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    Wie lässt man für "Oppenheimer" eine Atombombe ganz ohne CGI explodieren? Wir haben Christopher Nolans Experten gefragt
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Seit mehr als 20 Jahren schreibt Björn Becher über Filme und Serien. Hier bei FILMSTARTS.de kümmert er sich um "Star Wars" - aber auch um alles, was gerade im Kino auf der großen Leinwand läuft.

    Als Christopher Nolan „Oppenheimer“ in Angriff nahm, zeigte er das Drehbuch zuerst seinem Experten für visuelle Effekte. Wir haben mit Andrew Jackson und seinem Mitstreiter Scott Fisher über den beeindruckenden Film gesprochen.

    Universal Pictures

    Es war wohl DAS Thema im Vorfeld des Kinostarts von „Oppenheimer“: Christopher Nolan hat seinen Film ohne CGI gedreht. Selbst die Explosion der Atombombe beim Trinity-Test wurde komplett mit praktischen Effekten bewerkstelligt.

    Die nun im Handel stehende Blu-ray zu „Oppenheimer“ gewährt mit dem sehenswerten Making-Of „Die Geschichte unserer Zeit: Die Entstehung von Oppenheimer“ unter anderem auch ausführlich Einblick in die Arbeit mit praktischen Effekten und zeigt, wie kreativ die Verantwortlichen Lösungen für die verschiedenen Probleme fanden. Schließlich galt es nicht nur den Trinity-Test nachzubauen, sondern auch Wände wackeln zu lassen und Oppenheimers (Alb-)Traum-Visionen zu visualisieren.

    Verantwortlich für all das sind vor allem zwei Männer: Andrew Jackson ist Christopher Nolans Visual Effects Supervisor und war die allererste Person, die nach Nolans Frau und Produzentin Emma Thomas das Drehbuch zu „Oppenheimer“ lesen durfte. Denn Jackson ist dafür verantwortlich, wie alle Effekte am Ende auf der Leinwand aussehen. Scott Fisher ist Nolans Mann für die konkreten Spezialeffekte, baut nötige Gadgets und jagt Dinge in die Luft. Wobei die beiden Oscarpreisträger uns im Interview verraten, dass ihre Arbeit nicht streng voneinander getrennt werden kann, sondern beide sehr eng an allem zusammenarbeiten.

    In unserem Gespräch zum Heimkino-Start von „Oppenheimer“ geht es natürlich vor allem darum, was es für Herausforderungen gab, den Film komplett mit praktischen Effekten zu machen und wie sich das im fertigen Film zeigt. Daraus entstand ein unserer Meinung nach sehr interessanter Austausch – nicht nur für alle, die sich für das Handwerk hinter einem Film interessieren.

    Falls ihr übrigens wissen wollt, warum es Christopher Nolan so wichtig war, bei „Oppenheimer“ komplett auf CGI zu verzichten, obwohl er in anderen Filmen natürlich auch Dinge am Computer erzeugte, empfehlen wir euch vorab auch noch unser ausführliches Interview mit dem Regisseur selbst:

    "Das ist Missbrauch der Kunst": Christopher Nolan erklärt uns, warum er bei "Oppenheimer" auf CGI verzichtet hat

    FILMSTARTS: Was war euer erster Gedanke, als Christopher Nolan sagte: „Wir müssen für meinen nächsten Film eine Nuklearexplosion nachstellen – aber wir machen es nicht so wie in ,The Dark Knight Rises' mit CGI, sondern komplett mit praktischen Effekten“?

    Andrew Jackson: Ich wusste erst einmal, dass es viel Arbeit werden würde. Aber ich wusste auch, dass es am Ende gelingen würde. Und vor allem wusste ich, dass es sich – so wie Chris die Dinge angeht – am Ende viel größer und realer anfühlen wird als jede CGI-Version. Und das hat ja geklappt.

    Scott Fisher: Es hat mich sehr an unsere Arbeit an „Dunkirk“ erinnert, wo wir mit Miniaturflugzeugen gearbeitet haben. Da brauchten wir auch kein CGI, sondern haben viel mit Skala und Perspektive gespielt. Auch weil es ein so isoliertes Ereignis mitten in der Wüste im Nirgendwo war, konnten wir den gleichen Trick bis zu einem gewissen Grad wieder anwenden. Wir konnten mit der Kamera näher dran, als das echte Ereignis je fotografiert wurde, und so natürlich die Explosion größer erscheinen lassen als sie war.

