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    Ein Polizei-Film
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ein Polizei-Film

    Kleider machen Polizisten

    Von Janick Nolting

    Die Polizei ist zu einem roten Tuch geworden. Macht, Machtmissbrauch und Verantwortung der Gesetzeshüter sind und waren in den vergangen Jahren immer wieder Gegenstand erbitterter Debatten, nicht zuletzt im Zuge der „Black Lives Matter“-Proteste. Alonso Ruizpalacios, einer der derzeit bedeutendsten mexikanischen Regisseure, verhandelt die genannten Schlagworte in „A Cop Movie“ nun auf ungewöhnliche Weise noch einmal neu. Sein Netflix-Film findet im Alltag der mexikanischen Polizei Zermürbendes und entwickelt sich schließlich gar zu einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Medium. Am Ende bleibt kein Versatzstück auf dem anderen.

    Was zeichnet einen guten Cop aus? Ist es der Sinn für Gerechtigkeit, Mut, Opferbereitschaft oder Teamgeist? Welcher Verantwortung muss man gerecht werden, sobald man sich die Uniform überstreift? Teresa (Mónica Del Carmen) und Montoya (Raúl Briones) arbeiten bei der Polizei in Mexiko-Stadt. „A Cop Movie“ begleitet die beiden auf nahezu dokumentarische Weise durch ihren Alltag, in dem sie sich immer wieder mit den eigenen Werten auseinandersetzen müssen, die sich anscheinend in einem permanenten Konflikt mit den Regeln befinden, die ihnen höhere Instanzen aufoktroyieren…

    Spiel mit dem Publikum

    Bei den Filmen von Alonso Ruizpalacios darf man sich nie sicher sein, worauf man sich überhaupt verlassen kann. Bereits sein Langfilmdebüt „Güeros“ tauchte auf so sinnliche und unmittelbare Weise in den Trubel von Mexico City ein, dass man mitunter glaubte, einem Dokumentarfilm beizuwohnen. Sein letzter Film „Museum“ machte derweil gleich zu Beginn deutlich, dass es sich um „eine Nachbildung des Originals“ handele. Dieses Spiel aus Wirklichkeit und Fiktion treibt der Regisseur in „A Cop Movie“ auf die Spitze.

    Ruizpalacios fädelt das mit großer Raffinesse ein. Sein neues Werk beginnt als Verführung. Zu Sirenengeheul verschwimmen bunte Lichtflecken auf dem Bildschirm, der Film hypnotisiert sein Publikum regelrecht. Das Gedicht eines Polizisten, das von näherkommenden Sirenen sinniert, wird eingeblendet. „Bete, dass sie heute Nacht nicht für dich singen“, heißt es bedrohlich, bis sich das Bild öffnet und wir im Polizeiauto von Teresa sitzen, die durch die nächtlichen Straßen der Stadt fährt. Ruizpalacios kreiert bereits in diesem Prolog eine enorme Anspannung, bevor man überhaupt deren Ursache kennt.

    Der Netflix-Film "A Cop Movie" ist ein faszinierendes Spiel mit Fakt & Fiktion.

    Der Regisseur lässt die gleitende Kamera immer wieder ganz nah an die Figuren heranrücken, in anderen Szenen beobachtet man das Geschehen nur aus der Ferne, etwa durch die Windschutzscheibe, oder man wird direkt ausgesperrt und kann nur durch ein Fenster beobachten, was am Einsatzort vor sich geht. Dieses Spiel aus Nähe und Distanz verkompliziert Ruizpalacios immer weiter. Anfangs sind es nur solche visuellen Kniffe, im Zuge der folgenden fünf Kapitel durchkreuzt er auch seine Erzählung auf verstörende Weise.

    Warum geht man zur Polizei?

    „A Cop Movie“ betreibt eine Innenschau seiner beiden Hauptfiguren. Teresa und Montoya sprechen wiederkehrend direkt in die Kamera und erzählen von ihren Motivationen, ein Cop zu werden. Schon nach wenigen Minuten kann man jedoch kaum noch unterscheiden, ob es sich hier um Schauspieler*innen handelt, die real Erlebtes nachspielen oder sich fiktive Geschichten aneignen. Später erfährt man, wie berechtigt diese Zweifel sind und dass sich solche Trennlinien gar nicht mehr ziehen lassen. Im einen Moment wähnt man sich in einem Thriller, im nächsten treten Figuren aus der Fiktion heraus, sie scheinen sich sogar unsichtbar machen zu können, um die Perspektive wieder auf andere Ereignisse zu lenken.

