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    Kidnapping Stella
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Kidnapping Stella

    Netflix-Remake mit "Fack Ju Göhte"-Stars

    Von Lars-Christian Daniels

    Normalerweise läuft es ja so: Wenn sich ein nicht-englischsprachiger Kinofilm im Ausland zu einem echten Publikumshit mausert, lässt ein Hollywood-Remake nicht lange auf sich warten – man denke nur an den US-Box-Office-Erfolg „Mein Bester & Ich“ (die amerikanisierte Neuauflage des französischen Publikumshits „Ziemlich beste Freunde“) oder den kommerziell wie künstlerisch gescheiterten Flop „Head Full Of Honey“ (das Pendant zu Til Schweigers Kassenschlager „Honig im Kopf“). Der deutsche Filmemacher Thomas Sieben („Staudamm“, „Distanz“) geht nun einen ganz anderen Weg: Er hat sich J Blakesons britischen Low-Budget-Thriller „Spurlos – Die Entführung der Alice Creed“ vorgeknöpft, der 2009 an den Kinokassen nicht einmal seine überschaubaren Produktionskosten von 1,5 Millionen Dollar wiedereinspielte und hierzulande direkt auf DVD erschien. Mit seinem auf Netflix erscheinenden Remake „Kidnapping Stella“ gelingt ihm ein spannender und überzeugend gespielter Entführungsthriller, der aus dem ebenfalls geringen Budget viel herausholt – die Vorlage aber mit wenigen Ausnahmen nur kopiert, statt auch mal eigene Duftmarken zu setzen.

    Die beiden Berliner Ex-Knackis Vic (Clemens Schick) und Tom (Max von der Groeben) hatten während ihres gemeinsamen Aufenthalts hinter Gittern viel Zeit, um sich Gedanken über das perfekte Verbrechen zu machen. Nach der Entlassung zahlen sich die akribischen Vorbereitungen aus: Sie entführen die junge Stella (Jella Haase) auf offener Straße, ohne dass jemand von dem Verbrechen Notiz nimmt, und verschleppen ihr Opfer in einem unauffälligen Lieferwagen in eine sorgfältig präparierte Plattenbauwohnung. Dort fesseln die maskierten Entführer Stella ans Bett, verpassen ihr einen Knebel und fotografieren sie mit einer aktuellen Tageszeitung, um vier Millionen Euro von Stellas wohlhabendem Vater zu erpressen. Der will allerdings nicht zahlen – und so sehen sich Tom und Vic dazu gezwungen, eine härtere Gangart einzuschlagen. Bevor sie Stella aber misshandeln, entreißt das aufmüpfige Entführungsopfer Tom bei einem Toilettengang dessen Waffe – und staunt nicht schlecht, dass ihr Ex-Freund unter der Maske steckt…

    Stella hat ihren Entführer erkannt.

    Wer J Blakesons einleitend erwähnten Thriller mit Hauptdarstellerin Gemma Arterton in der Rolle der titelgebenden Alice Creed bereits kennt, wird am zuerst auf Netflix erscheinenden Remake kaum mehr oder weniger Freude finden als am britischen Vorbild (das im Trailer zwar verschwiegen, aber zumindest im Abspann des Films angemessen prominent genannt wird). Die wirklich nennenswerten Änderungen, die Regisseur und Drehbuchautor Thomas Sieben bei seiner Adaption der Geschichte vornimmt, lassen sich nämlich an zwei Fingern abzählen: Die homosexuelle Beziehung der Entführer, die schon in der UK-Version des Stoffes wenig überzeugend ausfiel und die bis dato so mitreißende Story vom Kurs abbrachte, hat Sieben aus gutem Grund gestrichen – stattdessen dichtet er in „Kidnapping Stella“ eine Schwangerschaft hinzu, um dem ohnehin schon speziellen Verhältnis zwischen Stella und ihrem Ex-Freund und Entführer Tom zusätzliche Brisanz zu verleihen.

