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    Mütter und Töchter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mütter und Töchter
    Von Rochus Wolff

    Auch ohne Todesfälle, Trennungen und Komplikationen ist das Verhältnis von Eltern und Kindern so emotional aufgeladen, dass die Dynamik dieser womöglich engsten menschlichen Beziehungskonstellation mühelos die Drehbücher zahlreicher Kinofilme speist. Für „Mütter und Töchter", seinen vierten Film als Autor und Regisseur, hat Rodrigo Garcia sich einer äußerst komplexen Spezialsituation angenommen. Was passiert, wenn eine Mutter nach mehr als dreißig Jahren versucht, ihre seinerzeit zur Adoption freigegebene Tochter wiederzufinden? Was leicht in einem schmalzigen Rührstück hätte enden können, verflicht García, Sohn des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez, zu einem komplexen, berührenden und sehr persönlichen Drama.

    Karen (Annette Bening) bekam als Teenager eine Tochter, die sie aber auf Drängen ihrer Mutter Nora (Eileen Ryan) zur Adoption freigegeben hat. Heute arbeitet sie als Physiotherapeutin in einem Krankenhaus und pflegt abends Nora, mit der sie zusammenlebt und um die sich tagsüber ihre Haushaltshilfe Sofia (Elpidia Carrillo) kümmert. Nachts träumt Karen oft von ihrem verschwundenen Kind. Nur ihrem neuen Kollegen Paco (Jimmy Smits) gelingt es mit beharrlichem Werben, ihre oft bittere Abwehrhaltung gegen alle Zuwendung zu durchbrechen. Nach dem Tod von Nora kann er Karen davon überzeugen, die Suche nach ihrer Tochter aufzunehmen. Parallel dazu kehrt die erfolgreiche Anwältin Elizabeth (Naomi Watts) wieder nach Los Angeles zurück, während Lucy und Joseph (Kerry Washington, David Ramsey) sich bei der Ordensschwester Joanne (Cherry Jones) darum bemühen, ihrerseits ein Kind adoptieren zu dürfen...

    Die drei Geschichten um einsame Eltern und suchende Kinder – schon frühzeitig wird suggeriert, dass Elizabeth die Tochter von Karen ist – kreisen zunächst suchend umeinander, allein Schwester Joanne bildet als Adoptions-Anlaufstelle so etwas wie ein Bindungsglied zwischen den drei Universen. Erst am Schluss werden die Verbindungen offenbar und Menschen finden oder verlieren sich endgültig.

    Das Irritierende an Garcías Film ist das Ungleichgewicht, das zwischen den einzelnen Erzählungen besteht. Insbesondere die Geschichte um Lucy bekommt deutlich weniger Aufmerksamkeit als jene um Elizabeth und um Karen, und die persönliche Entwicklung von Lucy ist nicht nur stärker durch äußere Einwirkungen erzwungen, sie erscheint auch geradezu abrupt, ist kaum vorbereitet und dadurch wenig überzeugend. Gerade angesichts der Bedeutung, die diese Figur am Ende bekommt, ist das ein Ärgernis – womöglich fielen einige Szenen mit Lucy schlicht der Schere zum Opfer, denn „Mütter und Töchter" ist mit seinen mehr als zwei Stunden Laufzeit ein schon recht langer Film und zugleich so dicht, dass er auch sehr anstrengend sein kann.

    Die emotionale Wucht des Film ist vor allem der intensiven Präsenz von Annette Bening („American Beauty") zu verdanken. Ihre Figur durchschreitet alle vorstellbaren psychischen Höhen und Tiefen - und Benning spielt die anfangs in ihren Gefühlen wie ihrer Mimik regungslose Karen zunehmend offener, aber auch verletzlicher. Es ist nach „The Kids Are All Right" ihre zweite bemerkenswerte Rolle innerhalb eines Jahres, nachdem sie in der vergangenen Dekade nur noch sporadisch auf der Leinwand zu sehen war. Da bleibt nur zu hoffen, dass sie sich in den nächsten zehn Jahren nicht wieder so rar macht.

    Naomi Watts' („King Kong") Elizabeth ist zunächst deutlich weniger komplex angelegt. Schon ihr erster Auftritt, ein Bewerbungsgespräch bei ihrem neuen Boss (Samuel L. Jackson, „Pulp Fiction"), charakterisiert sie als entwurzelte Person mit wenig Bereitschaft, sich dauerhaft zu binden. Das Drehbuch dichtet ihr dann auch nicht nur gleich zwei Affären an, sondern auch eine zynische Freude daran, die Verlogenheit anderer bloßzustellen. Die implizite und vielleicht reaktionäre Botschaft von „Mütter und Töchter" scheint angesichts dieser Figur zu lauten: Wer seine Herkunft und damit seine biologische Familie nicht kennt, wird auch psychologisch und geographisch entwurzelt bleiben.

    Aber für solche Verallgemeinerungen über das Wesen der Menschen bleibt der Film zu dicht an seinen einzelnen Figuren, dafür sind sie zu sehr ausgearbeitete Individuen und komplexe Wesen: García hat kein Interesse daran, sie als einseitig und starr zu diskreditieren - jedenfalls trifft das auf die Frauen zu, die Männer kommen nicht so leicht davon. Und so wichtig, wie es der Titel vermuten ließe, nimmt er die Bedeutung der biologischen Abstammung dann zum Schluss doch nicht, zumindest im Vergleich zu „der Zeit, die man miteinander verbringt", wie eine der Frauen es treffend formuliert.

    Wenn man García mit seinem Film eine Absicht unterstellen wollte, dann wohl am ehesten die, zu zeigen, wie wichtig es ist, sich seinen Gefühlen und Ängsten zu stellen, um ein erfülltes Leben zu führen – egal ob als Mutter oder Tochter, Vater oder Sohn. Ihm gelingt dies, indem er seinen Zuschauern ein ausführliches, äußerst treffendes Beispiel vorführt, in dem sich Schmerz und Glück intensiv vermischen.

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