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    Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile

    Ein Disney-Star als erschreckend glaubhafter Frauenmörder

    Von Oliver Kube

    Wenn ich mich schon derart ausführlich mit einem Thema beschäftige, dann soll sich das auch lohnen!“ So oder so ähnlich dachte wohl Joe Berlinger, Regisseur solch verschiedener Dokumentarfilme wie „Paradise Lost: The Child Murders At Robin Hood Hills“ oder „Metallica: Some Kind Of Monster“. Denn nachdem im Januar 2019 seine True-Crime-Doku-Miniserie „Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders“ auf Netflix erschienen war, legte er nur 48 Stunden später direkt auch noch mit einer fiktionalen Version des Stoffes nach, als sein Ted-Bundy-Porträt „Extremely Wicked, Shockingly Evil And Vile“ auf dem Sundance Filmfestival seine Premiere feierte. Dabei ist der Spielfilm mit dem begeisternd aufspielenden (Ex-)Teenie-Schwarm Zac Efron sowie Durchstarterin Lily Collins plus reihenweise bekannter Gesichter in den Nebenrollen (etwa John Malkovich, Jim Parsons, Haley Joel Osment und sogar Metallica-Frontmann James Hetfield) grandios besetzt. Auch visuell und atmosphärisch fängt der Film die 70er/80er gekonnt ein. Ein Volltreffer ist das Frauenmörder-Biopic aber trotzdem nicht geworden.

    Im Jahre 1969 trifft Single-Mutter Liz (Lily Collins) in einer Bar auf den ebenso charmanten wie attraktiven Jura-Studenten Ted Bundy (Zac Efron). Die beiden verlieben sich und verbringen einige glückliche, harmonische Jahre zusammen. Währenddessen entführt, vergewaltigt und ermordet Bundy allerdings eine lange Reihe von jungen Frauen in verschiedenen Bundesstaaten. Er wird in Washington, Utah und Colorado von der Polizei verhaftet, vernommen und teilweise sogar vor Gericht gestellt. Doch erst 1987 wird es in Florida wirklich ernst für Bundy. Bis dahin hält Liz immer zu ihrem Verlobten, der vehement seine Unschuld beteuert und von einem Komplott schwadroniert. Während er gegen die vom Ankläger (Jim Parsons) geforderte Todesstrafe ankämpft, droht Liz an ihrer noch immer starken Liebe zu diesem Mann, den sie offenbar gar nicht richtig kennt, zu zerbrechen...

    Liz lässt den charmanten Ted freiwillig in das Leben von sich und ihrer Tochter.

    Wer hier eine blutige Schlachtplatte mit einer Art „Worst Of“ der 30 brutalen, von Bundy gestanden Frauenmorde (die Polizei vermutet bis heute, dass es wohl eher bis zu 100 waren) erwartet, wird schnell merken, dass er sich hier im falschen Film befindet. Denn trotz des effekthascherischen Titels „Extremely Wicked, Shockingly Evil And Vile“ (ein Zitat des Richters in seiner Urteilsverkündung) basiert der Film in erster Linie auf dem Buch „The Phantom Prince: My Life With Ted Bundy“, den Memoiren von Liz Kloepfer, der damaligen Freundin und späteren Verlobten des Serienkillers. Tatsächlich beschränkt sich Berlinger zumindest in der ersten Hälfte auch weitestgehend darauf, die bereits mehrfach verfilmten Geschehnisse („Der Fall Ted Bundy - Serienkiller“, „The Stranger Beside Me“, „Alptraum des Grauens“, „Ted Bundy“) um einen der berüchtigtsten Gewaltverbrecher der Kriminalhistorie aus der Sicht von Liz zu schildern.

    Die Handlung des sich mehr als Drama denn als Thriller präsentierenden Werkes umfasst die zwei Dekaden zwischen dem Kennenlernen des Paares und ihrer letzten Begegnung kurz vor Bundys Hinrichtung 1989. Da die von Lily Collins („Tolkien“) passend unschuldig, verletzlich und emotional interpretierte Kloepfer die Taten nicht selbst miterlebt hat und zunächst auch nichts davon wusste, passieren diese außerhalb des Blickfelds des Publikums. Und weil wir das alles nicht auf der Leinwand gesehen haben und – wie Liz – nur aus Erzählungen oder Beschreibungen der jeweiligen, nicht sehr sympathischen Cops und Staatsanwälte kennen, wirken die Morde bis kurz vor Schluss, als es dann zumindest einmal auf der Leinwand zur Sache geht, weitestgehend irreal und abstrakt. Fast vergisst man die so ausführlich dokumentierten Fakten, fällt gemeinsam mit Liz auf Bundys Charisma und seine strahlenden Augen herein und glaubt, dass er womöglich wirklich nichts mit all dem zu tun haben und das Ganze nur ein Irrtum beziehungsweise ein unglücklicher Zufall sein könnte. So weit, so ambivalent wie effektiv.

