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    Schachnovelle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Schachnovelle

    Ein Klassiker mit neuem Twist

    Von Janick Nolting

    Philipp Stölzl zieht es erneut auf hohe See. In der Stefan-Zweig-Verfilmung „Schachnovelle“ verspricht die Amerika-Reise auf einem Ozeandampfer einmal mehr Heilung und Neuanfang. Mit Stölzls letztem Werk, dem Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“, hat diese Schifffahrt allerdings nur wenig gemein. Bunte Singspiel-Kulissen und Liebesreigen weichen finsteren Gefängniszellen und psychologischem Thrill. Geblieben ist das Gespür für große Schauwerte.

    Stefan Zweig vollendete den heute kanonischen Text Anfang der 1940er Jahre, kurz vor seinem Selbstmord im Exil, in das er sich mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus begab. Aus dem autobiographisch geprägten Werk zieht Phillip Stölzl in seiner Verfilmung nun vor allem das psychologisch Abgründige, Rätselhafte und Beklemmende, um es für das Publikum erlebbar werden zu lassen.

    Schach ist für Josef Bartok (Oliver Masucci) das einzige Ventil während der psychologischen Folter.

    1938 greift das Nazi-Regime nach Österreich. Der Notar Josef Bartok (Oliver Masucci) wird verhaftet, bevor er mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) in die USA fliehen kann. Im Nobel-Hotel Metropol hält man ihn gefangen, wo er dem Gestapo-Leiter Böhm (Albrecht Schuch) Zugang zu den Konten des Adels eröffnen soll. Doch Bartok bleibt wehrhaft. Über viele Wochen hinweg hält man ihn in Isolation gefangen, die Folgen der psychischen Folter werden verheerend sein. Bartoks einziger Zeitvertreib ist ein Buch über Schach…

    Keine 1:1 Verfilmung

    In Philipp Stölzls Literaturadaption ist von der Form einer „Novelle“ nur noch wenig zu spüren. Sie plustert die Vorlage auf fast zwei Stunden langes Historienkino mit großem Erzählbogen auf und verschiebt einiges in der Chronologie. Was in Stefan Zweigs Text nur wenige Seiten Bericht einnimmt, reichert die Verfilmung mit zahlreichen Ergänzungen und Ausführungen an.

    Drehbuchautor Eldar Grigorian hat dabei die Erzählerfigur der Vorlage eliminiert, um noch näher an Josef Bartok heranzukommen. Seinen subjektiven Blickwinkel übernimmt die Verfilmung in ihrer psychologischen Erzählweise. „Schachnovelle“ wagt damit in seiner Konstruktion keine bloße Kopie des literarischen Vorbildes, sondern sucht seinen eigenen Ankerpunkt. Im Laufe der Zeit entwickelt sich dieses Vorgehen gleichermaßen zu seiner Stärke wie auch einer Schwachstelle.

    "Systemsprenger"- und "Berlin Alexanderplatz"-Star Albrecht Schuch als Gestapo-Leiter Böhm.

    Stölzls Film ist in seiner Verschränkung aus Historiendrama und Psychothriller vor allem mitreißend gespielt: Besonders Oliver Masucci („Enfant Terrible“) liefert als Hauptdarsteller eine Tour de Force. Auf seinem verkörperten Martyrium fußt fast der gesamte Film. „Schachnovelle“ konzentriert sich darauf, seine psychische Zerrüttung in der Isolationshaft, die quälende Langeweile und Ungewissheit spürbar zu machen. In ausgedehnten Montagen verrinnt die Zeit, für die bereits jedes Gefühl verlorengegangen ist. Verflochten werden diese Szenen der Folter mit Bartoks Reise auf dem Schiff gen Amerika, wo ein Schachspiel seine inneren Dämonen wieder zu Tage fördert.

