Ein Film feinsäuberlich einsortiert in neun Schuhkartons
Von Christoph PetersenWenn es darum geht, die Fähigkeiten von generativer KI auszutesten oder vorzuführen, steht ein Name ganz oben auf der Liste, der in solchen Präsentationen quasi immer Verwendung findet. „Erstelle mir ein Bild/Video mit dem Inhalt XY – aber lasse es so aussehen, als stamme es aus einem Film von Wes Anderson“: Wer diesen Prompt nutzt, kann absolut sicher sein, dass dem Ergebnis auf den ersten Blick anzusehen ist, was hier als Arbeitsauftrag vorgegeben wurde. Das heißt keinesfalls, dass Andersons Kunst so generisch ist, dass sie selbst eine seelenlose KI spielend leicht kopieren kann. Ganz im Gegenteil: In den 30 Jahren seit seinem Debüt „Durchgeknallt“ hat der „Die Royal Tenenbaums“-Regisseur seinen unverkennbaren Stil so feingliedrig ausdekliniert, dass inzwischen wahrscheinlich mehr Menschen einen Anderson erkennen als einen Michelangelo oder einen Leonardo da Vinci.
Aber es gibt da ein Problem: Wenn ein Künstler auf dem steilen Pfad zur Meisterschaft schrittweise vorankommt, dann kann das mit jedem Werk aufs Neue aufregend sein. Aber was ist, wenn er sein Ziel erreicht hat? Was, wenn es nur noch für minimale Variationen reicht, weil es einfach nicht mehr weiter hinaufgeht? Dann nutzt sich der Effekt von Mal zu Mal immer weiter ab. Wir können Wes Anderson nach „Der Phönizische Meisterstreich“ deshalb nur raten, es vielleicht mal beim Berg nebenan zu probieren. Da müsste er zwar wieder weiter unten anfangen, aber so langsam wird es ermüdend, ihm dabei zuzusehen, wie er wieder und wieder von derselben Spitze hinunterwinkt – selbst wenn wir den Oscarpreisträger Benicio Del Toro („Traffic“) selten so stark erlebt haben.
Der halbseidene Geschäftsmann Zsa-Zsa Korda (Benicio Del Toro), dem nachgesagt wird, dass er alle drei seiner Frauen ermorden ließ, ist der reichste Mann Europas. Und weil er bei seinen Geschäften weder auf Staaten noch auf seine Konkurrenz Rücksicht nimmt, trachtet ihm die halbe Welt – inklusive seines Halbbruders Nubar (Benedict Cumberbatch) – nach dem Leben. Als in seinem Privatflieger (mal wieder) eine Bombe explodiert und er nach einer Crashlandung in einem Maisfeld nur knapp mit dem Leben davonkommt, ist für Zsa-Zsa klar, dass er etwas ändern muss: Also lässt er seine Nonnen-Tochter Liesl (Kate Winslets Tochter Mia Threapleton) aus dem Kloster holen, um sie auf Probezeit als seine Alleinerbin und Geschäftsnachfolgerin einzusetzen.
