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    Maria
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Maria

    Aller guten Dinge sind drei

    Von Christoph Petersen

    Als im Jahr 2016 das Biopic „Jackie“ mit Natalie Portman in der Rolle der Witwe von John F. Kennedy erschien, lautete das Fazit der offiziellen FILMSTARTS-Kritik: „Ein absolut ungewöhnliches und gerade deshalb unbedingt sehenswertes Politdrama.“ Acht Jahre – und „Spencer“ mit Kristen Stewart als Fastfood-naschende Lady Di – später ist es nun aber alles andere als eine Überraschung, dass auch Pablo Larraíns dritte Kino-Biografie über eine der ikonischen Frauen des 20. Jahrhunderts auf aufregende Weise von den üblichen Genrekonventionen abweicht: In „Maria“ verkörpert Angelina Jolie Maria Callas, die fraglos berühmteste Operndiva aller Zeiten, die gleich in der ersten Szene tot auf dem Boden ihrer stilvollen Pariser Altbauwohnung liegt.

    Es ist der 16. September 1977. Das Publikum lugt durch eine offene Tür in den Raum, wo neben Polizisten und Krankenpflegern auch einige Leute stehen, von denen wir direkt ahnen, dass sie im Leben der Toten auf die eine oder andere Weise eine wichtige Rolle gespielt haben. Nach dieser gemäldeartigen Aufstellung des Personals springt „Maria“ aber nicht an den Anfang, sondern lediglich eine Woche zurück. Die ehemalige Diva ist schon seit vier Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten und ihre Bediensteten befürchten bereits, dass ihr ständiges Tablettenschlucken schon bald ihr Ende bedeuten könnte. In den folgenden sieben Tagen zieht Maria mit einem eingebildeten Fernseh-Nachrichtenteam, deren Moderator (Kodi Smit-McPhee) denselben Namen wie ihre Stimmungsmedikamente trägt, durch Paris, und arbeitet zugleich an ihrem – völlig unwahrscheinlichen – Bühnencomeback.

    Komplizen Film / Fremantle
    Der Callas (Angelina Jolie) liegt die ganze Welt zu Füßen …

    Als ihr Butler sie fragt, ob die plötzlich angekündigte TV-Crew tatsächlich real sei, entgegnet ihm Maria, dass sie ab heute selbst entscheide, was real ist und was nicht. Man kann sich also eher nicht darauf verlassen, dass sich in ihren letzten Tagen alles genauso (oder auch nur so ähnlich) abgespielt hat. „Maria“ entpuppt sich in diesen Momenten als erlesen gefilmtes Kammerspiel, bei dem vor allem das eingeschworene Verhältnis der Diva, ihres Butlers (Pierfrancesco Favino) und ihrer Köchin (Alba Rohrwacher) erstaunlich tief berührt. Die Tragik des unaufhaltsamen Niedergangs wird dabei immer wieder durch feinen Humor und treffsichere Bonmots aufgelockert: „Die Callas ist nie zu spät, wenn sind alle anderen zu früh.“ Oder: „Ich gehe nur in Restaurants, um mich bewundern zu lassen.“

    Und mit der Feststellung gegenüber ihren zwei Pudel, dass ihre Zuneigung nur zu einem Prozent echter Liebe und zu 99 Prozent dem Füttern geschuldet sei, bringt sie zugleich auch das schwierige Verhältnis zu ihren Fans auf den Punkt: Ist sie ohne ihre Stimme wirklich noch die Callas, oder doch nur Maria? Eine Frage, die Pablo Larraín und sein Toningenieur John Warhurst (Oscar für „Bohemian Rhapsody“) übrigens auch technisch auf wahnsinnig faszinierende Weise aufgegriffen haben: Während es Schauspieler*innen vielleicht schaffen, tatsächlich wie Popstars zu klingen (so wie zuletzt Marisa Abela als Amy Winehouse in „Back To Black“), bestand natürlich nie die realistische Chance, dass Angelina Jolie selbst mit intensivem Training plötzlich Opernarien wie die Callas schmettert.