    Reise ins Totenreich

    So, wie der Mythos des Odysseus immer wieder zitiert und mit dem Schicksal der Hauptfigur parallelisiert wird, lädt Stölzl auch diesen Schauplatz mythisch auf. Statt ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten scheint die Schifffahrt direkt in die Unterwelt zu führen. Dicht hängt der Nebel, immer stürmt und regnet es. Die Figuren unter Deck erscheinen weniger als Menschen denn als Gespenster einer vergangenen Zeit auf ihrem Weg ins Ungewisse. Das ist ein eindrucksvoller, symbolträchtiger Stimmungsraum, den der Regisseur da heraufbeschwört – nicht nur atmosphärisch, sondern auch visuell.

    Überhaupt ist „Schachnovelle“ stilistisch zwar konventionelles, aber durchweg opulent ausstaffiertes Kino, dem viel daran liegt, ein Gefühl für die historischen Schauplätze zu vermitteln – egal, ob es sich um die Wiener Straßenzüge, Ballsäle oder das furchteinflößende Schiff handelt. „Solange Wien tanzt, wird die Welt nicht untergehen“, sagt Birgit Minichmayr in einer Szene im Walzerschritt, während draußen bereits die Nazis die Macht übernehmen. Oliver Masuccis Figur wird dabei zum lebendigen Überbleibsel eines sterbenden Milieus der Zivilisation, Hochkultur und Bildung, abgelöst von Grausamkeit und Barbarei.

    „Solange Wien tanzt, wird die Welt nicht untergehen!“

    Das ist auch in Zweigs Literaturvorlage bestimmendes Motiv, zugleich verengt die Verfilmung hier und da deren Vielschichtigkeit leider ein wenig in Richtung psychologischer Nabelschau. Stölzls Adaption präsentiert sich gleichermaßen als bebilderte Krankheitsstudie und konsequent verfilmte Exilerfahrung. Als Mahnmal gegen Rechtsextremismus, den man vielleicht allzu lange unterschätzt, bis sich alle Beteiligten hinterher in einem Schwellenraum der Fassungslosigkeit wiederfinden.

    Was Stefan Zweig darüber hinaus etwa zu sozialem Habitus, zu Auf- und Abstieg zu erzählen hatte, wie Momente einer imaginierten Politik plötzlich von konkreten Handlungen überschattet werden, auch über den NS-Kontext hinaus – das verschwimmt in der Verfilmung etwas im unzuverlässigen Geist ihres Protagonisten. Gerade, weil sie die Figuren vielleicht noch nicht genug als Repräsentanten begreift, sondern in Charaktere übersetzt. Dem Kinopublikum kommt das entgegen. Etwas mehr Mut zum Abstrakten hätte es dennoch mit Sicherheit vertragen können.

    Unnötiger Twist am Ende

    Dominik Graf hat zur etwa selben Zeit in seiner kongenialen, thematisch grob verwandten Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ demonstriert, wie man die inhaltlichen und ästhetischen Zugänge zu solch kanonischer Literatur reflektieren und wie eine Vorstellung von Historizität im Kino funktionieren kann. Von dieser Liga ist Stölzls „Schachnovelle“ trotz aller Stärken ein ganzes Stück entfernt. Viel Spiel- und Denkraum lässt seine Verfilmung nicht offen. Stattdessen endet sie mit einem recht effekthascherischen neuen Ende, das weniger an Stefan Zweig und mehr an Sebastian Fitzek erinnert.

    Und doch muss man ihm zugutehalten: Wie „Schachnovelle“ irgendwann Zeit- und Bewusstseinsebenen kollidieren lässt, das ist mit unheimlicher Intensität auf die Leinwand gebracht. Gerade weil Stölzl ein Regisseur ist, der solche Momente gekonnt von einer audiovisuellen Seite her denkt. In diesen Szenen der Irritation schimmert durch, was diesen Stoff so zeitlos reizvoll macht und was sich immer noch mit ihm anstellen lässt.

    Fazit: Phillipp Stölzl hat Stefan Zweigs „Schachnovelle“ in eindrucksvolles Historienkino verwandelt, voller opulenter Bilder und intensiver Schauspielleistungen. Der Fokussierung auf den Leidensweg seiner Hauptfigur fallen allerdings einige interessante Ebenen der literarischen Vorlage zum Opfer.

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