    Alle Dinge mit Effekten – bei Christopher Nolan ist das eine große Abteilung

    FILMSTARTS: Wie genau läuft die Arbeit zwischen einem Visual Effects Supervisor und einem Special Effects Supervisor bei einem Film wie „Oppenheimer“ eigentlich ab? Wie entscheidet ihr, wer welchen Teil und welche Aufgaben übernimmt?

    Andrew Jackson: In dem wir wirklich alles zusammen machen. Es gibt keine wirkliche Trennung. Chris hat den Ansatz, dass er die Effekte als eine einzige große Abteilung betrachtet. Es interessiert ihn nicht, wer von uns die Antworten auf die Dinge findet und wie sie erreicht werden - solange es am Ende gut aussieht.

    Es gibt also keine klare Trennung, wobei es natürlich ein paar Bereiche gibt, in die einer von uns nicht so involviert ist. Ich mache zum Beispiel keine Pyrotechnik, das ist Scotts Job. Aber die Entscheidung, wie wir es machen, ist am Ende immer eine gemeinsame. Und das haben Scott und ich bei allen Filmen von Christopher Nolan so gehandhabt.

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    Cillian Murphy beobachtet wie die Bombe explodiert.

    FILMSTARTS: Es wurde viel darüber geredet, dass die Explosion der Trinity-Bombe nur mit handgemachten Effekten umgesetzt wurde. Was mich aber beim Schauen des Making-Ofs auf der Blu-ray beeindruckt hat, ist, dass ihr wirklich ALLES praktisch und direkt vor der Kamera umgesetzt habt – von den wackelnden Wänden bei Oppenheimers Rede über seine Visionen bis hin zur subatomaren Welt – und was für Lösungen ihr für jede diese Visualisierungen gefunden habt. Wie lange dauerte denn da der Brainstorming-Prozess, um überhaupt all diese Ideen zu haben?

    Scott Fisher: Gar nicht so lange und das war am Ende die größte Herausforderung. Denn der Zeitrahmen war gar nicht so groß - und darin mussten wir Experimente anstellen, damit Dinge herauszufinden, diese dann Chris zeigen und von ihm erfahren, ob wir hier die richtige oder vielleicht die falsche Richtung einschlagen. Dann schnell eine 2.0-Version davon machen, damit er diese filmen kann... Das war wirklich ein richtiger Schnellfeuer-Prozess.

    Andrew Jackson: Der Experimentierprozess setzte sich deswegen auch die kompletten Dreharbeiten bis zum Ende fort. Wir haben schon gedreht und in der Zeit immer noch ständig weiter rumprobiert. Wir haben extra ein kleines Studio gebaut, ein eigenes Zelt am Set, und sind mit der Haupteinheit herumgereist, damit wir immer Zugang zu Chris hatten, ihm neue Ideen und Ansätze direkt zeigen konnten, um diese sofort zu diskutieren und weiterzuentwickeln.

    Die größte Herausforderung? Was für Bilder erzeugen wir eigentlich!

    FILMSTARTS: Und welche der verschiedenen Szenen war neben Trinity die größte Herausforderung?

    Andrew Jackson: Da gab es eigentlich gar nicht ein spezielles Problem. Die größte Herausforderung war es, herauszufinden, was wir überhaupt machen werden. Denn die Dinge, die wir brauchten, die Bilder, welche ihr nun sehen könnt, waren im Drehbuch überhaupt nicht genau beschrieben. Wir hatten da also viel Freiheit.

    Scott Fisher: Zumal es ja auch keine Vorlagen in der Realität gibt. Es gibt keine visuelle Darstellung von diesem ganzen Geschehen auf der Quantenebene.

    Andrew Jackson: Ja, das war die Herausforderung. „Hier ist ein Gedanke, jetzt überlegt euch, wie man diesen Gedanken in bewegte Bilder umsetzen kann“ – und zwar bewegte Bilder, die gut vor einer Kamera aussehen und die man auch mit einer Kamera, idealerweise sogar einer großen IMAX-Kamera, filmen kann.

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    Der Dreh mit IMAX-Kameras war eine besondere Herausforderung.