    Dass die beiden Kriminellen zwar ihre Gier nach Millionen, aber nicht das Bett miteinander teilen, ist eine absolut sinnvolle Änderung zugunsten der Glaubwürdigkeit. Durch das heranwachsende Kind in Stellas Bauch ändert sich am Unterhaltungswert aber eher wenig – von ein paar Übelkeitsattacken der werdenden Mutter und einer emotionalen Videobotschaft an ihren Vater einmal abgesehen. Die von ständigem Misstrauen und Angst geprägte Drei-Personen-Konstellation zwischen dem knallharten Anführer Vic, seinem sensibleren Komplizen Tom und ihrem widerspenstigen Opfer Stella birgt schließlich auch so schon genügend Sprengstoff, um den Film im Laufe der eineinhalb Stunden Spielzeit mehrfach neu auszurichten. Doch wie auch in „Spurlos“ nehmen die Wendungen, die im deutschen Remake nahezu 1:1 übernommen werden, auf der Zielgeraden Überhand – eine ausführlichere Exposition im Hinblick auf Stella, über deren Leben wir so gut wie nichts erfahren, wäre gerade für den Tiefgang des dynamisch arrangierten Plots gewinnbringender gewesen.

    Überraschend brutales Kammerspiel

    Rein handwerklich und mit Blick auf das knappe Produktionsbudget fällt „Kidnapping Stella“ aber ähnlich überzeugend aus wie seine britische Vorlage: Die versiffte Plattenbau-Wohnung, die die Filmemacher komplett im Studio nachbauen ließen, bildet die perfekte Kulisse für das fiebrige, fast klaustrophobisch anmutende und stellenweise überraschend brutale Kammerspiel. Dabei lässt die Regie jeder Figur gerade noch so viel Platz für sich selbst, um den anderen entscheidende Geheimnisse vorzuenthalten – Geheimnisse, die der Zuschauer oft kennt und dann miträtseln darf, ob und wann es wohl gelüftet wird (Stichwort: Patronenhülse). Einen eigenen Erzählton lässt die düster inszenierte Geschichte jedoch vermissen: Große Teile der synchronisierten Originaldialoge werden einfach übernommen, statt dem Ganzen mehr Eigenständigkeit oder gar Lokalkolorit zu verleihen. Der Schauplatz Berlin bleibt bis auf wenige Außenaufnahmen vollkommen austauschbar.

    So sind es unterm Strich vor allem die drei überzeugenden Hauptdarsteller, die „Kidnapping Stella“ von der sonst so ähnlichen Vorlage abheben: Die jungen Shooting-Stars Jella Haase und Max von der Groeben, die bereits für die megapopuläre „Fack Ju Göhte“-Reihe zusammen vor der Kamera standen, harmonieren in ihren anspruchsvollen Rollen als gepeinigte Entführte und gestresster Entführer mit gemeinsamer Vergangenheit prächtig, während Clemens Schick („Casino Royale“) seinen britischen Kollegen Eddie Marsan mit seiner ausdrucksstarken Performance als leicht überzeichneter Chef im Ring sogar in den Schatten stellt. Der größte Reiz des Films liegt aber – und das wiederum verbindet ihn mit dem Original aus Großbritannien – in der beklemmenden Aufarbeitung einer menschlichen Urangst, die Jella Haase bei der Premiere des Thrillers auf dem Filmfest München so treffend auf den Punkt brachte: Es ist „die Grundangst vor dem Ausgeliefertsein“, die uns intensiv mit der ihrer Freiheit und Würde beraubten Stella fühlen und leiden lässt.

    Fazit: Thomas Siebens „Kidnapping Stella“ ist ein spannend inszenierter und überzeugend besetzter Entführungsthriller, der sich allerdings nie aus dem Fahrwasser seiner britischen Vorlage löst.

    Wir haben „Kidnapping Stella“ auf dem Filmfest München gesehen, wo er als Teil der Reihe Spotlight gezeigt wurde.

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