Leider kein zweiter "Challengers"
Von Janick NoltingJan-Ole Gerster, verantwortlich für die herausragenden Tragikomödien „Oh Boy“ und „Lara“, hat zum ersten Mal einen Film auf Englisch gedreht. International besetzt und in imposanter Kulisse noch dazu! Die graue und triste deutsche Großstadt der beiden Vorgängerwerke hat er eingetauscht gegen die traumhafte, sonnengeflutete Kulisse der Insel Fuerteventura, wo sich zwischen Palmen, Strand, Clubs und schicken Hotelzimmern eine undurchsichtige Dreiecksgeschichte entspinnt. Nur: Von der beeindruckend geschliffenen und kompakten Form von Gersters bisherigen Filmen ist „Islands“ ein ganzes Stück entfernt. Seine spannenden Beobachtungen ermüden leider mit allzu fahriger Erzählweise.
Sam Riley („Maleficent“) spielt in „Islands“ einen Tennistrainer namens Tom. In dem luxuriösen Resort, in dem er arbeitet, gibt er den coolen Typen, der seinen Kund*innen mit gewitzter und lässiger Art Sportunterricht erteilt. Doch hinter den Kulissen sieht es anders aus. In seinem Büro, einer kargen Rumpelkammer, in der die Bälle und Schläger und allerlei Krimskrams abgestellt sind, ist die Schnapsflasche griffbereit versteckt. Unzufriedenheit hat sich in Toms Leben eingeschlichen. Der nächste Absturz ist nicht weit entfernt.
Schwung kommt erst wieder in den Alltag, als die Familie Maguire im Hotel absteigt. Dem Sprössling (Dylan Torrell) soll Tom das Tennisspielen beibringen. Zwischen Tom und der Mutter Anne (Stacy Martin) liegt derweil irgendetwas in der Luft. Romantische Anziehung wird dort angedeutet und doch bleiben beide distanziert. Tom scheint zudem väterliche Gefühle für den Jungen zu entwickeln. Doch da taucht Annes Partner Dave (Jack Farthing) auf, ein ignoranter, misstrauischer Mann, der nach einem gemeinsamen Partyausflug auf unerklärliche Weise verschwindet…
Jan-Ole Gerster und seine Ko-Autoren Blaž Kutin und Lawrie Doran unternehmen hier eine durchaus ambitionierte thematische Verschränkung aus Krimi- und Thriller-Elementen, einer Romanze, Alltagsbetrachtung und Charakterstudie, wie man sie aus Gersters bisherigen Arbeiten kennt. Zunächst einmal erzählt sein Film von all den wirren Zuschreibungen und Sehnsüchten, die in dieser künstlichen Touristenwelt zu finden sind. Die Einheimischen und Arbeitenden, die den Urlaubsgästen eine schöne Zeit bereiten, betrachtet man als exotische Fremde, in deren Realität man sich kaum hineinversetzen kann. Man lässt sich umgarnen von der puren Heile-Welt-Illusion. Man sehnt sich immer nach dem, was man selbst nicht hat, aber wie sieht es eigentlich auf der anderen Seite aus?
Das ist an sich keine allzu originelle oder tiefergehend verhandelte Erkenntnis. Und es hätte ebenso wenig, nachdem dieses Motiv etabliert wurde, eine zusätzliche, plakative Sequenz gebraucht, in der Gerster noch einmal zwei ältere Herren mit Biergläsern auftauchen lässt, die dann naiv behaupten, der Tennistrainer habe im Leben alles richtig gemacht. Immer schönes Wetter! Na, dann ist ja alles gut, oder?
Nichtsdestoweniger versteht es der Regisseur, die zermürbenden Gegensätzlichkeiten und Desillusionierungen, die sich im Leben seiner Hauptfigur auftun, konsequent auf die Leinwand zu bringen. Er wählt die Wiederholung als Mittel, um die Tristesse in Toms Alltag spürbar werden zu lassen. Blackouts und Filmrisse strukturieren den Film. Wiederholt erwacht Tom aus seinem betäubenden Rausch, anfangs im Sand, wie ein Toter, der sich aus der Wüste erhebt. Und Gerster entschleunigt seinen Film, kostet die Sprachlosigkeit, Lügen und Verschwiegenheit seiner Figuren aus und zieht sie in die Länge, bis man beim Zusehen selbst von dieser betrübten Stimmung vereinnahmt wird.
