Presence
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
2,5
durchschnittlich
Presence

Was sehen eigentlich Gespenster?

Von Janick Nolting

Nach dem Killer kommen die Geister. In dem blutigen Slasher „In A Violent Nature“ konnte man die Welt gerade erst aus den Augen eines Jason-Voorhees-artigen Schlächters betrachten – und nun folgt direkt das nächste Horror-Experiment, das sich an einem interessanten Perspektivwechsel versucht. Steven Soderbergh inszeniert in „Presence“ eine auf den ersten Blick klassische Spukgeschichte, peppt sie aber mit einer zentralen Frage auf: Was, wenn wir, das Publikum, gar keine Geister zu sehen bekommen, sondern selbst in einen Geist verwandelt werden?

Der für „Traffic“ oscarprämierte Regisseur geht in diesem Spiel mit der Perspektive sogar noch konsequenter vor als der erwähnte „In A Violent Nature“. Bei Soderbergh verschmilzt die Kamera von Anfang bis Ende vollends mit den Augen einer körperlosen Präsenz zwischen Diesseits und Jenseits, die einfach keine Ruhe finden kann. Der Effekt, der sich dabei einstellt, ist zumindest in den ersten Minuten verblüffend. Da blickt die Kamera zunächst aus einem Fenster auf die Straße, dann zieht sie sich zurück, geht die Treppe im Haus hinab, durchstreift die leeren Zimmer, ehe sie sich in einem Schrank versteckt. Denn dort lauern Gespenster bekanntlich besonders gern.

Chloe (Callina Liang) nimmt als erstes eine ungewöhnliche Präsenz im neuen Haus wahr. Neon
Chloe (Callina Liang) nimmt als erstes eine ungewöhnliche Präsenz im neuen Haus wahr.

Soderbergh macht schnell deutlich, dass diese in langen Einstellungen umher gleitende Kamera mehr als ein objektiver Beobachter ist. Sie selbst ist das Unheimliche in diesen Bildern, etwas Lebendiges, ein unsichtbarer Leib und ein subjektives Bewusstsein, eine Besessenheit, die sich in der Welt eingenistet hat. Nur: Das ambitionierte Konzept, einen solchen Film komplett aus Sicht des Übersinnlichen zu erzählen, tritt ab einem gewissen Zeitpunkt leider zunehmend auf der Stelle.

Das beginnt schon damit, dass sich „Presence“ zunächst auf einen sehr austauschbaren Plot versteift. Da betritt eine Maklerin das Haus, das sogleich von einer vierköpfigen Familie, den Paynes, neu bezogen wird. Die Tochter Chloe (Callina Liang) trauert um ihre kürzlich verstorbene Freundin und beginnt als erste, die gespenstische Präsenz im Haus zu wittern. Ihr Bruder Tyler (Eddy Maday) hat dafür nur Spott übrig. Die Eltern Rebekah (Lucy Liu) und Chris (Chris Sullivan) haben derweil mit ihrer kriselnden Ehe zu kämpfen, bis auch sie den Poltergeist im Haus bemerken...

Neuer Blickwinkel, vertraute Motive

Es wird also über Glaube und Aberglaube und allerlei seelischen Ballast, der auf den Familienmitgliedern lastet, diskutiert. Und natürlich darf auch ein Medium nicht fehlen, das man herbeiruft, um Kontakt mit den Toten aufzunehmen. Überraschend wird die Handlung und Charakterstudie von „Presence“ erst, wenn Soderbergh einen Thriller-Plot in die Spukgeschichte mischt, der die Frage nach der eigentlichen Bedrohung mit weiteren Twists versieht. Daran schließt sich ebenso ein Bruch mit den Seherwartungen an. „Presence“ lebt weniger vom Fürchten und Gruseln, sondern taucht seine gespenstische Perspektive vor allem in Traurigkeit, die nach Kontakt und Erlösung sucht.

Schade ist nur, dass „Presence“ den Zeitpunkt verpasst, sein formales Konzept weiter zu schärfen. Er vertieft sich stattdessen vor allem in all die familiären Dramen. Zugleich wirft er einen immer wieder so stark auf seine Technik zurück, dass es schwerfällt, irgendeines dieser ausgewalzten Themen rund um Trauer, Erziehung, das Verhältnis zu den Eltern, Mobbing, Drogen und Missbrauch näher an sich heranzulassen. Sie fühlen sich oft ohnehin nur wie mechanische Abläufe in den Kulissen einer großen virtuellen Simulation an, durch die man sich von Zimmer zu Zimmer bewegt.

Rebekah (Lucy Liu) ist so sehr auf die Sportkarriere ihres Sohnes fixiert, dass die Probleme ihrer Tochter immer wieder hinten anstehen müssen. Neon
Rebekah (Lucy Liu) ist so sehr auf die Sportkarriere ihres Sohnes fixiert, dass die Probleme ihrer Tochter immer wieder hinten anstehen müssen.