    „A Cop Movie“ hätte so leicht zu einer Kopfgeburt werden können. Umso erstaunlicher ist, wie klar Ruizpalacios Vision im Laufe der hundert Minuten wird. Sein Film erzählt auf wunderbar unzuverlässige Weise davon, mit welchen Bildern und Mythen die Polizeiarbeit verbunden ist. Welche Verachtung den Cops durch die Gesellschaft entgegenschlägt und welches Verständnis sie von ihrer eigenen Rolle haben, die sie in der Realität einnehmen.

    Die Lügen der Cop-Filme

    Ruizpalacios zeigt jedoch seine Figuren nicht nur als Opfer. Bereits im ersten Kapitel erfährt man, dass sich auch Teresa bestechen lässt, dass auch sie sich einem missbräuchlichen System fügt, das von Korruption beatmet und am Leben gehalten wird. In aktuellen Diskursen über Polizeigewalt und Missbrauch der eigenen Privilegien hätte „A Cop Movie“ teils noch konkreter werden können. In gewissen Punkten lässt sich diese Studie der mexikanischen Polizei auch nicht 1:1 als Schablone über die Polizeiarbeit und deren Probleme etwa in Deutschland oder den USA legen.

    Nichtsdestotrotz entwirft das Filmexperiment ein differenziertes Bild voller Grautöne und Selbstreflexionen. Wenn Teresa und Montoya zu flotter Musik auf Verfolgungsjagd gehen, dann ist das auch eine Parodie auf Szenen, die man aus unzähligen Krimis kennt. Mit der Realität haben sie meist wenig gemeinsam, daran erinnert man sich wieder nach diesem Film. Alonso Ruizpalacios nutzt seine Metaebenen nicht nur, um eigene Leerstellen zu legitimieren, sondern begreift, dass diese Form notwendig ist, um seinen Gegenstand in alle Einzelteile zu zerlegen. Dabei ist es am besten, im Vorfeld so wenig wie möglich über den Inhalt von „A Cop Movie“ zu wissen.

    Ein Twist, den man nicht kommen sieht

    „A Cop Movie“ schlägt in der zweiten Filmhälfte einen inszenatorischen Haken, der hier nicht vorweggenommen werden soll, der aber alles noch einmal in ein ganz neues Licht rückt. Der Film setzt in diesem Moment alles auf Null und rückt anschließend die Ausbildung der Cops auf einzigartige und radikale Weise ins Zentrum. Mit einem Schlag wird die gesamte Dimension dieses ungewöhnlichen Filmprojekts deutlich, das vielleicht in seiner Durchdringung korrupter Machtgefälle nicht immer Neues erzählt, aber sie in eine konsequent herausfordernde Form bannt.

    Überhaupt eröffnet der Film, wie weitreichend die Verflechtung von Individuum und Gemeinschaft, inneren und äußeren Regeln ist. Eine Trennung von öffentlichem und privatem Rollenspiel ist nicht mehr möglich, so wie auch der Film selbst nicht mehr zwischen realen und fiktiven Elementen unterscheidet. Er findet gerade in deren Kombination zu einer Wahrheit. „A Cop Movie“ besinnt sich hier auf Ursprünge einer (Film-)Poetik. Vielleicht ist ja auch das gesamte Experiment selbst eine einzige große Lüge? Die Antwort darauf wissen womöglich nicht einmal die Beteiligten selbst.

    Fazit: Alonso Ruizpalacios ist ein verblüffendes und kritisches Filmexperiment über Missstände bei der Polizeiarbeit gelungen. „A Cop Movie“ zwingt sein Publikum immer wieder zum Reflektieren und hat dabei noch ein besonders Ass im Ärmel.

    Wir haben „A Cop Movie“ im Rahmen der Berlinale 2021 gesehen, wo er in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

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