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    Le Mans 66 - Gegen jede Chance
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Le Mans 66 - Gegen jede Chance

    Grandios gefilmter Rennsport

    Von Oliver Kube

    Es kann immer mal wieder ganz interessant sein, sich die Vorgeschichte einer fertigen Filmproduktion anzuschauen, um zu erfahren, wer irgendwann mal um ein Haar, welchen Part übernommen oder auf dem Regiestuhl gesessen hätte. Bei „Le Mans 66 - Gegen jede Chance“ waren es beispielsweise Tom Cruise und Brad Pitt, die eigentlich für die Rollen der legendären Rennfahrer Ken Miles (1918-1966) und Carroll Shelby (1932-2012) vorgesehen waren. Die Inszenierung sollte in dieser Entwicklungsphase „Tron: Legacy“- und „Oblivion“-Regisseur Joseph Kosinski übernehmen. Letztlich war jedoch keiner der drei dabei, als die Dreharbeiten Mitte 2018 in den USA und Frankreich über die Bühne gingen. Wie der Film mit ihrer Beteiligung ausgefallen wäre, werden wir nie erfahren.

    Was wir dagegen sagen können: Hollywood-Studio Fox hat exzellentes anderes Personal für diese drei entscheidenden Parts gefunden. Der nun verantwortliche Regisseur James Mangold bewies bereits im Actionfach (siehe „Logan“) wie auch im dramatischen Biopic-Genre („Walk The Line“) beeindruckend, dass er erstklassige, Oscar-verdächtige Arbeit leisten kann. Mit den Superstars Matt Damon („Der Marsianer“) und Christian Bale („The Dark Knight“) stellte man ihm dazu zwei der qualitativ zuverlässigsten Mimen der Gegenwart zur Verfügung, um die reale, erbittert ausgetragene Rivalität zwischen dem amerikanischem Autorennstall Ford und seinem italienischen Konkurrenten Ferrari fesselnd zu erzählen. Sie liefern uns ein gerade zu Beginn und im Finale ans Herz gehendes, rasantes und nachdenkliches Drama, bei dem der Kinogänger sich zudem in einigen Minuten wie ein echter Rennfahrer fühlen kann.

    Traumduo: Matt Damon & Christian Bale!

    Anfang der 1960er dominieren europäische Hersteller den globalen Rennsport-Zirkus. Speziell Ferrari scheint für die US-Konkurrenz unschlagbar. Bei den Ford-Werken arbeitet allerdings ein junger Manager namens Lee Iacocca (Jon Bernthal), der die Idee hat, mit einem revolutionären neuen Wagen den Kampf gegen die Italiener aufzunehmen und dadurch gleichzeitig die Werbetrommel für den finanziell angeschlagenen US-Konzern zu rühren. Iacocca verpflichtet den Ex-Champion und genialen Ingenieur Carroll Shelby (Matt Damon), ihm ein Auto zu designen, mit dem Ford innerhalb eines Jahres das legendäre 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewinnen kann. Shelby besteht aber darauf, den eigenwilligen Briten Ken Miles (Christian Bale) als Fahrer an Bord zu nehmen. Widerwillig stimmt CEO Henry Ford II (umwerfend knorrig: Tracy Letts) zu, droht nach desaströsen ersten Versuchen aber den Geldhahn wieder abzudrehen. Mit unnachgiebigem Ehrgeiz gelingt Shelby und Miles dennoch ein Durchbruch, der den bereits geplatzt geglaubten Traum plötzlich wahr werden lassen könnte…

    Mangolds lässt sich in seinem in Nordamerika „Ford v Ferrari“ betitelten Drama, lange (sehr lange!) Zeit, bis er endlich einen von dem amerikanischen Hersteller konstruierten Schlitten gegen sein italienisches Pendant auf der legendären Piste im Nordwesten Frankreichs antreten lässt. Doch der Regisseur verplempert die etwa eineinhalb Stunden, bis sich die Startflagge im Jahre 1966 senkt, nicht einfach nur mit schön atmosphärischen, von Kulissenbauern und Kostümbildnern perfekt ausgestatteten Bildern. Er nutzt sie hauptsächlich dazu, die einmalige Beziehung zwischen Miles und Shelby glaubhaft zu schildern. Die verdient deshalb so viel Aufmerksamkeit, weil der von Bale verkörperte Brite Miles und Damons Shelby grundverschiedene Typen waren und eine Weile brauchten, sich zu einem schlagkräftigen Team und schließlich sogar echten Freunden zusammenzuraufen konnten.

