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    Die Fabelmans
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Fabelmans

    Näher kann man der Magie des Kinos kaum kommen

    Von Michael S. Bendix

    Auffallend viele Regisseure haben in den vergangenen zwei Jahren ihre eigene Kindheit und Jugend filmisch aufgearbeitet, darunter Richard Linklater in „Apollo 10 ½: Eine Kindheit im Weltraumzeitalter“, Kenneth Branagh in „Belfast“, Paolo Sorrentino in „The Hand Of God“ oder James Gray in „Zeiten des Umbruchs“. Mit „Die Fabelmans“ schließt sich nun auch Steven Spielberg dem Trend des autofiktionalen Erzählens an: ein Filmemacher, dessen Namen viele wie kaum einen anderen mit dem Kino an sich verbinden. Der mittlerweile 76-Jährige hat schlißelich mit „Der weiße Hai“ (1975), „Jäger des verlorenen Schatzes“ (1981) oder „Jurassic Park“ (1993) den Begriff Blockbuster über Jahrzehnte hinweg entscheidend mitgeprägt!

    Spielberg hat Generationen von (erwachsenen) Kindern zum Träumen und Weinen gebracht („E.T. – Der Außerirdische“), sich immer wieder an gewichtige historische Stoffe gewagt („Schindlers Liste“) – und etwas geschafft, das nur ganz wenigen Regisseur*innen gelingt: Spektakel von enormer Größe und Breitenwirkung ins Kino zu bringen, die zugleich aber auch hochpersönlich sind, obwohl er seine Drehbücher nur selten selbst geschrieben hat. Wenn sich Spielberg nun seinem eigenen Leben widmet, also einen tatsächlich dezidiert persönlichen Film dreht, dann müsste das Ergebnis demnach auch ein Film über die Magie der bewegten Bilder sein – und genau das ist „Die Fabelmans“ auch geworden.

    Genau in diesem Moment entdeckt der kleine Sammy (Mateo Zoryon Francis-DeFord) die Magie des Kinos …

    Folgerichtig beginnt Spielberg „Die Fabelmans“ mit dem Ursprung seiner Kinobegeisterung – beziehungsweise der seines Alter Egos Samuel „Sammy“ Fabelman (Meteo Zoryon Francis DeFord). Anfangs ängstigt sich Sammy noch vor dem Unbekannten und muss sich von seinen Eltern erst überzeugen lassen, dass es sich beim Kinobesuch um eine bereichernde Erfahrung handelt: Sein Vater, Computerentwickler Burt (Paul Dano), erklärt ihm die technischen Voraussetzungen, während seine künstlerisch veranlagte Mutter Mitzi (Michelle Williams) die romantische Seite beschwört – „Filme sind Träume, die man nie mehr vergisst!

    Auf der Leinwand läuft Cecil B. DeMilles monumentaler Zirkusfilm „Die größte Schau der Welt“ (1952) – und besonders der Zusammenstoß zweier Transportzüge macht auf Sammy einen nachhaltigen Eindruck. Wenn einer der beiden Züge in rasender Geschwindigkeit auf die Kamera zurollt, zeigt Spielberg im Gegenschnitt Close-ups von Sammys nahezu paralysiertem Gesicht, das in gleißendes Projektionslicht getaucht ist. Wohl nicht zufällig spiegelt sich darin eine der Urszenen des Kinos, „Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat“, wie sie in dem gleichnamigen Einminüter aus dem Jahre 1896 zu sehen war und zahlreiche Menschen ob der schier unbegrenzten Möglichkeiten des neuen Mediums in Staunen versetzte: Auch Sammy wird das Gesehene nicht mehr loslassen – kaum zu Hause angekommen, beginnt er, die noch längst nicht verdaute Szene mit der Modelleisenbahn seines Vaters nachzustellen und auf 8-mm-Film festzuhalten.

    Zurück zu den (bescheideneren) Anfängen

    Mithilfe seiner drei jüngeren Schwestern und bestärkt von seiner Mutter, die ihre vielversprechende Karriere als Konzertpianistin einst zurückgestellt hat, unternimmt Sammy erste Gehversuche mit der Kamera. Als Jugendlicher (nun gespielt von Gabriel LaBelle) dreht er schließlich erste Kurzfilme, die analog zu seinem Erwachsenwerden immer professionellere Formen annehmen, archetypische Western-Szenen oder auch einen 40-minütigen Kriegsfilm. Spielberg hat sichtbar Freude daran, seine frühen Amateurfilme zu reinszenieren, die zum einen erfinderische Imitationen sind und zum anderen Elemente seines späteren Werkes im Miniaturformat vorwegnehmen.