In dieses Spiel mit Zuschreibungen und Projektionen tritt nun also das Paar Maguire auf, dem der Tennistrainer gleichermaßen als Feindbild der Eifersucht wie als Erlöser aus einer erkalteten Beziehung zu dienen scheint. Und immerzu werden die Bälle über das Netz geschlagen – aus Frust, Pflichtbewusstsein oder auch der schlichten Gewissheit heraus, dass die immer gleichen Routinen ihren Gang gehen. Wahrscheinlich ist der Vergleich ein wenig unfair und der erzählerische Kontext ist ohnehin ein anderer, aber nachdem Luca Guadagninos „Challengers“ ebenfalls eine Dreiecksgeschichte erzählt hat, in deren Zentrum der Tennissport als vermittelnde Sprache stand, ernüchtert doch, wie lauwarm und behäbig „Islands“ geraten ist.
Das liegt vor allem daran, dass Gerster Film so in sein Mysterium bezüglich der Motivation seiner Figuren und des Kriminalfalls, dem Verschwinden von Dave, vernarrt ist, dass er den Moment verpasst, mit seiner Charakterstudie in den nächsten Gang zu schalten. Seine Figuren irren von A nach B, erst als touristische Inselerkundung, später dann als Spurensuche. Dennoch hat man selten den Eindruck, dass die zentralen Themen des Films nennenswert vorankommen. Davon abgesehen, dass dieser Tennistrainer als Protagonist bei weitem nicht so faszinierend und facettenreich gezeichnet ist wie Tom Schillings Figur in „Oh Boy“ und Corinna Harfouchs wunderbar boshaft leidende „Lara“.
Gerade das Begehren, das hier thematisiert wird, ist enttäuschend zahm ausgefallen. Da schlummert ein abgründiges, packendes Szenario unter der Oberfläche, die sich lieber damit begnügt, das Publikum rätseln zu lassen, ob hier nun ein Mord geschehen ist, wer warum wie frustriert ist oder sich womöglich auf die eine oder andere Art zu kennen glaubt. Wenn Anne entblößt in die Fluten des Meeres steigt und ihr sowohl Tom als auch ein Inspektor aus der Ferne hinterhersehen, überlappen sich dort offensichtlich Misstrauen und erotische Faszination und damit zwei zentrale Triebkräfte im Film. Doch weder die eine noch die andere wird so richtig von der Leine gelassen.
Erst in den letzten Minuten hat einen „Islands“ wieder an der Angel, sowohl mit einem imposanten, einprägsamen Bild, das im wahrsten Sinne aus dem Meer geborgen wird, als auch mit einer Partynacht, in der die biographischen Züge der Hauptfigur eine Punktlandung hinlegen. Wieder erzählt Gerster von jemandem, der verpassten Chancen und gescheiterten Plänen nachtrauert und womöglich zu spät die Initiative ergreift. Zwischen festgefahrener Karriere und verwehrter Vaterrolle nimmt dieser Film Anlauf, einen Ausbruch zu wagen. Doch verpasst bleibt ebenso die Chance, aus einem vielversprechenden Szenario eine tatsächlich mitreißende Geschichte zu stricken. Die Erde beginnt hier zwar bedrohlich und bedeutungsschwer zu rumoren – am Ende bleibt das große Beben aber aus.
Fazit: Nach „Oh Boy“ und „Lara“ lässt Jan-Ole Gersters neuer Film verborgene Sehnsüchte und charakterliche Abgründe in einem trügerischen Urlaubsparadies aufeinanderprallen. „Islands“ bleibt jedoch als Kriminalstück zu spannungsarm und bremst seine eigentlich interessante Charakterstudie mit unnötig aufgeblasenen, zähen Mysterien aus.
Wie haben „Island“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er in der Sektion Berlinale Special gezeigt wurde.