    FILMSTARTS: Dabei ist es umso erstaunlicher, dass ihr oft gar nicht die große und sehr aufwändige Lösung gewählt hat. Wenn es um die gerade angesprochene Darstellung von Geschehen auf einer Quantenebene geht, sehen wir im Making-Of, wir ihr einfach mit magnetischen Kugeln in einem Gefäß herumprobiert. Kann man so eure Arbeit beschreiben? Dass es gar nicht um komplexe Lösungen, sondern um die einfachen Ideen geht?

    Scott Fisher: Das ist so großartig an Chris. Er denkt nicht in Kategorien wie „einfach“ oder „komplex“. Er weiß, was er braucht, um seine Story zu erzählen. Wenn er unser Ergebnis sieht, braucht er dazu keine Hintergrundgeschichte. Es sieht gut aus? Dann ist es gut!

    Andrew Jackson: Aber natürlich versuchen wir die einfachste Lösung zu finden. Denn in komplizierten Dingen kann man sich ganz schön verzetteln.

    Selten war Sound besser als in "Oppenheimer": Wir sprechen mit der Legende, die Christopher Nolans Filme so einzigartig klingen lässt.

    FILMSTARTS: Lernt ihr als alte Hasen im Geschäft auch noch neue Tricks, um die Herausforderungen zu meistern, die euch ein Film wie „Oppenheimer“ stellt?

    Scott Fisher: Ja, nicht nur bei „Oppenheimer“, das ist bei jedem Projekt der Fall. Du versuchst immer noch etwas Besseres zu basteln – egal um welches Gadget es geht. Ich habe zum Beispiel schon sehr viele Explosionen gemacht. Wenn ich jetzt eine neue machen muss, baue ich natürlich auf meine Erfahrungen aus den vorherigen Filmen auf, beziehe bereits einmal gemachte Dinge ein. Ich weiß, was geklappt hat, was nicht geklappt hat. Aber ich versuche es jedes Mal noch ein wenig besser zu machen – gerade bei den Filmen von Chris.

    Andrew Jackson: Was ich bei diesem Film mehr als bei allen anderen Projekten gelernt habe: Die Beschränkung auf einen ganz speziellen Ansatz ist keine schlechte Sache, sondern ein sehr belohnender Prozess. Weil wir nur ein begrenztes Set an Handwerkszeug zur Verfügung hatten, mussten wir tiefer graben, um Lösungen zu finden. Doch du weißt immer, dass es diese Lösung gibt, du musst sie nur finden. Und dieses Finden war am Ende ein sehr befriedigendes Gefühl, welches ich bei früheren Filmen nie so hatte.

    Nukleare Explosion? Kein Problem! Aber ein Büro...

    FILMSTARTS: Ein schöner Moment des von euch bereits angesprochenen Team-Gedankens wird auch im Making-Of sichtbar. Ein Kapitel beleuchtet, dass beinahe das Oval-Office-Set nicht rechtzeitig fertiggestellt wurde und du, Scott, dann auch einspringen musstest, um zu helfen. Gab es da mal kurz den Moment, als ihr dachtet: „Oh, nein! Wir bekommen hier den Trinitiy-Test und subatomare Ebenen hin, aber plötzlich scheitert es an einem Büro?“

    Scott Fisher: Das ist die Arbeit an so einem Film. Wenn es plötzlich eine Herausforderung gibt, die getan und die gemeistert werden muss, wenn Dinge schiefgehen, dann packen alle mit an und tun einfach, was sie tun können. Ich habe da auch nur eine sehr kleine Rolle gespielt. Ich habe ihnen ein paar Dinge gebaut, die sie selbst in dem vorgegebenen Zeitrahmen nicht schaffen konnten. Aber so sind wir beim Film – das ist alles sehr kollaborativ.

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    Christopher Nolan vermittelt seine Vorstellungen.

    FILMSTARTS: Die Zusammenarbeit ist ein gutes Stichwort, bei der ich das Gespräch noch mal auf Christopher Nolan lenken will. Im bereits angesprochenen Making-Of erzählt Cillian Murphy die lustige, aber sicher einen sehr wahren Kern beinhaltende Anekdote, dass Christopher Nolan beim Haareschneiden daneben stand und bei jedem einzelnen Haar, das abgeschnitten wurde, überwacht hat, dass es das richtige ist. Er ist also sehr kontrollierend, andererseits erzählt ihr und auch eure Kolleg*innen, wie viel Freiheit er euch gibt. Wie zeigt sich diese Mischung?

