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    Perfect World
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Perfect World
    Von Andreas Staben

    1993 hat Clint Eastwood einen Karrieregipfel erreicht: Im Frühjahr erhielt er für seinen Westernabgesang Erbarmungslos zwei Oscars und wurde damit auch in der breiten Öffentlichkeit als wichtiger Filmemacher wahrgenommen, im Sommer bekräftigte er als Hauptdarsteller in Wolfgang Petersens In The Line Of Fire seinen Status als Star und Kassenmagnet, den er bereits seit über zwei Jahrzehnten innehatte. Die nächste Arbeit Eastwoods als Regisseur wurde entsprechend mit großer Spannung erwartet, die durch die Besetzung der Hauptrolle mit Kevin Costner noch gesteigert wurde. Obwohl „Perfect World“ in den USA sowohl bei den Kritikern als auch beim Publikum einen relativ schweren Stand hatte und hat (in Europa war das schon damals anders), ist das Thriller-Drama im Rückblick ein Meilenstein in den Karrieren von Regisseur und Star: Eastwood ging über die Genrereflexion in „Erbarmungslos“ noch einen Schritt hinaus und schuf mit der ihm eigenen Gelassenheit ein Meisterwerk außerhalb üblicher Kategorien und Costner zeigte nicht nur die Bereitschaft gegen sein Sonnyboy-Image anzuspielen, sondern bot eine der überzeugendsten und eindringlichsten Darstellungen seiner Laufbahn, ohne seinen natürlichen Charme dabei einzubüßen.

    Texas, 1962: Butch Haynes (Kevin Costner) und Terry Pugh (Keith Szarabajka, Wir waren Helden, The Dark Knight) brechen gemeinsam aus dem Gefängnis in Huntsville aus. Auf der Flucht dringen sie in das Haus der alleinerziehenden Mutter Gladys Perry (Jennifer Griffin, Vanilla Sky) ein und nehmen schließlich deren achtjährigen Sohn Phillip (T.J. Lowther) als Geisel. In der Folge eskalieren die Spannungen zwischen dem psychopatischen Terry und dem besonnenen Butch, der die Odyssee im gestohlenen Auto bald alleine mit dem Jungen fortsetzt. Der Entführer wird mehr und mehr zu einer Vaterfigur für den schüchternen Phillip, während die verfolgenden Ordnungshüter unter Führung von Chief Red Garnett (Clint Eastwood) immer näher kommen...

    „Perfect World“ ist kein typischer Thriller und gerade deshalb auf nahezu jeder Ebene bestechend gelungen. Eastwood setzt auf Charakterentwicklung statt auf Action, er nimmt sich Zeit für Stimmungen und Details. Die Atmosphäre des texanischen Hinterlandes in den 60er Jahren wird von seinem langjährigen Stammkameramann Jack N. Green in wunderschönen Cinemascope-Bildern eingefangen: eine Kulisse, die fast aus der Zeit gefallen scheint und nicht zufällig an die mythischen Landschaftsbilder des Westerns erinnert. Wie schon in Filmen wie „Bronco Billy“ und „Honkytonk Man“ sorgt dabei Eastwoods eigene Vergangenheit als Westernheld für eine Reibung, aus der ein neuer Blick auf die filmische Gegenwart entsteht. Der Outlaw Butch (Costner übernimmt Eastwoods alte Rolle) kommt nicht mehr aus dem vorzivilisierten Nichts wie die Protagonisten von Sergio Leones „Dollar-Trilogie“ oder der Fremde ohne Namen, sondern aus einer Gesellschaft versagender Väter und Autoritäten.

