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    Inside
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Inside

    Willem Dafoe als Robinson in der Smart-Home-Hölle

    Von Christoph Petersen

    Von allen heute aktiven Schauspielern könnte man sich wohl kaum einen passenderen Robinson Crusoe vorstellen als Willem Dafoe – und das liegt nicht mal daran, dass der legendäre Abenteuer-Roman 1719 von seinem Nachnamensvetter Daniel Dafoe verfasst wurde. Die wilden Haare, das zerfurchte Gesicht, der rasende Blick und sowieso das stetige Wandeln auf dem schmalen Grat zum Wahnsinn – der Green Goblin aus „Spider-Man“ und „Spider-Man: No Way Home“ wäre als Schiffbrüchiger schlichtweg perfekt! Nur strandet mit der heute zur Verfügung stehenden Technologie eben kaum noch jemand in der Wildnis (und wenn doch, dann bleibt er meist nicht lange dort).

    Aber dafür gibt es ja jetzt Smart Homes mit Kühlschränken, die nicht nur sprechen können, sondern einen auch von sich aus über ihren Füllstand informieren sowie nach 20-sekündiger Öffnungszeit als Warnung den 1992er-Sommerhit „Macarena“ von Los del Rio zu spielen beginnen. Denn wenn solche angeblich so schlauen Zuhause wie in Vasilis Katsoupis‘ Thriller-Drama „Inside mal im falschen Moment eine Fehlfunktion haben, dann ist man gegebenenfalls auch gestrandet, nur eben im Penthouse eines Wolkenkratzers statt auf einer einsamen Insel.

    Egal was Nemo (Willem Dafoe) auch versucht: Jede Verbindung zur Außenwelt ist abgeschnitten!

    Selbst wenn zwischendrin einmal die Frage gestellt wird, ob nun „jeder Mensch eine Insel“ oder „kein Mensch eine Insel“ sei, wäre es wohl etwas zu offensichtlich gewesen, den Protagonisten gleich Robinson zu nennen. Stattdessen trägt der von Willem Dafoe verkörperte Meisterdieb nun einen anderen literarischen Namen mit Inselbezug: Nemo gehört eigentlich zu den besten seines Fachs, aber diesmal geht beim Hacken der Alarmanlage etwas schief – und so sitzt er plötzlich in einem hermetisch abgeriegelten Penthouse fest, dessen Besitzer auf unbestimmte Zeit nach Kasachstan verreist ist.

    Ohne jede Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, ist Nemo hier zwar von Dutzenden jener Kunstwerke umgeben, die er auch persönlich so sehr liebt. Aber spätestens wenn das Wasser abgestellt wird, sich selbst das Hundefutter dem Ende zuneigt und die Klimaanlage völlig freizudrehen beginnt, verwandelt sich der vermeintlich so goldene Käfig in einen einfach nicht mehr enden wollenden Albtraum…

    Plötzliche Klimakrise

    Als Indoor-Robinsonade liegen Licht und Schatten bei „Inside“ nah beieinander: Obwohl der ganze Film mit minimalen Ausnahmen nur in dem Penthouse spielt, bekommt man bis zum Schluss nicht ein solch gutes Gefühl für die Räumlichkeiten, wie man es sich eigentlich gewünscht hätte. Wenn Nemo etwa eine Tür in einen neuen Bereich aufbricht, kommt das meist wie aus dem Nichts. Dasselbe gilt für die verstrichene Zeit: Natürlich fließen die Tage irgendwann ineinander über – aber bei „Inside“ fällt es schon nach kurzer Zeit schwer zu beurteilen, ob Nemo nun schon Stunden, Tage, Woche oder gar Monate in seinem Luxusgefängnis festsitzt. Dass die Klimaanlage die Räumlichkeiten erst auf 40 Grad erhitzt und dann auf acht Grad runterkühlt, wirkt ebenfalls eher beliebig und hat außer auf Nemos Outfit auch keine allzu große Auswirkung.

    So wirkt die Abfolge der Szenen in „Inside“ oft ein wenig zufällig – und statt sich zunehmend immer mehr zuzuspitzen, plätschert die Handlung zwischendrin auch einfach mal eine Weile vor sich hin. Aber dafür gibt es immer wieder auch wirklich starke Einfälle: Zum Beispiel hat die ausgefallene Smart-Home-Anlage auch den TV-Empfang gestört – so gibt es Pornos nur noch als kaum zu erkennen Programm-Schnee wie damals, als man versucht hat, Premiere-Programme ohne Decoder zu schauen. Der einzig funktionierende Sender ist einer, der automatisch zwischen den Überwachungskameras des Hochhauses hin und her wechselt – und als sich Nemo ein wenig in eine der Putzfrauen verliebt, muss er jedes Mal abwarten, bis die Bilderabfolge nach der Tiefgarage und dem Fitnessstudio endlich wieder zu ihr zurückkehrt. Das ist überraschend berührend.

    Immerhin ist Nemo mit seinen geliebten Kunstwerken vereint – aber der Goldene Käfig entpuppt sich trotzdem bald als existenzialistische Hölle inklusive „Macarena“-singendem Kühlschrank.

    Während die Cast-Liste im Abspann naturgemäß sehr kurz ausfällt, ist die Aufzählung der im Film verwendeten Originalkunstwerke, mit denen das Set ausgestattet wurde, schon sehr viel länger. Einige passen auch wirklich besonders gut – wie etwa das Bild eines Mannes, der mit jeder Menge Panzertape an einer Wand festgeklebt ist (und damit natürlich direkt die Situation von Nemo spiegelt). Andere wiederum sind schon für sich reizvoll genug – und man freut sich, wenn der Film nach einigen Minuten zu ihnen zurückkehrt, weil man sich an ihnen noch längst nicht sattgesehen hat.

    Die Idee, dass Nemo nicht nur daran zerbricht, ohne Aussicht auf Befreiung eingesperrt zu sein, sondern sich sein Geist irgendwann auch ein Stück weit mit den Kunstwerken um sich herum verbindet, ist dennoch nur bedingt überzeugend ausgearbeitet. Aber auch hier ist es am Ende vor allem Willem Dafoe selbst, der das Publikum mit seiner One-Man-Show konsequent bei der Stange hält: Schließlich vereinen sich in Nemo seine Paraderollen als Kunstbesessener in „Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit“ und als Isolationsopfer in „Der Leuchtturm“ – da ist doch klar, dass man sich zumindest in Sachen Performance absolut keine Sorgen machen braucht.

    Fazit: „Inside“ ist eine moderne Robinsonade im Hightech-Penthouse, die zugleich aber auch das zunehmend albtraumhafte Verhältnis ihres Protagonisten mit der ihn in seinem Luxuskäfig umgebenden Kunst erforscht. Zusammengehalten wird das existenzialistische Kammerspiel-Konzept aber weniger von dem nicht ganz so runden Skript als vielmehr von der gewohnt großartigen Tour-de-Force-Performance von Willem Dafoe.

    Wir haben „Inside“ bei der Berlinale 2023 gesehen.

     

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