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    Capone
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Capone

    Tom Hardy läuft in Windeln Amok

    Von Tobias Mayer

    Prostitution, Schutzgelderpressung, illegaler Alkoholhandel: Alphonse Gabriel „Al“ Capone kontrollierte die Chicagoer Unterwelt der 1920er und 1930er Jahre – und weil er mit Journalisten umzugehen verstand, wurde ständig über ihn berichtet. Bis heute ist Capone der bekannteste aller Gangsterbosse – er gilt als Verbrecher-Genie, das mit eiserner Hand, Charisma und einem untrüglichen Gespür für Eigen-PR seine Macht ausübte.

    Josh Trank, der mit „Capone“ nun seinen ersten Film nach dem „Fantastic Four“-Debakel von 2015 fertiggestellt hat, zeigt hingegen einen kranken, zunehmend verwirrten Ex-Verbrecher am Ende seines Lebens, der nicht mal mehr den eigenen Stuhlgang unter Kontrolle hat. Trank hat einen alles andere als gewöhnlichen Capone-Film gedreht – doch dieses Experiment, das nur stellenweise aufgeht, wird vor allem wegen Tom Hardys Leistung als Gaga-Gangster in Erinnerung bleiben.

    Nur echt mit Zigarre im Mundwinkel: Tom Hardy als Al Capone.

    1946: Al Capone (Tom Hardy) ist 47 Jahre alt. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis lebt er mit seiner Frau Mae (Linda Cardellini) und einigen verbliebenen Bediensteten auf einem Anwesen in Florida. Sein Reichtum schwindet – und mit ihm seine Kräfte. Capones Tag wird durch Krankheiten bestimmt: Er leidet an Neurosyphilis infolge einer Geschlechtskrankheit und wird zunehmend dementer. Während das FBI ihn weiterhin bei jedem Schritt beschattet, bekommt er Besuch von Familienmitgliedern sowie alten Weggefährten, wobei er immer weniger auseinanderhalten kann, was davon wirklich passiert und was er sich nur einbildet. Manchmal reist Capone in seinem Wahn zurück in die eigene blutige Vergangenheit...

    Für Josh Trank ist „Capone“ ein Comeback – dabei hat der Regisseur überhaupt erst drei Spielfilme gedreht: Mit dem Überraschungshit „Chronicle – Wozu bist du fähig?“, seinem düsteren Found-Footage-Superheldenfilm von 2012, zog der damals 28-Jährige direkt die Aufmerksamkeit der großen Studios auf sich und wurde schon bald darauf für gleich zwei potentielle Mega-Blockbuster verpflichtet – für den „Fantastic Four“-Reboot und für ein „Star Wars“-Spin-off über den Fan-Liebling Boba Fett. Aber der junge Regisseur verbrannte im Hype.

    Rasanter Absturz

    Bei „Fantastic Four“, der schließlich kolossal floppte, passten seine (düsteren) Vorstellung weder zu denen von Co-Drehbuchautor Jeremy Slater noch zu denen von Studio Fox. Trank, dem der Druck und die Auseinandersetzungen zu schaffen machten, durfte den Film nicht fertigstellen. Bei den umfangreichen, Nachdrehs war er zwar noch mit am Set, hatte aber faktisch nichts mehr zu melden. „Star Wars“-Produzentin Kathleen Kennedy bekam Wind von den Problemen und Trank kam seiner Entlassung zuvor, in dem er das „Boba Fett“-Projekt verließ. Kurz vor der „Fantastic Four“-Premiere gestand er dann in einem Tweet ein, dass der Superheldenfilm tatsächlich mies sei und twitterte damit wohl den letzten Sargnagel in seine Hollywood-Karriere.

    „Capone“ sieht zwar auf den ersten Blick aus wie ein Hollywood-Film, weil die Schauspieler Tom Hardy und Linda Cardellini eben auch aus Superheldenfilmen wie „Venom“ oder „Avengers 2: Age Of Ultron“ bekannt sind, wurde jedoch außerhalb des Studiosystems produziert. Josh Trank hatte dabei so viel Kontrolle wie nie zuvor: Er war Regisseur, schrieb das Drehbuch und kümmerte sich um den Schnitt. Offenbar musste er sich nur beim Titel beugen: Ursprünglich sollte sein Film „Fonzo“ heißen, nach dem Spitznamen des Gangsters, wurde aber zur besseren Vermarktung in „Capone“ umbenannt. Doch wer bei diesem Titel ein klassisches Gangster-Biopic erwartet, der täuscht sich gewaltig.