    Das Thema der abwesenden Väter, das auch in späteren Eastwood-Filmen wie Absolute Power und Der fremde Sohn immer wieder aufgegriffen wird, ist im Original-Drehbuch von John Lee Hancock (Alamo, Mitternacht im Garten von Gut und Böse, Blind Side) sorgfältig mit einer Reflexion über die Rolle der Gewalt in Amerika verbunden. Sowohl Butch als auch Phillip werden von ihren Vätern verlassen und bereits in jungen Jahren mit Gewalt konfrontiert. Wenn vom anstehenden Besuch Kennedys die Rede ist, der bekanntlich 1963 in Dallas ermordet wurde, und ausgerechnet ein FBI-Scharfschütze eine fatale Rolle übernimmt, dann erscheint die Gewalt nicht mehr nur als individuelles Problem, sondern als kollektives Trauma (die Echos von Eastwoods Rolle als Präsidenten-Leibwächter in „In The Line Of Fire“ schwingen hier genauso mit wie jene von Costners Auftritt als Staatsanwalt in JFK). Anders als vielleicht noch in den Dirty Harry-Filmen ist sie jedenfalls keine Lösung mehr und Eastwood unterstreicht die Grenzüberschreitung, die mit einem Gewaltakt einhergeht, durch seine Inszenierung: Mit Bedacht bleiben einige brutale Momente im Off, andere erhalten eine subjektive Täterperspektive, womit auch die Frage nach der individuellen Verantwortung gestellt wird. Dieser Ambivalenz wird auch Costner voll gerecht: Butch kann kaltblütig sein, wenn er es für richtig hält, und es ist nicht immer leicht, ihm die Stange zu halten.

    Der wahre Held in „Perfect World“ ist jener Familienvater, der Butch keinen Widerstand leistet, als dieser ihm das neue Auto klaut und ihn samt Frau und Kindern auf der Landstraße stehen lässt. Er mag eine traurige Figur machen, aber er denkt an seine Familie und steckt zurück. Er ist damit wie Butch Phillip erläutert „a decent family man“, das Beste, was ein Mann sein könne. Dies ist der Kernsatz des ganzen Films und er definiert auch die Beziehung zwischen Butch und dem Jungen. Der gejagte Kriminelle versucht für Phillip trotz allem Vorbild zu sein und wird tatsächlich zu einem Vaterersatz. Die Szenen zwischen Costner und dem jungen Naturtalent T.J. Lowther sind dabei häufig sehr amüsant (etwa wenn Butch dem als Zeugen Jehovas aufgewachsenen Phillip Halloween und Zuckerwatte nahe bringt) und bilden damit ein Gegengewicht zum Ernst der Umstände. Sie sind aber weit mehr als das, denn die allmähliche Annäherung, die folgende Komplizenschaft, das wachsende Vertrauen, der tiefe Zweifel - all das entfaltet sich mit allergrößter Natürlichkeit. Ihr Verhältnis ist der Hoffnungsschimmer in einer Welt, die alles andere als perfekt ist. Auch ihre Begegnungen auf der Reise werden zu flüchtigen Visionen einer friedlich funktionierenden Gemeinschaft wie beim bunten Haufen Außenseiter, der in Der Texaner nur kurz zusammenfinden darf.

    Eastwood, der ursprünglich gar nicht im Film auftreten wollte, nimmt sich als Darsteller wie gewohnt zurück und amüsiert sich mit Anspielungen auf sein Alter, wie er es in seinen späten Rollen bis hin zu Gran Torino immer wieder gerne getan hat. Auch an dem Geplänkel mit Laura Dern (Jurassic Park, Wild At Heart), die dem texanischen Männerclub als Kriminologin Sally Gerber ordentlich Kontra gibt, hat er sichtlich Spaß. Und am Ende sorgt er mit dem ganzen Gewicht seiner Leinwandpersönlichkeit für einen unvergesslichen Moment von Verlorenheit. Im virtuos gefilmten Finale erreicht so nicht nur die Reflexion über Gewalt und Verantwortung ihren vielschichtigen Abschluss und Höhepunkt, auch seine emotionale Wirkung ist mit kaum einer anderen Szene in Eastwoods Werk vergleichbar.

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