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    Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten
    Von Andreas Staben

    Der Kinowinter 2015/16 wird von „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ bestimmt. Die siebte Episode der Weltraumsaga ist so allgegenwärtig, dass man hier tatsächlich einmal ohne Übertreibung von einem Phänomen reden kann. Kaum etwas bewegt die Menschen in diesen Tagen mehr als der in weit entfernten Galaxien ausgefochtene Kampf zwischen Gut und Böse. Die einst von George Lucas ersonnenen und nun unter Disneys Federführung von J.J. Abrams fortgeschriebenen Fantasiewelten sind für unzählige Zuschauer über Generationen hinweg zu einer Traumheimat geworden – die Nostalgie für die alten Filme ist dem neuen Werk nicht zufällig eingeschrieben, sie verleiht uns ein Gefühl von Geborgenheit. „Das Erwachen der Macht“ erinnert uns daran, dass das Kino ein Ort eines magischen Gemeinschaftserlebnisses sein kann, wo wir unsere Träume und Sehnsüchte teilen: So ähnlich müssen es auch die irischen Einwanderer in den USA empfunden haben, als sie 1952 John Fords „Der Sieger“ gesehen haben und ihre grüne Insel samt ihrer herzhaften Menschen in satten Farben und deftig-liebevollen Abenteuern auf der Leinwand erlebten. Zu diesen Neubürgern gehört auch die von der oscarwürdigen Saoirse Ronan verkörperte Protagonistin in John Crowleys Emigrantendrama „Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten“. Die feinfühlige Adaption von Colm Tóibíns gleichnamigem Roman ist in fast jeder Hinsicht das genaue Gegenteil des „Star Wars“-Spektakels, aber mit seiner melancholischen Erzählung über Heimweh und wie man es überwinden, aber nie ganz loswerden kann, zeugt auch dieser ganz andere Film von der besonderen Kraft des Kinos.

    Eilis Lacey (Saoirse Ronan) lebt Anfang der 1950er Jahre mit ihrer Schwester Rose (Fiona Glascott) und der verwitweten Mutter (Jane Brennan) im irischen Städtchen Enniscorthy. Sie arbeitet als Aushilfe im Laden von Miss Kelly (Brid Brennan), hat aber weder Aussicht auf ein ausreichendes eigenes Einkommen noch auf einen betuchten Ehemann. Um Eilis ein besseres Leben zu ermöglichen, hat Rose mit Hilfe des Priesters Flood (Jim Broadbent) die Auswanderung der Jüngeren in die USA arrangiert. Nach der Überfahrt kommt Eilis in Brooklyn in der Pension der resoluten Miss Kehoe (Julie Walters) unter und bekommt einen Job in einem großen Kaufhaus, aber sie leidet unter entsetzlichem Heimweh. Sie fühlt sich erst wohler, nachdem sie bei einem Tanzabend den Italo-Amerikaner Tony Fiorello (Emory Cohen) kennengelernt hat. Der Klempner umwirbt sie beharrlich und sie könnte mit ihm eine Familie gründen. Doch dann kommt es zu einer Familientragödie und Eilis muss zurück nach Irland ...