    Shelby & Miles v Ford

    Nicht nur die beiden Protagonisten duellieren sich, sondern auch die vielen (teilweise überraschend humorvollen) Sequenzen, dank denen der Film auch eher „Shelby & Miles v Ford“ heißen müsste, sind bei Mangolds weitem Ausholen wichtig. Im Laufe des intensiven Beginns sehen wir sogar noch Shelby selbst hinter dem Steuer. Der Texaner war Mitte bis Ende der 1950er auch ein Weltklasse-Fahrer (u. a. in der Formel 1), dessen größter Erfolg der Sieg bei eben jenem legendären Wettbewerb von Le Mans im Jahre 1959 war. Direkt nach seinem Triumph beendete er aus gesundheitlichen Gründen (das Herz!) seine Karriere und begann mit dem gleichen, enormen Ehrgeiz, den er zuvor auf der Strecke gezeigt hatte, nun Hochleistungswagen für andere Piloten zu designen. Eines seiner größten Ziele war es, die damals als nahezu unschlagbar geltenden Kreationen von Enzo Ferrari (herrlich arrogant und unnahbar gespielt von Remo Girone aus „Live By Night“) zu schlagen – auch aus persönlichem Antrieb: Denn dieser lehnte einst ab, Carroll als Fahrer zu verpflichten.

    Trotz des deswegen in Damons kontrolliertem Spiel unterschwellig mitschwingenden Grolls, verkörpert er die deutlich besonnenere, vernünftigere und analytischere Hälfte des zentralen Duos der Story. Christian Bale gibt den in den USA lebenden Briten Ken Miles dagegen als oft überdrehenden Hitzkopf, dem jederzeit die Hutschnur platzen kann. Miles hat eine Menge Probleme; auch weil er impulsiv und aufbrausend ist, immer sagt, was er denkt und dabei gern mal mit deftigen Schimpfkanonaden ausfallend oder gar handgreiflich wird. Gelegentlich übertreibt es der in vielen seiner sonstigen Auftritte so akkurat und angemessen agierende Bale dabei leider ein wenig mit dem Grimassieren und Arme fuchteln. So wirkt seine am ehesten an Dicky Eklund aus „The Fighter“ erinnernde Figur neben dem jede Nuance perfekt treffenden Damon in einigen Momenten fast wie eine Karikatur. Aber die sind rar und im Rahmen des restlichen Gezeigten verzeihlich.

    Auch wenn es Bale manchmal ein wenig übertreibt.

    Bale ist dann am besten, wenn er sich die Leinwand mit Caitriona Balfe („Outlander“) teilt, die mit Charme und Stärke Miles‘ Ehefrau Mollie verkörpert. Die von tiefer Liebe, gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägte Beziehung sowie das rührende Verhältnis beider zum gemeinsamen Sohn (Noah Jupe, „A Quiet Place“) bereichert das Drama. Vom Leben des 2012 verstorbenen Carroll Shelby jenseits der Rennstrecken und Werkstätten erfahren wir – abgesehen von seiner Herzschwäche – hingegen so gut wie nichts - angesichts der Tatsache, dass der Auto-Visionär insgesamt sieben Mal heiratete, sicher eine kluge Entscheidung der Drehbuchautoren Jason Keller („Machine Gun Preacher“) sowie Jez & John-Henry Butterworth („Edge Of Tomorrow - Live. Die. Repeat“). Sonst hätte der mit 152 Minuten Laufzeit ohnehin schon Überlänge aufweisende Film wohl locker die Vier-Stunden-Schallmauer durchbrochen.

    Neben dem auch in Nebenrollen (mit Ausnahme von Bales Overacting-Ausfällen) exzellenten Cast sticht Mangolds Inszenierung heraus, was allen voran bei den Fahrszenen auffällt. Wer dachte, dass Ron Howard in „Rush“ das aktuelle Nonplusultra gesetzt hat, wird hier noch begeisterter sein. Ob im Rennen oder bei spektakulären Testfahrten, Mangold dreht die Action auf der Strecke immer wieder aus der Sicht des Piloten. Dank der Arbeit der Crew um Kameramann Phedon Papamichael („Todeszug nach Yuma“) sowie vor allem auch dank des brillanten Sounddesigns von Jay Wilkinson („Fast & Furious 6“) spürt der Zuschauer geradezu die Vibration des Motors, kleine Unebenheiten des Straßenbelags oder eine Beschleunigung. Uns würde es nicht wundern, wenn der ein oder andere Zuschauer sich im Kinosessel sogar ansatzweise mit dem Fahrer in die Kurve legt.

    Action mit Hintergedanken

    Die grandiose Inszenierung der Action ist dabei nicht nur ein Gimmick, sondern Mangold nutzt es auch, um mit diesen Bildern etwas zu erzählen. In zwei kleinen, aber enorm effektiven Abschnitten (einmal relativ früh im Film, einmal gen Finale) sehen wir so die Hände von Miles am Schaltknüppel und seine Füße an den Pedalen. Im Wechsel zu dieser Ego-Perspektive sind aber Shelbys Augen und seine Stimme geschnitten. Das Genie an der Boxenmauer sieht den perfekten Augenblick für die Attacke, für ein Überholmanöver, welches der Teufel am Steuer dann umsetzt. Mit diesem Szenenwechsel zieht uns Mangold auf zweifache Weise in seinen Film: Wir haben das Gefühl, selbst am Steuer zu sitzen; auf clevere Weise unterstreicht er aber so noch einmal, die symbiotische Verbindung seiner beiden Protagonisten.

    Fazit: Weit ausholend, aber geschickt und dramatisch aufgebaut wird James Mangolds Auto-Drama nicht nur Rennsport-Fans begeistern.

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