    Doch „Die Fabelmans“ ist nicht nur eine detailversessene, von inniger Sentimentalität durchtränkte Ode an das Kino, sondern auch eine intime Familiengeschichte. Er betrachte den Film als Versuch, seine Eltern wieder zum Leben zu erwecken. So hat es Spielberg einmal gesagt, der die Idee einer filmischen Autobiografie schon seit 20 Jahren mit sich herumschleppt – und so steht neben Sammys Filmemacherwerdung vor allem die Beziehung zu seinem Vater und noch mehr die zu seiner Mutter im Zentrum.

    Schon als Teenager entwickelt Sammy (Gabriel LaBelle) immer neue Methoden, um trotz der Bescheidenheit seiner Mittel möglichst großes Kino zu schaffen.

    Im Grunde verhandelt Spielberg in „Die Fabelmans“ dieselben Themen und Motive, die sich auch durch viele seiner älteren Filme ziehen, nur dass er sie diesmal nicht durch den Filter von Science-Fiction, Fantasy oder Historie betrachtet. Durch die Scheidung seiner Eltern und den Umzug von New Jersey nach Arizona muss Sammy mit einer ganzen Reihe einschneidender Veränderungen fertigwerden; es geht um Verlustangst und Verlusterlebnisse, das kindliche Verlorensein in der Welt, die Fantasie als Bewältigungsstrategie und auch ganz konkret um Spielbergs jüdische Identität, wenn sich Sammy in der Schule antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt sieht.

    Zentraler Schauplatz ist wie in vielen seiner Regiearbeiten und Produktionen der amerikanische Vorort, und die meisten Figuren scheinen direkte Wiedergänger typischer Spielberg-Charaktere zu sein: Judd Hirsch hat einen oscarnominierten Kurzauftritt als geheimnisvoll-exzentrischer Onkel, der Motivator und Märchenerzähler zugleich ist. Eine weitere (Ersatz-)Onkelfigur, die Sammy als Bezugsperson dient, später aber zum Auseinanderbrechen der Kernfamilie beiträgt, wird anrührend kindsköpfig von Seth Rogen gespielt. Natürlich sind da auch der High-School-Bully oder die kleine Schwester, und einmal radelt Sammy mit seinen Pfadfinderfreunden über die Vorstadtstraßen wie in der ikonischen Szene aus „E.T. – Der Außerirdische“.

    Auch eine zutiefst ehrliche Schmerzbewältigung

    Indem er seine Einflüsse offenlegt und verrät, wo viele der wiederkehrenden Themen ihren Ursprung haben, ist „Die Fabelmans“ so etwas wie der quintessenzielle Steven-Spielberg-Film. Und doch weist er weit über eine motivische Spurensuche hinaus: Wie Spielberg den sense of wonder, den er sonst durch Aliens oder Dinosaurier erzeugt, diesmal im Kino selbst findet, gehört zum Schönsten, was er im Laufe seiner langen Karriere je geschaffen hat – und auch als Coming-of-Age-Film und Familienchronik berührt „Die Fabelmans“ ganz unmittelbar. Spielberg färbt seine Geschichte durchaus nostalgisch ein, trotzdem stellt er den hellen Tonfall nicht in den Dienst einer rückwirkenden Idealisierung: Gerade der Mittelteil, in dem das Familienidyll erste Risse bekommt, ist spürbar ein Versuch, den eigenen Schmerz zu greifen zu bekommen – und auch, wenn Spielberg sowohl seiner Mutter als auch seinem Vater mit liebevollem Verständnis und der ihm ureigenen humanistischen Wärme begegnet, verleugnet er nicht die Widersprüchlichkeiten, die sein Verhältnis zu ihnen zeichnen.

    Insofern ist „Die Fabelmans“ nicht zuletzt ein selbsttherapeutischer Film. Aber eben einer, der sich so universell und leicht anfühlt, wie es wohl nur einem Meister wie Spielberg gelingen kann. Die finale Szene des episodisch konzipierten Films besteht aus einem weiteren Initiationserlebnis, von dem an dieser Stelle nichts weiter verraten werden soll. Nur so viel: Gleich zwei legendäre amerikanische Filmemacher, nämlich dieser und dieser, spielen darin eine zentrale Rolle – und ein perfekterer Schlusspunkt für „Die Fabelmans“ wäre kaum denkbar gewesen…

    Fazit: Wer schon immer wissen wollte, woher Steven Spielberg seine Inspiration nimmt, bekommt nun Antworten vom Meister persönlich: „Die Fabelmans“ ist als nostalgischer Liebesbrief ans Kino und autofiktionale Familienchronik der mit Abstand intimste Film der Regielegende – und zugleich auch einer seiner besten.

     

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