christoph Petersen

    Chan-Wook Park hat mit seinen Meisterwerken wie „Sympathy For Mr. Vengeance“ und „Oldboy“ nicht nur maßgeblich dazu beigetragen, dass südkoreanische Filme speziell in den Jahren nach dem Millenniumswechsel bei vielen Kinofans als die aufregendsten und innovativsten Produktionen des Planeten galten. Zugleich waren seine Thriller auch dermaßen harte Bretter, dass das südkoreanische Kino dieser Zeit schnell den Ruf weghatte, besonders brutal und gnadenlos zu sein. Gerade bei „Oldboy“ muss man da wohl nur die Schlagworte Oktopus, Hammer und Twist in den Ring werfen – und sofort läuft einem auch 20 Jahre später noch immer ein kalter Schauer den Rücken herunter.

    In seinem modernen Krimi-Noir „Die Frau im Nebel“ schlägt Chan-wook Park nun allerdings von ihm eher ungewohnte Töne an. Klar gibt es da noch immer eine gewisse Lust am Morbiden, etwa wenn er aus den Augen eines Toten heraus filmt, wie die Ameisen über den glasigen Augapfel krabbeln. Aber auch wenn es hier an der Oberfläche um gleich zwei clever arrangierte, 13 Monate auseinanderliegende Mord-Mysterien geht, ist das schlagende Herz des Films die von einer mitreißenden Zärtlichkeit geprägte Liebesgeschichte zwischen einem an Schlaflosigkeit leidenden Ermittler und der Frau, die er verdächtigt, ihren Ehemann ermordet zu haben.

    Seo-rae (Tang Wei) und Hae-joon (Park Hae-il) etablieren sich auf Anhieb als eines der faszinierendsten Noir-"Paare" der Filmgeschichte.

    Der Körper des passionierten Hobbykletterers ist am Boden zerschellt, nachdem er zuvor im Fall noch an drei Stellen gegen die Felsen geschlagen ist. Ein Unfall oder Selbstmord erscheinen als die wahrscheinlichsten Szenarien. Auf jeden Fall aber war der Tote extrem besitzergreifend – auf allen seinen Besitztümern sind seine Initialen eingraviert, sogar auf seiner einst aus China nach Südkorea geflüchteten Ehefrau Seo-rae (Tang Wei). Aber der hartnäckige Ermittler Hae-joon (Park Hae-il), der unter der Woche in der Metropole Busan arbeitet und nur die Wochenenden bei seiner Wissenschaftler-Ehefrau (Lee Jung-hyun) im beschaulichen Ipo verbringt, kann eh nicht schlafen …

    … und so beginnt er damit, Seo-rae nachts zu observieren. Die als Altenpflegerin arbeitende Frau dabei zu beobachten, wie sie immer nur Eis zum Abendbrot isst, hat auf den Cop eine erstaunlich entspannende Wirkung – und so schläft er in seinem Auto zum ersten Mal seit langer Zeit wieder durch. Aber auch Seo-rae scheint ein weitergehendes Interesse an Hae-joon zu haben und hilft ihm sogar dabei, einen seiner ihn wurmenden ungelösten Fälle aufzuklären. Und so stellt sich schon bald die Frage: Sind die Gefühle echt oder ist Seo-rae doch nur eine manipulative Femme fatale, die den Ermittler lediglich ausnutzt, um mit einem heimtückischen Mord davonzukommen?

    Der Moment, in dem der Film explodiert

    „Die Frau im Nebel“ beginnt als klassischer Whodunit-Krimi, den Chan-Wook Park mit so viel handwerklicher Brillanz (inklusive etlicher visueller Sperenzchen wie den Augen-Ameisen) inszeniert, dass es einen wohl gar nicht gestört hätte, wenn es die folgenden zwei Stunden einfach dabei geblieben wäre. Zumal der Regisseur zwischen seiner bedrückenden Atmosphäre doch erstaunlich viel Raum für humorvolle Einschübe findet. Aber mit dem ersten Aufeinandertreffen von Seo-rae und Hae-joon explodiert der Film regelrecht. Zwischen den beiden entspinnt sich eine gleichermaßen obsessive wie zärtliche Beziehung, die man lange Zeit überhaupt nicht einzuordnen versteht. Da tritt die Frage nach der Auflösung des Mordfalls schnell in den Hintergrund – man will vor allem wissen, wie sich dieses eben gerade nicht fiese oder abgründige, sondern trotz seiner Doppelbödigkeit zutiefst zärtliche Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden entwickelt.

    Die beeindruckend wandlungsfähige Tang Wei („Gefahr und Begierde“), die im selben Moment zutiefst verletzlich und selbstsicher verschlagen rüberkommt, revolutioniert die Rolle der sonst oft eindimensionalen Noir-Femme-fatale, ohne dabei auch nur ein kleines bisschen „retro“ oder „meta“ zu wirken. Park Hae-il („The Host“) brilliert unterdessen im Part des Detektivs, wobei er gleich mehrere Archetypen des Genres zusammenschmeißt – den schlaflosen, den hartnäckigen und den liebestollen Ermittler. Nach einem überraschenden Zeitsprung wird dann sogar noch ein zweiter vertrackter Mordfall präsentiert …

    Absolut herzzerreißend

    … aber obwohl auch das zweite Mysterium wieder eine überzeugende Auflösung parat hält, wird diese sogar von Chan-wook Park selbst nur noch halbherzig präsentiert. Stattdessen hat zu diesem Zeitpunkt längst das obsessive Melodram die Hoheit über den Film übernommen – und da fühlt man sich dann auch endgültig mehr an Douglas Sirk und Wong Kar-Wai als an Alfred Hitchcock oder Fritz Lang erinnert. Die Interaktionen zwischen Seo-rae und Hae-joon bleiben dabei allerdings so eigen und eigenartig, dass man dennoch durchweg wie bei einem gradlinigen Psycho-Thriller auf Trab gehalten wird – bis hin zum herzzerreißenden Finale, das zumindest dem Autor dieser Zeilen in seiner fast schon beiläufigen, aber dabei doch absoluten Konsequenz völlig den Boden unter den Füßen weggerissen hat...

    Fazit: Ausgerechnet das Mastermind hinter solchen knallharten Rache-Reißern wie „Sympathy For Mr. Vengeance“ und „Oldboy“ schenkt uns einen der zärtlichsten Film-noir aller Zeiten. Chan-wook Parks „Die Frau im Nebel“ ist ein meisterhaft inszeniertes, clever konstruiertes, überraschend humorvolles und trotz seiner schmerzhaften Tragik angenehm leichtfüßiges Krimi-Melodram rund um eine zutiefst romantische und absolut faszinierende Katz-und-Maus-Beziehung zwischen einem schlaflosen Ermittler und der Hauptverdächtigen in gleich zwei seiner Mordfälle.

    Wir haben „Die Frau im Nebel“ beim Filmfestial in Cannes 2022 gesehen, wo der Film als Teil des Offiziellen Wettbewerbs gezeigt und mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet wurde.

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