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    Das Bourne Vermächtnis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das Bourne Vermächtnis
    Von Carsten Baumgardt

    Ein Bourne-Film ohne Jason Bourne? Ein Matt-Damon-Franchise ohne Matt Damon? Hört sich komisch an, aber genau das ist „Das Bourne Vermächtnis". Besagter Herr Damon verlor nach drei qualitativ wie kommerziell höchst überzeugenden „Bourne"-Action-Thrillern die Lust, ohne seinen Stamm-Regisseur Paul Greengrass in die Heldenrolle zu schlüpfen. Der wiederum hat sich allerdings heillos mit Drehbuchautor Tony Gilroy zerstritten und meint sowieso, dass die Geschichte um den Ex-Regierungskiller Jason Bourne auserzählt sei. Der Superstar hielt trotzdem in Nibelungentreue zu seinem Regiefavoriten und so fuhr der „Bourne"-Zug ohne Damon und mit dem neuen starken Mann Tony Gilroy als Regisseur und Drehbuchautor in der Schaltzentrale ab. Eine mutige Entscheidung des Universal-Studios und ein riskanter operativer Eingriff. Das Herzstück wurde entfernt und so wirkt „Das Bourne Vermächtnis", der zeitlich parallel zu „Das Bourne Ultimatum" angesiedelt ist, ein wenig wie eine filmische B-Seite, auf der alles scheinbar Nebensächliche abgespielt wird, was nicht mehr in Teil 3 gepasst hat. Das heißt aber eben nicht, dass der neue Film enttäuscht – im Gegenteil: Tony Gilroy gibt der Spionage-Reihe eine neue Richtung, ohne die ersten drei Filme zu verraten und verhandelt spannende moralische Themen, die komplexer sind als noch bei Jason Bournes atemberaubendem Dauerlauf.

    Die hartnäckige Jagd des entlaufenen Superagenten Jason Bourne nach der eigenen Identität hat den Geheimdienst aufgeschreckt. Keine Spur soll von dem geheimen Treadstone-Programm, in dem Bourne und andere Auftragsmörder ausgebildet und hochgezüchtet wurden, und von ähnlichen Projekten bleiben. Das entscheidet Eric Byer (Edward Norton), der Direktor der Geheimorganisation NRAG (National Research Array Group), nachdem Hintergründe an die Öffentlichkeit zu geraten drohen: Alle Superagenten sollen sterben. Davon betroffen ist auch Aaron Cross (Jeremy Renner), der als Agent Nummer 5 an einem Programm namens Outcome teilnimmt. Der durch genetische Veränderung auf beinahe übermenschliche Topleistung getrimmte Killer entgeht einer ferngesteuerten Drohne, die ihn töten soll. In einem Labor in Maryland sterben bei einem Amoklauf weitere Mitwisser und Mitarbeiter des Programms, nur die Wissenschaftlerin Dr. Marta Shearing (Rachel Weisz) überlebt. Als die Genetik-Spezialistin auch ausgelöscht werden soll, greift Aaron Cross rettend ein. Gemeinsam flüchten die zwei, aber Cross gehen langsam die Medikamente aus, die seine komplizierte Körperchemie im Gleichgewicht halten.

    Die seit 2002 nach Motiven von Robert Ludlum existierende „Bourne"-Reihe hat sich in einer passenden Nische, irgendwo zwischen James Bond und „Mission: Impossible", eingenistet und wurde kurioserweise mit jedem der ersten drei Filme besser - Paul Greengrass, der Nummer 2 und 3 als Regisseur verantwortete, sorgte mit der phantastischen Hochgeschwindigkeitshatz in „Das Bourne Ultimatum" für den furiosen Höhepunkt. Das konnte Tony Gilroy mit „Das Bourne Vermächtnis" überhaupt nicht toppen, eine Steigerung in puncto Tempo und Dynamik ist rein physikalisch kaum möglich. Deshalb wählt er klug den Weg der Entschleunigung. Es dauert fast eine Dreiviertelstunde, bis die neue Hauptfigur Aaron Cross komplett eingeführt ist und die eigentliche Haupthandlung beginnt. Zuvor wird er bei einem Trip nach Alaska als kernig-bergsteigender harter Hund im Kampf gegen die unwirtliche Natur vorgestellt. Einzig ein Rudel wild gewordener Wölfe macht Cross zumindest ein bisschen nervös. Seine Fähigkeiten gehen durch die Manipulation seines Erbguts noch über die von Jason Bourne hinaus, so rettet ihm sein luchsartiges Gehör gleich zu Beginn schon mal das Leben.

