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    Ad Astra - Zu den Sternen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ad Astra - Zu den Sternen

    Brad Pitts Antwort auf "Gravity" und "Interstellar"

    Von Christoph Petersen

    Seit Disney gigantische 71,3 Milliarden Dollar für die Übernahme des Studiokonkurrenten 21st Century Fox auf den Tisch gelegt hat, ist zuletzt ein Fox-Film nach dem anderen gefloppt – mit dem gnadenlos abgeschmierten „X-Men: Dark Phoenix“ als absolutem Supergau. Als ein möglicher Grund für den nicht abreißenden Strom an Kassenflops wird dabei auch immer wieder genannt, dass es die inzwischen auch für Fox-Produktionen zuständige Marketingabteilung des Mäusestudios einfach nicht mehr gewohnt ist, Werbung für Filme zu machen, die sich anders als das aktuelle Disney-Line-Up von „Avengers 4“ über „Der König der Löwen“ bis zu „Star Wars 9“ nicht wie von alleine verkaufen. Natürlich lässt sich von außen nur sehr schwer einschätzen, ob an dem Vorwurf etwas dran ist. Aber wenn dem so sein sollte, dann bedeutet das ganz sicher nichts Gutes für James Grays „Ad Astra – Zu den Sternen“. An dem Sci-Fi-Drama mit Superstar Brad Pitt ist von der gedämpften Atmosphäre bis zum eigenwilligen Tempo schließlich trotz des stolzen Budgets von fast 90 Millionen Dollar nur wenig „leicht vermarktbar“.

    In der nahen Zukunft wird die Menschheit von elektromagnetischen Stürmen bedroht, die verheerende Schäden anrichten. In dieser Situation wird Major Roy McBride (Brad Pitt) mit einer sehr persönlichen Geheimmission betreut: Der erfahrene Astronaut soll nach einem Zwischenstopp auf dem Mond bis zum Mars reisen, um dort eine Botschaft aufzunehmen und in Richtung Neptun zu senden. Die zuständige Weltraum-Behörde vermutet nämlich, dass hinter den Stürmen eine vermeintlich schon längst zerstörte Wissenschaftsstation zur Aufspürung von intelligentem Leben im All stecken könnte. Die gilt mitsamt ihrer Besatzung zwar schon seit 16 Jahren als verschollen, aber es gibt Hinweise darauf, dass ein Teil der Crew die Kommunikation bewusst abgebrochen und all die Jahre im Geheimen weitergemacht hat. Und da es sich bei dem inzwischen als Märtyrer und Held gefeierten Stationsleiter Clifford McBride (Tommy Lee Jones) um den Vater von Roy handelt, ist die letzte Hoffnung, dass er zumindest auf die Nachrichten seines eigenen Sohnes reagieren wird ...

    Egal was im Weltraum alles schiefgeht: Roy behält immer einen kühlen Kopf!

    Kurz bevor die Landefähre Eagle auf dem Mond aufgesetzt hat, schlug das Herz von Neil Armstrong mit 156 Schlägen pro Minute – ein niedriger Wert in dieser absoluten Stresssituation mit tönenden Alarmleuchten, kaum Resttreibstoff und der Aussicht, in wenigen Sekunden als erster Mensch den Mond zu betreten. Diese Zurückhaltung ist nur mit einer unglaublichen psychischen und physischen Vorbereitung zu erreichen, während jedem „normalen“ Menschen das Herz in derselben Situation wahrscheinlich geradewegs aus dem Hals gesprungen wäre. Als Roy McBride in der ersten Szene von „Ad Astra“ nach einer Explosion von einer Space-Antenne mehrere Zehnkilometer tief in Richtung Erde stürzt, während er dabei so schnell um die eigene Achse trudelt, dass er schließlich sogar das Bewusstsein verliert (übrigens eine großartig gefilmte Sequenz), steigt sein Puls dabei nie über 80 Schläge pro Minute. Stress, Aufregung und sogar schiere Panik lässt er nicht an sich heran, selbst dem vermeintlich sicheren Tod ins Auge blickend bleibt Roy absolut cool. Seine eigenen Gefühle nimmt er nur sehr gedämpft wahr, fast wie durch eine Taucherglocke oder eben einen Raumfahrtanzug. Für Roy, der aus diesem Grund auch seine Frau Eve (Liv Tyler) von sich weggeschoben hat, ist das vor allem ein Überlebensmechanismus …