    Andrew Jackson: Chris gibt dir erst einmal sehr viel Freiheit, dich auszuprobieren, und erwartet dafür auch, dass du Ideen lieferst. Je näher wir aber der Fertigstellung des Films kommen, desto spezifischer wird er, weil er nun sehr genau weiß, was funktioniert und was er haben will. Und das geht dann wirklich hinunter bis zur kleinsten Ebene, wenn es um die finale Fassung des Films geht.

    Du kannst am Anfang noch nicht so spezifisch sein, wenn alles noch ungewiss ist. Es gibt hier einfach noch zu viele Möglichkeiten. Aber wenn du dich dem Ende näherst, musst du ziemlich genau wissen, was der Film ist. Dann geht es wirklich darum, die allerkleinsten Details zu verfeinern, um ihn auch perfekt zu machen. Wenn du das aber schon zu Beginn machst, schränkst du die Leute zu sehr ein. Hier musst du viel delegieren und andere einladen, ihre Ideen einzubringen. Und die Fähigkeit, das zu vereinen, macht ihn wirklich zu so einem guten Filmemacher.

    Das Ende von "Oppenheimer" erklärt: Darum ist es das erschütterndste Finale aller Zeiten

    FILMSTARTS: Nun habt ihr beide nicht nur mit Christopher Nolan gearbeitet, sondern auch viele andere eindrucksvolle Werke in eurer Vita. Eine deiner bekanntesten Arbeiten, Andrew, ist „Mad Max: Fury Road“ und Scott, du hast zuletzt an „Top Gun: Maverick“ gearbeitet. Es sind beides Filme, die auch dafür bekannt sind, dass zumindest bestimmte Teile praktisch gemacht wurden. Wie „Oppenheimer“ wurden beide gefeiert. Daher zum Abschluss unseres Interviews die Frage: Warum setzt trotz solcher Beispiele die überwältigende Mehrheit der großen Blockbuster trotzdem auf ganz viel Green-Screen und CGI?

    Andrew Jackson: Praktische Effekte sind schwieriger...

    Scott Fisher: … und das Handwerk ist ein wenig unbekannter geworden. Es hat sich zudem diese Vorstellung verbreitet, dass du visuelle Effekte ständig optimieren können musst, bis du am Ende zufrieden bist – statt entscheidungsfreudig zu sein und zu sagen: „Wir werden dies tun, wir werden jenes tun!“ Wenn du praktische Effekte nutzt, musst du dich halt auch einfach mal festlegen.

    Andrew Jackson: Genau! Und das macht Chris. Er ist entscheidungsfreudig. Lass mich als Beispiel kurz über die von dir bereits angesprochenen wackelnden Wände reden. Wir haben dazu eine Projektionstechnik am Set verwendet. Wenn Oppenheimer besonders nervös ist, wackelt der Hintergrund und bewegt sich. Wir haben dazu vorher den Hintergrund fotografiert, ihn projiziert, ihn dabei wackeln lassen und das erneut projiziert. Chris hat so die Szene mit Cillian Murphy vor einem bereits für alle Augen am Set wackelnden Hintergrund gefilmt. Er hat nicht zusätzlich noch eine „cleane“ Version der Szene gedreht. Er hat es direkt so gedreht, weil er wusste, dass dies gut so ist und er ist dies so im Film haben will.

    Scott Fisher: Alle Filmemacher*innen sind da anders. Als wir „Dunkirk“ machten, war er direkt dagegen, CGI-Flugzeuge zu nutzen und wollte es mit Modellen drehen. Du hast „Top Gun“ erwähnt. Als ich für die Fortsetzung angeheuert wurde, dachte ich, dass dies aufgrund meiner „Dunkirk“-Erfahrung geschieht und sie auch Modelle nutzen wollen. Doch sie sagten mir direkt: „Nein, nein, wir brauchen keine Modelle. Wir machen das mit CGI!“ Als ich dazukam, hatten sie diese Entscheidung also schon getroffen und sind diesen Weg weitergegangen.

    Oppenheimer“ ist nun auch auf DVD und Blu-ray sowie digital erhältlich. Auf der Blu-ray finden sich dabei zahlreiche Extras wie das bereits eingangs erwähnte, spielfilmlange Making-Of, welches euch einen sehr guten Einblick in die Entstehung dieses außergewöhnlichen Films geben.

    "Oppenheimer" wäre beinahe gescheitert – doch eine der besten Comedy-Serien der letzten Jahre rettete Christopher Nolans Vision

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