    Gilroy strapaziert die Geduld seines Publikums ein wenig und nimmt sich auffallend viel Zeit, seine komplizierte Verschwörungsgeschichte zu etablieren - ist der komplexe Wust aus Handlungsfäden aber einmal entwirrt, offenbart sich eine Einfachheit, die schlicht erschreckend ist: Alle müssen sterben, weil politisch einfach zu viel auf dem Spiel steht und die US-Geheimdienste sich keinen Skandal ungeahnten Ausmaßes leisten wollen. Diese Konstellation ist nicht unbedingt neu, aber die Art und Weise, wie Gilroy sie umsetzt, lässt einen erschaudern. Er spielt geschickt mit dem Kontrast zwischen kaltblütigen Kungeleien vor Computer-Monitoren in kühlen Konferenzräumen und dem von dort ferngesteuerten heißen Überlebenskampf in freier Natur, im eigenen Heim oder inmitten von Menschenmassen rund um den Globus. Der große Drahtzieher im Hintergrund, NRAG-Chef Byer, setzt seine Macht mit einer derartigen Teilnahmslosigkeit und Kaltschnäuzigkeit ein, dass einen fröstelt. Edward Norton („Fight Club", „American History X") liefert mit dieser eiskalten Darbietung seine beste Leistung seit „25 Stunden". Er verkörpert mit zusammengekniffenen Lippen und ausdruckslosen Augen die komplette Entmenschlichung eines Systems, in dem das Individuum, die Freiheit nichts mehr, die Mission, das Ergebnis dagegen alles ist – wobei die Rechtfertigung für das finstere Treiben mehr als vage ausfällt.

    Das Erbe, das Jeremy Renner („The Hurt Locker") antritt, ist alles andere als ein leichtes. Der Kalifornier macht das Beste daraus und spielt seine eigenen Qualitäten aus. Im Gegensatz zu Matt Damon besitzt Renner, der seit „Mission: Impossible 4" und „Marvel's The Avengers" überhaupt erst in der hochbudgetierten Blockbuster-Eliteliga mitspielt, weder den Charme eines All-American Boys noch ein Larger-Than-Life-Charisma. Und so bemüht er sich auch gar nicht erst, Damon nachzueifern, sondern definiert seinen eigenen, im Vergleich deutlich blasseren Typus. Sein Aaron Cross ist ein zäher Bursche, der nicht abzuschütteln ist, bei aller Grimmigkeit aber auch Nachdenklichkeit und Spuren von Humor zeigt. Bei ihm wird der Kampf ums Überleben zum Kampf um die eigene Menschlichkeit. Durch die recht gut funktionierende Paarung mit Rachel Weisz („Der ewige Gärtner", „Die Mumie") als Fluchtgefährtin wird dieser emotionale Aspekt noch verstärkt. Die Oscar-Preisträgerin verleiht in ihrer limitierten Rolle den genreüblichen panischen Blicken und verzweifelten Schreien immerhin Intensität. Bei solch hervorragenden Talenten hat es Gilroy gar nicht nötig, die Zweckgemeinschaft zu einer landläufigen Liebesgeschichte zu verkitschen.

    Handwerklich hat Tony Gilroy („Michael Clayton", „Duplicity") bei seinem erst dritten Regieeinsatz alles im Griff und zimmert seinen „Bourne"-Beitrag auf hohem Niveau weitgehend schnörkellos zusammen. Im Gegensatz zu seinem Gegenspieler Paul Greengrass („Flug 93") schickt Gilroy die berühmt-berüchtigte wilde „Bourne"-Handkamera dosierter ins Feld, überhaupt hält er sich etwas zurück, was die Action angeht. Zunächst setzt der Regisseur nur bewegungsmächtige Nadelstiche, die erst am Ende der Hetzjagd über den halben Planeten in einer epischen Motorradverfolgung kulminieren. Und er beendet seinen klassisch-geradlinig erzählten Film mit einem wunderbaren Schlussbild, mit dem nicht nur die Lage der beiden Protagonisten sinnfällig auf den Punkt gebracht, sondern auch überaus elegant der Bogen zum Ursprung der Reihe in „Die Bourne Identität" geschlagen wird. Und so wird „Das Bourne Vermächtnis" seinem Titel schließlich voll gerecht. Gilroys Film, der mit einer Hommage an „Das Bourne Ultimatum" beginnt, ist eine eigenständige, aber dennoch vorlagentreue Fortführung der Reihe: ein Sonderling vielleicht, aber sicher kein schwarzes Schaf.

    Fazit: Operation am offenen Herzen geglückt, Patient atmet! Die „Bourne"-Filmreihe ist auch ohne Superstar Matt Damon lebendig. Etwas Vorwissen aus den ersten drei Teilen ist sicher hilfreich, aber „Das Bourne Vermächtnis" überzeugt als Spionage-Action-Thriller mit ambitioniert-komplexer Versuchsanordnung und eigenen Akzenten. Eine B-Seite bietet schließlich auch immer etwas Spezielles, das anderswo keinen Platz hatte...

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