    … aber James Gray („Die versunkene Stadt Z“) hat Roys distanzierte (Selbst-)Wahrnehmung direkt zum zentralen Grundpfeiler seines Films gemacht. Es gibt in „Ad Astra“ jede Menge spektakuläre Bilder und Szenen, darunter eine wütende Primaten-Attacke in der Schwerelosigkeit sowie eine „Mad Max“-artige Mond-Rover-Verfolgungsjagd. Dass diese bei nur etwa einem Sechstel der üblichen Erdgravitation erfolgt, verleiht den crashenden Rovern eine der Brutalität der Zerstörung diametral entgegenstehende Leichtigkeit. Aber im selben Moment scheint Gray aus solchen Szenen anders als etwa Christopher Nolan oder Alfonso Cuarón, die in „Interstellar“ beziehungsweise „Gravity“ auch immer mal wieder gerne mit ihren herausragenden technischen Leistungen protzen, keine große Sache machen zu wollen. Gray liefert Spektakuläres, aber hält es seinem Publikum dann nicht auch noch zusätzlich unter die Nase – eine eigentlich sehr angenehme Herangehensweise, selbst wenn viele Zuschauer „Ad Astra“ deshalb als geradeheraus langweilig wahrnehmen werden.

    Linienflug zum Mond

    Knapp die erste Hälfte von „Ad Astra“ besteht praktisch nur aus Roys Reise zum Mars – bis zum Mond übrigens noch mit einem kommerziellen Linienflug, damit die Mission nicht auffliegt. Das hätte man sicherlich alles mit einem einzigen Schnitt erledigen können, auch weil kaum etwas tatsächlich Handlungsrelevantes zu Beginn des Trips geschieht. Aber zugleich sind diese Szenen vollgestopft mit etlichen kleinen Details, die zeigen, wie sehr sich Gray und sein Co-Autor Ethan Gross eben doch mit der Zukunft der Raumfahrt auseinandergesetzt haben, selbst wenn sie es einem nicht die ganze Zeit dick aufs Brot schmieren. Das geht hin bis zu dem astronomischen Preis für den Bordservice, der von der Stewardess ganz nonchalant nebenbei genannt wird – denn natürlich ist es viel, viel aufwändiger, Kissen und Decken in einer Mondrakete als in einem easyJet-Flug vorrätig zu halten. Und natürlich sticht einem auf der Mondoberfläche als erstes das unverkennbare Leuchtreklame-Logo der Familienrestaurant-Kette Applebee’s ins Auge. Denn wie sagt doch Roys anfänglicher Begleiter Colonel Pruitt (Donald Sutherland): Die Menschen wollen soweit wie möglich von der Erde weg – und tun dann alles, damit es dort genauso aussieht, wie sie es von Zuhause gewohnt sind.

    Auf dem Mars erfährt Roy Dinge, die seine Sicht der Dinge noch einmal komplett über den Haufen werfen.

    Weit weniger subtil ist leider die im Zentrum von „Ad Astra“ stehende Metapher umgesetzt: Roy reist an einen der entferntesten Orte des Sonnensystems, nur um ausgerechnet dort endlich das erdrückende Vermächtnis seines Vaters zu verarbeiten. Der ist schließlich einst vor seiner Frau und seinem Sohn ins All geflüchtet – und dort entweder zum Helden oder zum Monster mutiert. Es gibt sogar eine symbolische Durchtrennung der Nabelschnur. So driftet dieser Handlungsfaden immer wieder zumindest in Richtung Küchenpsychologie – genauso wie die schwermütig-bedeutungsschwangeren Off-Kommentare von Roy mitunter an der Grenze zum unfreiwillig Komischen kratzen.

    Dass „Ad Astra“ trotzdem auch auf einer emotionalen Ebene gut funktioniert, liegt deshalb vor allem an der Leistung von Brad Pitt selbst. Der Oscargewinner (als Produzent von „12 Years A Slave“) brilliert ja eigentlich immer, wenn er jemanden verkörpert, der einfach auf eine total abgeklärte Weise gut in seinem Job ist - ganz egal ob als Gauner („Ocean’s“-Trilogie), Baseball-Manager („Die Kunst zu gewinnen - Moneyball“) oder Stuntman („Once Upon A Time… In Hollywood“). Aber in „Ad Astra“ schwingt da zudem immer auch eine düster-verstörende, zutiefst tragische Note mit, die seine Performance einfach unheimlich aufregend macht – selbst bei einem Ruhepuls von 45.

    Fazit: Einzelne Elemente von „Ad Astra – Zu den Sternen“ erinnern zwar an „Gravity“ oder „Interstellar“, aber am Ende ist der Film vor allem dank James Grays eigenwilliger Temposetzung doch durch und durch einzigartig. Sollte man als Kino- oder Sci-Fi-Fan unbedingt riskieren, selbst wenn der Film am Ende sicherlich nicht jedermanns Sache sein wird.

    Wir haben „Ad Astra“ bei den Filmfestspielen in Venedig gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

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