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    Pleasantville - Zu schön, um wahr zu sein
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Pleasantville - Zu schön, um wahr zu sein
    Von Andreas Staben

    Wer als Kino-Drehbuchautor in Hollywood nicht an einem Sequel, Prequel oder Remake, an einem Reboot oder einem Spin-Off arbeitet, der muss mindestens eine aus anderer Quelle bekannte Vorlage bearbeiten – bevorzugt einen Comic oder eine TV-Serie, gerne aber auch einen anderen Bestseller und sei es in Form eines Brettspiels oder eines sozialen Netzwerks. Was nicht in dieses Schema passt, hat meist nur dann eine Chance, wenn es den Managern und Geldgebern in möglichst wenigen Worten verklickert werden kann. Also etwa „Junge wünscht sich, erwachsen zu sein und erwacht am nächsten Morgen im Körper eines Dreißigjährigen" oder „Ein einfacher Mann, der dem korrupten Präsidenten zum Verwechseln ähnlich sieht, wird als dessen Doppelgänger engagiert und gibt dem Amt die Würde zurück". Aus diesen beiden griffigen Formeln wurden tatsächlich erfolgreiche Filme: In „Big" glänzte Tom Hanks als großes Kind, und Ivan Reitman bewarb sich mit „Dave" um die Nachfolge von Frank Capra. Für Autor Gary Ross gab es jeweils eine Oscar-Nominierung, bei der Umsetzung seines nächsten kompakten Konzepts durfte er sich 1998 dann erstmals selbst in den Regiestuhl setzen. Aus der an sich nicht unbedingt originellen Prämisse „Bruder und Schwester werden per Fernbedienung in eine Heile-Welt-Sitcom der Fünfziger katapultiert" machte er mit „Pleasantville" eine warmherzige, clevere und überraschend vielschichtige Mischung aus Drama und Komödie.

    Die Scheidungskinder David (Tobey Maguire) und Jennifer (Reese Witherspoon) freuen sich über eine sturmfreie Bude, ihre Mutter (Jane Kaczmarek) ist übers Wochenende unterwegs. Doch schnell bricht Streit zwischen den Geschwistern aus. Während Jennifer sich mit ihrem Date ein Konzert auf MTV ansehen will, hat sich David schon die ganze Woche auf die gleichzeitig startende Marathonausstrahlung seiner Lieblingsserie „Pleasantville" aus den Fünfzigern gefreut und auf das zugehörige Quiz vorbereitet, bei dem 1.000 Dollar als Gewinn in Aussicht stehen. Beim Gerangel geht die Fernbedienung entzwei, aber prompt steht ein mysteriöser TV-Techniker (Don Knotts) mit Ersatz vor der Tür. Ein Knopfdruck und die beiden Teenager finden sich plötzlich als Bud und Mary-Sue Parker in Pleasantville wieder. Dank Davids genauer Kenntnis der Serie gelingt es ihnen halbwegs überzeugend in ihre Rollen zu schlüpfen. Aber bald erschüttert ihr abweichendes Verhalten die Stabilität des Sitcom-Universums und nicht nur das Leben der Serieneltern George (William H. Macy) und Betty Parker (Joan Allen) wird geradezu auf den Kopf gestellt...

    Die selbstreflexive Erkundung der Welt „hinter dem Spiegel" in einer Fiktionalität zweiten Grades ist kein neues erzählerisches Motiv, selbst die deutschen „Supernasen" Mike Krüger und Thomas Gottschalk gerieten als „Die Einsteiger" schon in das Innere des Fernsehens hinein. Gary Ross war als Kind eines Drehbuchautoren - Arthur Ross schrieb unter anderem das Skript zu Jack Arnolds Science-Fiction-Kult „Der Schrecken vom Amazonas" und erhielt für seine Beteiligung am Gefängnisdrama „Brubaker" eine Oscar-Nominierung – von klein auf mit der Fabrikation narrativer Welten vertraut und weiß daher, dass es weniger auf die Idee selbst ankommt, als vielmehr auf ihre gelungene Umsetzung. So besticht „Pleasantville" dann auch nicht so sehr durch sein zuweilen etwas schematisch umgesetztes Konzept selbst. Wenn etwa gleich zu Beginn in einer kurzen Montagesequenz die Lehrer an Davids und Jennifers Schule mit ihren Vorträgen über schlechte Perspektiven am Arbeitsmarkt, die Aids-Epidemie, Klimakatastrophen und Hungersnöte referieren, dann dient dieser etwas aufdringliche Verweis auf die realen Probleme in der filmischen Gegenwartsebene in erster Linie als Kontrapunkt zum perfekten und sorgenfreien Leben in Pleasantville, wo das Thermometer stets auf 23 Grad steht und immer die Sonne scheint, wo es keine Gewalt gibt und die Feuerwehr nur zur Katzenrettung ausrücken muss.