    Los geht’s mit 95 Callas und 5 Prozent Jolie

    Doch diesen vermeintlichen Makel nutzt der Film zu seinem Vorteil: Jolie hat die Arien nämlich tatsächlich alle eingesungen. Doch in den Rückblenden in die Blütezeit der Callas werden den damaligen Originalaufnahmen nur wenige Prozent der Gesangsstimme von Jolie beigemischt. Aber in ihren letzten Tagen, in denen das späte Comeback kaum noch mehr als ein manischer Wunschtraum ist, tritt dann immer mehr Jolies echte (und für die Opernbühnen dieser Welt eher ungeeignete) Stimme in den Vordergrund. Und das soll jetzt absolut kein Diss-Kommentar sein – denn abseits der (oft mit prächtigen Kostümen aufgemotzten) Opernszenen ist Jolies Performance nahezu makellos: Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Pablo Larraín nicht den Hattrick landet und nach Natalie Portman für „Jackie“ und Kristen Stewart für „Spencer“ auch mit dem dritten Teil seiner sogenannten Ladys-in-Heels-Trilogie eine Oscar-Nominierung für die Beste Hauptdarstellerin einfährt.

    Aber nicht nur beim Sound, auch visuell zeigt sich der Regisseur gewohnt experimentierfreudig: Durch die herbeihalluzinierte TV-Crew gibt es zum Beispiel immer wieder körnige 16mm-Aufnahmen des spätsommerlichen Paris, wo sich vor dem Eiffelturm schon mal eine Gruppe Passanten spontan zum Opernchor formiert. Die Rückblenden sind hingegen – wie schon Pablo Larraíns letztjährige Vampir-Polit-Horror-Satire „El Conde“ – in einem gestochenen Schwarz-Weiß gefilmt. Den mit Abstand größten Teil nimmt dabei die Beziehung zum griechischen Reeder-Milliardär Aristotle Onassis (Haluk Bilginer) ein, der dann ja bekanntermaßen Jacky Kennedy geheiratet hat, die diesmal aber nicht von Natalie Portman, sondern von Valeria Golino verkörpert wird.

    Komplizen Film / Fremantle
    … während Maria Panik bekommt, wenn sie ihre Pillen nicht sofort griffbereit hat.

    In diesem Liebeskarussell der Mega-Promis spielt natürlich auch eine gewisse platinblonde Hollywoodikone mit ihrem gehauchten „Happy Birthday“ eine zentrale Rolle – und man möchte Pablo Larraín bei ihrem Auftritt sofort zurufen, dass Marilyn Monroe doch mit Sicherheit auch High Heels getragen hat und er seine Trilogie doch gerne zur Tetralogie ausbauen solle. Aber wir schweifen ab. Wie in „Jackie“ und „Spencer“ geht es nämlich auch in „Maria“ ganz zentral darum, der Protagonistin ihre Stimme wiederzugeben. Im Fall der als Diva verschrienen Callas heißt das, einen Fan zusammenzufalten, der sie wegen eines krankheitsbedingt abgesagten Auftritts dumm anquatscht, und noch mal zu hinterfragen, ob sie für Onassis wirklich nur ein weiteres hübsches Ausstellungsstück in der Vitrine war.

    Wenn Maria in ihren letzten Tagen mit ihren Bediensteten Karten spielt oder ständig darauf beharrt, dass das Klavier doch noch einmal an eine andere Stelle geschoben werden möge, hat der Film etwas trügerisch Einfaches, fast schon Häusliches an sich. Aber davon sollte man sich keinesfalls täuschen lassen, in Sachen Komplexität steht „Maria“ ihren beiden Vorgängerinnen in absolut nichts nach…

    Fazit: Aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Aber nachdem er sich mit „Jackie“, „Spencer“ und nun „Maria“ endgültig den Ruf als wohl aufregendster Leinwand-Biograf unserer Zeit erarbeitet hat, wüssten wir da trotzdem noch ein paar Ikonen des 20. Jahrhunderts, über die wir am allerliebsten von Pablo Larraín einen Kinofilm sehen würden.

    Wir haben „Maria“ beim Filmfest Venedig 2024 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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