    Das Alleinstellungsmerkmal aus den Augen verloren

    Gerade weil die Buchvorlage bis zu ihrem Erscheinen unbekannte Erkenntnisse und Einsichten über eine der am genauesten untersuchten und meistdiskutierten Serienkiller-Storys geliefert hat, hätten Berlinger und sein Film lieber bei Liz bleiben sollen, um dieses Alleinstellungsmerkmal beizubehalten. Doch ab dem Moment der Verhaftung in Florida springt die Perspektive wild zwischen Bundy und kurzfristig auch diversen anderen Figuren hin und her, bis schließlich jeglicher Fokus verlorengegangen ist. Klar, der Prozess mit dem sich selbst verteidigenden, dabei wie ein Pfau aufplusternden Bundy und einem kaum weniger kapriziösen Richter (brillant: John Malkovich) ist spektakulär. Zudem sind diese Szenen sicherlich auch sexier als einer jungen Frau dabei zuzusehen, wie sie innerlich zerbricht, weil sie ihren kompletten Lebensplan einstürzen sieht und sich fragt, wie sie nicht bemerken konnte oder wollte, mit welchem Monster sie ihren Alltag, das Bett und die Aufzucht ihrer kleinen Tochter geteilt hat.

    Bundys Prozess vor dem Obersten Gerichtshof von Florida war die erste landesweit im Fernsehen übertragene Verhandlung und eine gigantische Medien-Sensation. Der verfilmte Gerichtszirkus bringt – so großartig er von sämtlichen Beteiligten gespielt und so detailliert und liebevoll er von den Set-Designern und Kostümbildnern ausgestattet sein mag – also absolut nichts Neues. Berlingers eigene Miniserie zeigt – wie diverse andere Dokus und YouTube-Videos davor – all das, was er hier einfach nur nachgestellt hat, in realen Bildern. Die kommen aber, gerade weil sie eben authentisch sind, noch viel erschreckender und aufwühlender daher. Anstatt die Entwicklungen weiter aus der exklusiven Liz-Perspektive beobachten zu können, wird der Zuschauer letztlich zum Teil der Massen an TV-Konsumenten degradiert und schaut von außen zu. Bekommt er doch fortan allenfalls noch kurz hineingeschnittene, fast alibimäßig wirkende Fragmente von Liz, die mit einer Schnapsflasche in der Hand völlig verängstigt auf ein klingelndes Telefon starrt.

    Ted genießt die Auftritte vor den TV-Kameras - und verteidigt sich deshalb vor Gericht schließlich selbst.

    Es ist ja nicht so, als hätte es Berlinger an interessanten Ansatzpunkten für weitere Szenen gefehlt. So offenbart der Film selbst beinahe beiläufig, dass Kloepfer bereits 1974 erste Verdachtsmomente gehegt haben muss. Da wäre es sicher spannend gewesen, herausgearbeitet und bildlich illustriert zu bekommen, wie ihre Motivation aussah, dennoch bei einem Kerl zu bleiben, später sogar seinen Heiratsantrag anzunehmen, den sie scheinbar schon damals einer Gewalttat für fähig hielt. War es blinde Liebe, jugendliche Naivität oder am Ende Angst, er würde ihr und ihrem kleinen Mädchen etwas antun? Doch der Regisseur vergibt die Chance, indem er zusammen mit Drehbuchautor Michael Werwie („Lost Girls“) ebenso dem Charme, dem Glamour und der Faszination der Figur Ted Bundy erliegt, wie die vielen Frauen und jungen Mädchen, die den Psychopathen zunächst aus freien Stücken in ihr Leben ließen, bevor er ihnen dieses dann auf grausamste Weise entriss.

    Fazit: Eine faszinierende Story, ein exzellenter Hauptdarsteller und jede Menge Top-Akteure in Nebenrollen – trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmack, weil noch viel mehr drin gewesen wäre. Denn ab der Mitte der Laufzeit verlässt der Regisseur seinen eingeschlagenen Pfad und der Film liefert überwiegend nur noch die weniger effektive Nachstellung eh schon bekannter TV-Bilder.

    Wir haben „Extremely Wicked, Shockingly Evil And Vile“ im Rahmen der Fantasy Filmfest Nights gesehen, wo der Film seine Deutschlandpremiere feierte.

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