    Die klaren inhaltlichen Gegensätze werden formal ebenso deutlich ergänzt: Die Gegenwart ist farbig und die Sitcom schwarz-weiß. Gerade diese zunächst nicht gerade subtil anmutende Entscheidung gewinnt jedoch im Lauf der Erzählung ungeahnte Überzeugungskraft. Im sterilen und still stehenden Weltentwurf der spießigen Fünfziger mit seinen getrennten Betten und der traditionellen Rollenverteilung werden die ersten Farbtupfer zu Vorboten der Veränderung. Das graue Pleasantville wird von der Farbe geradezu infiziert. Zunächst ist es eine einzelne Rose, die unerhört leuchtet, dann eine Kaugummiblase und ein brennender Baum. Diese Bilder haben nicht nur die angesprochene symbolische Bedeutung, sondern besitzen auch poetischen Eigen- und Mehrwert. Ross gelingt es überzeugend, die Technik mit ihren zahlreichen Computereffekten (gedreht wurde in Farbe, mit verschiedenen Methoden wurden die schwarzweißen Elemente erzeugt) in den Dienst seiner Erzählung zu stellen. Das kulminiert mit dem großen Wandgemälde, das die Selbstfindung des Diner-Wirtes Bill Johnson (Jeff Daniels) als Künstler markiert und gibt auch den Szenen der Bücherverbrennung und der Verfolgung der „Farbigen" Prägnanz.

    Gary Ross macht nicht den Fehler, seine beiden Ebenen ausschließlich gegeneinander auszuspielen. Trotz aller Repression fängt er auch den Charme von Pleasantville ein und nimmt die nostalgische Sehnsucht nach einer heilen Welt ernst. Wenn beim Basketballtraining buchstäblich jeder Wurf im Korb landet, lässt sich in diesem einfachen Bild die ganze Komplexität ablesen: Die Perfektion ist ein Traum, aber ihr Erreichen nimmt dem Spiel seinen Sinn. Das gilt für das gesamte Leben in Pleasantville. Sobald das Bewusstsein dafür geweckt ist, dass es eine Welt außerhalb des Städtchens gibt, löst sich die Selbstgenügsamkeit dieses Universums allmählich auf. Der eigentliche Konflikt ist letztlich der zwischen den beiden menschlichen Grundbedürfnissen nach Freiheit und Sicherheit. Die Entdeckung der Gemeinsamkeit solcher Sehnsüchte verbindet schließlich auch die einzelnen Figuren über die zeitlichen und räumlichen Grenzen hinaus miteinander – so kann sich die forsche Jennifer, die den Sex nach Pleasantville bringt, erst dort tatsächlich emanzipieren, indem sie ihr Selbstverständnis überdenkt.

    Eine Erzählung über das Individuelle und das Kollektive kann erst durch überzeugende Einzelleistungen ihr ganzes Potential entfalten und so liegt die größte Leistung des Autors und Regisseurs in der Auswahl und Anleitung einer exzellenten Besetzung. Vom verträumten Tobey Maguire, der erst als Bud Parker Selbstbewusstsein gewinnt und am Ende auch als David auf seine Mutter zugehen kann und der kecken Reese Witherspoon gilt dies bis in Nebenrollen hinein (unter anderem sind in kleinen Parts Paul Walker und Marley Shelton zu sehen). Die eindrucksvollsten Darbietungen geben aber die Veteranen Joan Allen („Nixon"), William H. Macy („Fargo") und Jeff Daniels („The Purple Rose of Cairo"). Nicht zufällig sind die Szenen, in denen die drei mit den Veränderungen ihrer Welt konfrontiert werden, klare Höhepunkte des Films. Hier ist „Pleasantville" ganz bei sich und mehr als ein clever ausgeführtes Konzept, denn die Schauspieler offenbaren seinen emotionalen Kern.

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