    In gewisser Weise handeln „Star Wars 7“ und „Brooklyn“ beide vom Aufbruch in neue Welten und von der Suche nach Orientierung, doch im Blockbuster ist alles mehrere Nummern größer. Wo die Sternenkrieger fix mal eben zu fernen Planeten düsen, wird die aus heutiger Sicht relativ überschaubare Distanz zwischen den Kontinenten für Eilis von der räumlichen zur scheinbar unüberwindbaren seelischen Kluft, schon die Fahrt über den Atlantik erweist sich als traumatische Erfahrung. Die von Seekrankheit und bizarren Kämpfen um den Zugang zur Toilette geprägten Szenen auf dem Ozeandampfer lassen spürbar werden, wie ungeheuerlich der Entschluss zur Auswanderung für die schüchterne Irin ist. Und wenn die von der Sehnsucht nach zu Hause geradezu gelähmte Eilis ihrem tieftraurigen Gesicht bei der Arbeit als Verkäuferin einfach nicht die Fassade der typisch amerikanischen unverbindlichen Freundlichkeit mit ihrem immerwährenden Lächeln geben kann, dann kommt darin eine herzzerreißende Verlorenheit zum Ausdruck. Ähnlich berührend ist die von Vater Flood organisierte Weihnachtsfeier in einer Suppenküche, bei der einsame alte Iren mit gälischen Liedern ihr Heimweh zelebrieren. Mögen sich die Figuren manchmal der Sentimentalität hingeben und das Vermisste idealisieren, so halten Regisseur John Crowley („Boy A“) und sein Drehbuchautor Nick Hornby (fast) immer die Balance und bringen die Paradoxien der Sehnsüchte auf den Punkt: Schließlich hat erst die Unzufriedenheit mit dem Leben in Irland überhaupt zum Neuanfang in Amerika geführt.

    Wie „About a Boy“- Autor Hornby, der sich nach „An Education“ und „Der große Trip – Wild“ immer mehr als Spezialist für feinfühlig erzählte Selbstfindungsgeschichten über junge Frauen erweist, die folgende im Grunde banale Wendung (die Liebe lindert das Heimweh) durch muntere Dialoge und amüsante Einzelheiten veredelt - etwa wenn Eilis vor dem Besuch bei Tonys Familie das Spaghettiessen übt - ist beachtlich. Und die Darsteller geben dem ganzen Film endgültig eine Wahrhaftigkeit jenseits aller Klischees. Einzig die missmutige Miss Kelly, die exemplarisch für die provinzielle Enge und Verstocktheit der irischen Heimat stehen muss, wirkt wie eine Karikatur. Ansonsten bietet John Crowley, der sich ganz auf seine konkrete Geschichte konzentriert und die großen politischen Konflikte der frühen 50er außen vor lässt, eine beeindruckende Reihe von stimmigen Nebenfiguren auf, von denen die Vermieterin Miss Kehoe eine besondere Erwähnung verdient. Selten wurde der Typ der herzensguten Schreckschraube mit mehr Witz und entwaffnender Ehrlichkeit verkörpert als hier von Julie Walters.

    Emory Cohen („The Place Beyond The Pines“) verbindet als liebevoller Verehrer Tony eine unschuldige Ehrlichkeit mit einer Spur des zeittypischen flamboyanten Stils von Marlon Brando oder James Dean, während sein späterer irischer Kontrahent ebenso anständig ist wie er, aber dafür auf anziehende Weise nachdenklich wirkt. Diesen Jim Farrell versieht Domhnall Gleeson, der hier schauspielerisch mehr zeigt als in „Das Erwachen der Macht“, mit einer sanften Aura von Verlässlichkeit und Vertrautheit. So wird die Entscheidung zwischen Irland und Amerika für Eilis am Ende auch zur Entscheidung zwischen zwei Männern. Diese grundlegende Zerrissenheit macht Saoirse Ronan („Seelen“, „Wer ist Hanna?“) nicht nur nachvollziehbar, sondern spürbar: Anders als in anderen, episch angelegten Emigrantengeschichten von „Der Pate 2“ bis zu James Grays wunderbarem „The Immigrant“ ist „Brooklyn“ letztlich das intime Drama einer einzigen Person. Und wie die junge Irin diese Figur ohne viel Worte allmählich von der grauen Maus zur wahren Menschen-Magnetin werden lässt, wobei sie immer ein Geheimnis in den ausdrucksstarken blauen Augen behält, das sollte ihr nach „Abbitte“ eine weitere Oscar-Nominierung einbringen.

    Fazit: John Crowleys Drama über eine junge irische Auswanderin in New York ist ebenso herzerwärmendes wie intelligentes Gefühlskino mit einer Prise Melancholie und einer herausragenden Hauptdarstellerin.

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