Dabei birgt die Idee, die Kamera mit dem Gespenst, also der vermeintlichen Bedrohung im Spukhaus, gleichzusetzen, viel Potenzial. Schließlich wird damit direkt eine ganze Menge infrage gestellt: Wie die Illusion eines herkömmlichen Spielfilms funktioniert? Wie wir Spielfilme normalerweise wahrnehmen? Wo sonst der technische Apparat ausgeblendet und ignoriert werden soll, wird er plötzlich als untoter Organismus ausgestellt. Wo er sonst als Beobachter ein Schauspiel medial inszeniert, wird er plötzlich in seiner Aktivität hinterfragt. Er gibt sich als teilnehmende Instanz zu erkennen und wird direkt angespielt. Figuren erschrecken vor ihm und blicken zurück – zum Publikum in den Kinosaal.

Das ergibt eindrucksvolle Kippmomente! Gerade dann, wenn gar nichts Spektakuläres passiert, aber die Kamera den Darsteller*innen plötzlich unangenehm nah zu Leibe rückt. Oder wenn sie die Intimsphäre von Figuren, etwa im Beobachten aus dem Schrank heraus, heimsucht und so den eigenen Voyeurismus betont. „Presence“, Präsenz, Gegenwart, was heißt das überhaupt, wenn man von Filmen spricht? Zunächst einmal nur die technische Fixierung einer Präsenz von Menschen und Objekten. Das Publikum ist davon räumlich und zeitlich weit entfernt und doch fühlt man sich einander verbunden.

Mehr als nur ein technisches Gimmick?

Die eingefangenen Präsenzen, die als Lichtspiel im Kino projiziert werden, sind von Natur aus immer schon gespenstisch. Sie sind hier und dort zugleich, weil alle Parteien filmischer Produktion und Rezeption mit der Abwesenheit der jeweils anderen auskommen müssen. An dieser Stelle trennen sich Film und Theater und es bereitet große Freude, anhand von Steven Soderberghs Experiment über solche grundsätzlichen Eigenheiten nachzudenken. Aber mal ehrlich: Ist das am Ende wirklich so originell umgesetzt?

Dass der apparative Aspekt des Films auf sich selbst verweisen kann, ist keine Neuheit mehr. Ebenso wenig das Spiel mit der An- und Abwesenheit eines Publikums. Selbst im populären Superheldenkino (Stichwort: „Deadpool“) versuchen Figuren schon lange, Kontakt zu ihren Zuschauer*innen aufzunehmen und die Illusion aufzubrechen. Außerdem muss sich „Presence“ innerhalb des Horror-Genres in Traditionen einordnen, die inzwischen weitaus stärkere Beispiele hervorgebracht haben. Dass der Film in eine unheimliche Technik verwandelt wird und das Unbehagliche aus den medialen Bildern selbst kommt, haben Werke wie „Ring“, die „Paranormal Activity“-Reihe oder jüngere Beispiele wie „Skinamarink“ und der Desktopfilm „Host“ zigfach variiert.

Die Eltern sind so sehr mit ihrer Ehekrise beschäftigt, dass sich der Geist bei ihnen extra anstrengen muss, um auf sich „aufmerksam“ zu machen. Neon
Die Eltern sind so sehr mit ihrer Ehekrise beschäftigt, dass sich der Geist bei ihnen extra anstrengen muss, um auf sich „aufmerksam“ zu machen.

Will man diesen Meta-Ebenen spannende Gedanken und Eindrücke abgewinnen, muss man sich mittlerweile also einiges einfallen lassen und hier legt sich „Presence“ leider zu schnell auf die faule Haut. Steven Soderbergh gelingt eine durchweg surreale, befremdliche Atmosphäre. Das muss man ihm lassen! Sofern man nicht bereits nach wenigen Minuten seekrank wird bei all den dynamischen Schwenks und Kamerafahrten. Aber seine immergleichen Weitwinkel-Aufnahmen und Bewegungen durch das Haus sind von einer solchen Gleichförmigkeit und so wenigen ästhetischen Höhepunkten gezeichnet, dass sie nie gänzlich als durchdachtes Konzept, sondern eher als vage skizziertes Gimmick erscheinen.

Dieses Gimmick wird zudem immer stärker in das Gerüst einer Handlung und Rolle gezwängt, anstatt die eigene Verfremdung als Rätsel, Vieldeutigkeit und Denkanstoß wirken zu lassen. Wenn plötzlich Bücher von unsichtbarer Hand bewegt werden, Kontaktversuche die Aufnahmen zum Wackeln bringen oder der Blick zur Seite schweift und Chaos stiftet, irritiert das in seinem Spiel mit Ursachen und Wirkungen und der Offenlegung, wie Räume inszeniert werden. Aber es ergibt ebenso beliebige und schon gar keine aufregenden Bilder. „Presence“ bleibt damit zu verkopft für ein zwischenmenschliches Drama und viel zu zahm für einen Horrorfilm. Da kann man noch so oft die Perspektive wechseln, wenn sie doch nur Formelhaftes und Unausgegorenes zeigt.

Fazit: Steven Soderberghs Spukgeschichte lässt das Publikum durch untote Augen blicken. „Presence“ besitzt dabei zwischen Horror und Familiendrama durchaus interessante Ansätze, um über das Kino an sich nachzudenken, überzeugt am Ende aber weder in seinen Genre-Versatzstücken noch als mediales Experiment vollends.

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