Das Erste, was er seiner entfremdeten Tochter zeigt, sind die neun Schuhkartons mit den Bausteinen des titelgebenden Phönizischen Meisterstreichs. Dabei handelt es sich um ein gleich mehrere Mammutbauten umfassendes Infrastrukturprojekt für den fiktiven Staat Phönizien. Aber dann schließen sich gleich mehrere Nationen zusammen, um unter Führung des Bürokraten Exkalibur (Rupert Friend) so die Börsenkurse zu manipulieren, dass Zsa-Zsas Kalkulation hinten und vorne nicht mehr aufgeht. So bleibt ihm nur noch eine Chance: Zsa-Zsa muss gemeinsam mit Liesl und dem Insektenkunde-Tutor Bjorn (Michael Cera) einmal quer durch Phönizien reisen, um die Verträge mit seinen Geschäftspartner*innen neu zu verhandeln…
Dem trotz grandioser Sets enttäuschenden „Asteroid City“ tat es gar nicht gut, dass er nur an einem isolierten Ort in der Wüste spielte. Wes Anderson braucht die Planung und die Bewegung – und deshalb liegen ihm auch Heist-Filme (von „Der fantastische Mr. Fox“ über „Grand Budapest Hotel“ bis „Isle Of Dogs“) ganz besonders. Im Zentrum von „Der Phönizische Meisterstreich“ steht nun zumindest eine Art Wirtschafts-Heist, denn Zsa-Zsa versucht ständig, alles und jeden über den Tisch zu ziehen – wobei er damit weniger Erfolg hat, seitdem er seine gutmütige Tochter von sich zu überzeugen versucht. Benicio Del Toro begeistert als knallhart-abgebrühter Geschäftsmann, der selbst Mordversuche in 10.000 Meter Höhe mit der typischen Wes-Anderson-Lakonie hinnimmt, aber plötzlich gezwungen ist, auch seine weichere Seite (wieder) zu entdecken. An seiner Seite sorgt – zumindest in der englischen Originalfassung – vor allem Michael Cera mit einem urkomischen schwedischen Akzent für die meisten Lacher.
Aber so richtig Schwung kommt trotzdem nicht in die Sache. Die einzelnen Stationen des Businesstrips erinnern mitunter fast schon an „Saturday Night Live“-Sketche mit den jeweiligen Gaststars – etwa wenn Tom Hanks und Bryan Cranston als die Bosse eines US-amerikanischen Konglomerats in einem anachronistischen Streetball-Match gegen Zsa-Zsa und den Phönizischen Kronprinzen Faruk (Riz Ahmed) antreten, um einen geschäftlichen Disput aus dem Weg zu räumen. Die Orte und Stars wechseln dennoch so schnell, dass „Der Phönizische Meisterstreich“ trotzdem durchgängig zumindest ein solides Unterhaltungsniveau hält – selbst wenn sich Anderson keinen Gefallen damit getan hat, seinen Cast im Vorspann „nach der Reihenfolge ihres Auftretens“ einzublenden. Schließlich macht es einen nicht unerheblichen Teil des Reizes aus, zu sehen, wer da wohl als Nächstes kommt.
Die Schlange der Stars, die sich die Beine in den Bauch stehen, um in den ikonischen Sets notfalls auch nur einen einzigen Satz für Wes Anderson aufsagen zu dürfen, wird gefühlt immer nur noch länger. Das Problem ist dabei weniger, dass auf den Postern und Trailern kaum noch Platz ist, um all die großen Namen werbewirksam unterzubringen, sondern vielmehr, dass der Regisseur immer weniger für sie zu tun findet (was ihn allerdings nicht davon abhält, trotzdem jeden mit offenem Armen zu empfangen):
Klar ist es irgendwie schon cool, Bill Murray als rauschebärtigen Gott zu sehen, aber dass in den ohnehin etwas beliebig eingestreuten Schwarz-Weiß-Bibelszenen dann auch noch Charlotte Gainsbourg, Willem Dafoe und F. Murray Abraham herumstehen oder einfach nur dasitzen, ist pure Verschwendung, zumal viele von ihnen nicht mal einen einzigen zündenden Gag beizutragen haben. Auch das wird offenbar immer mehr zu einem Markenzeichen des Regisseurs – immerhin spuckt eine KI, wenn man sie nach einem glaubhaften Cast für einen fiktiven Wes-Anderson-Film im Jahr 2026 fragt, eine Besetzungsliste mit nicht weniger als 19 Namen von internationalen Superstars aus.
Fazit: „Der Phönizische Meisterstreich“ ist zumindest eine Steigerung gegenüber dem wüstentrockenen „Asteroid City“, schon einfach deshalb, weil Heist-Plots besonders gut zum Stil und Humor des Regisseurs passen. Trotzdem nutzen sich viele der untrennbar mit Wes Anderson verbundenen Stilmittel langsam ab.
Wir haben „Der Phönizische Meisterstreich“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.