    ... die körperlichen Fähigkeiten schwinden, aber die Zigarre bleibt.

    Josh Trank konzentriert sich abgesehen von einigen (alb-)traumartigen Erinnerungsfetzen ausschließlich auf das letzte Lebensjahr seines Protagonisten, anstatt dessen Aufstieg und Fall abzubilden, wie es etwa in Howard Hughes' (sehr freiem) Capone-Biopic „Das Narbengesicht“ (1932) oder in Roger Cormans „Capone“ (1975) der Fall ist. Damit bekommt Tom Hardy den Raum für einen Capone, den das Kino und das Publikum so noch nicht gesehen haben: Der wandlungswütige „Dunkirk“-Star verkörpert einen siechenden, dementen Mann, der sich kaum noch bewegen kann, andauernd schwitzt und dem der Wahnsinn fast schon aus den stets blutunterlaufenden Augen tropft.

    Vom großen Gangster ist hier nur noch der Name übrig: Wenn dieser Capone etwas sagt, dann schnarrt er die Wörter mehr, als dass er sie spricht. Wer schon Probleme damit hatte, den grummelnden Hardy in „Mad Max: Fury Road“ oder „The Dark Knight Rises“ zu verstehen, der wird in „Capone“ vermutlich komplett die Waffen strecken – zumal der Gangster hier auch noch die meiste Zeit seine ikonische Zigarre im Mundwinkel hängen hat (beziehungsweise eine weniger gesundheitsschädigende Möhre, die ihm sein von Kyle MacLachlan gespielter Arzt nach einem Schlaganfall verordnet hat).

    Amoklauf mit Windel und Karotte

    Die Hardy-Show erreicht ihren Höhepunkt, wenn der inkontinente Capone mit einer goldenen Tommy Gun um sich ballert, während er nur einen Bademantel und seine Erwachsenenwindel trägt. Hardy wandelt den gesamten Film auf einem sehr, sehr schmalen Grat zur Parodie und überschreitet die Grenze auch das eine oder andere Mal. Das ist eine erfrischend-irre Darstellung des für seine Coolness bekannten Al Capone, der nicht nur die Menschen einer ganzen Stadt, sondern auch sein Image immer fest im Griff hatte.

    Doch im Grunde hat Josh Trank zum geistigen wie körperlichen Verfall nicht viel mehr zu erzählen, als dass der Gangster eben von seiner brutale Vergangenheit eingeholt wird, wenn Capone etwa durch eine imaginierte Roaring-Twenties-Party wankt, auf der ihm erst alle zujubeln und die bald eine sehr blutige Wendung nimmt. Darüber hinaus ist er einfach nur bemitleidenswert krank: So kackt Capone nachts – sehr graphisch – ins Bett, bis der Gestank seine Frau aufweckt. Offenbar interessiert Trank in „Capone“ vor allem der eklige und brutale Exzess, der aber mehr (oberflächliche) Provokation ist, als dass dahinter eine Haltung zur Figur stecken würde.

    Josh Trank zerlegt die Ikone Al Capone - und lässt dabei keinen Stein auf dem anderen.

    Daher spielen auch Capones Beziehungen – ob nun zu seinen Kindern oder seiner Frau Mae – nur am Rande eine Rolle. Linda Cardellini spielt eine aufopferungsvolle Ehefrau, deren persönliche Geschichte im Schatten des Gangsters sich aber nur erahnen lässt. Tom Hardy dominiert den Film und so wird „Capone“ zu einer zwar bemerkenswert exzessiven, aber auf Dauer auch eintönigen Tour-de-Force-Darstellung eines Gangsterlebens, das sich im Wahn alter Erinnerungen zunehmend auflöst.

    Fazit: Josh Trank konnte endlich wieder einen Film so drehen, wie er wollte – und Tom Hardy darf dabei freidrehen wie nie zuvor. Aber eine Ikone zu dekonstruierten, indem man sie als alten, dementen, kranken Mann bloßstellt, trägt für sich eben nicht unbedingt einen ganzen Film.

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