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    The Devil All The Time
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    The Devil All The Time

    Zu gut gelaunt? Dann hat Netflix genau den richtigen Film!

    Von Björn Becher

    Trotz nur zwei Romanen und einer Kurzgeschichtensammlung avancierte Donald Ray Pollock bereits zu einem der prägenden US-Südstaaten-Literaten – und wird schon mit Autorenlegende William Faulkner verglichen. Pollocks wunderschönen Formulierungen stehen dabei immerzu in krassem Kontrast zu den abscheulichen Menschen und ihren noch abscheulicheren Taten, die seinen gottverlassenen Geburtsort Knockemstiff, in dem seine ersten Werke spielen, bevölkern. Doch wie übertragt man eine solche Prosa, die ihre Kraft ja gerade aus der Widersprüchlichkeit von schönen Worten und schrecklichen Handlungen zieht, in die Form eines Films?

    Regisseur Antonio Campos („Christine“) hat sich bei seiner Verfilmung von „The Devil All The Time“ (deutscher Titel des Romans: „Das Handwerk des Teufels“) nun dafür entschieden, es gar nicht erst zu versuchen. Stattdessen lässt er den schillernden Schulabbrecher, der sich mit allerlei Jobs durchschlug, bevor er erst mit Mitte 40 das Schreiben für sich entdeckte, persönlich als Off-Erzähler auftauchen. Das ungewöhnliche Konzept geht dank Pollocks eindringlicher Erzählstimme auf – selbst wenn der Film trotz seiner starken Besetzung mit vielen Problemen und massiver Überlänge zu kämpfen hat.

    Es wird viel gebetet in "The Devil All The Time".

    Nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich Heimkehrer Willard Russell (Bill Skarsgård) mit seiner Frau Charlotte (Haley Bennett) in Knockemstiff, Ohio nieder. Hier ist jeder Bewohner über ein paar Ecken mit jedem verwandt – und so werden die einzigen Zugezogenen wohl immer die Außenseiter bleiben. Während er mit seinem Sohn Arvin (zunächst: Michael Banks Repeta) stundenlang im Wald betet, zeigt Willard ihm auch, wie und wann man mit Brutalität gegen Menschen zurückschlägt, die einem das Leben zur Hölle machen. Doch dann sterben beide Eltern innerhalb von nur 24 Stunden...

    Kurz nach Beginn des Vietnamkrieges ist Arvin (nun: Tom Holland) ein junger Mann, der gemeinsam mit der Pastorentochter Lenora (Eliza Scanlen), die noch jünger ihre Eltern verlor, in Coal Creek, West Virginia bei seiner gottesfürchtigen Oma (Kristin Griffith) aufgewachsen ist. Arvin liebt seine „Schwester“, doch die ist fasziniert vom neuen Priester Preston Teagardin (Robert Pattinson). Während ein Serienkiller-Ehepaar (Jason Clarke / Riley Keough) auf der Suche nach neuen „Models“ zum jährlichen Road-Trip aufbricht und sich ein korrupter Sheriff (Sebastian Stan) aus den Fängen seiner Mitwisser zu befreien versucht, kommt es zu einem erschütternden Ereignis, auf das Arvin nur eine Antwort hat: Gewalt!

    Zu viel von allem für nur einen Film

    Obwohl „Das Handwerk des Teufels“ nach der Kurzgeschichtensammlung „Knockemstiff“ der erste Roman von Pollock ist, bleibt der Autor auch darin seiner Vorliebe treu, lieber viele kleine Geschichten zu erzählen, statt einen umfassenden Bogen zu spannen. Bei der Adaption standen Antonio Campos und sein Bruder und Co-Autor Paulo Campos deshalb vor der Frage, wie sich das reiche Arsenal an Figuren und Handlungssträngen in einen einzigen Film unterbringen lässt. Ihre Lösung: Sie pressen einfach alles rein! „The Devil All The Time“ wirkt gerade anfangs unglaublich überladen - auch weil Campos immer wieder zeigen muss, dass all diese Figuren irgendwie zusammenhängen, obwohl sie lange Zeit gar nicht wirklich etwas miteinander zu tun haben.

    Das führt etwa dazu, dass es beim Kennenlernen von Willard und Charlotte in einem Diner einen kurzen Schlenker gibt, um zu zeigen, wie sich das spätere Serienkillerpärchen im selben Moment kennenlernt. Die Szene in der Szene reißt den Zuschauer aber nur unnötig aus dem Moment – und gerade zu Beginn passiert das immer wieder. Campos vermeidet es, die Vorlage massiver zu kürzen, und stellt größtenteils nur um. Pollock erzählt kapitelweise von einzelnen Figuren, teilweise mit Berührungspunkten zu anderen, aber immer einem klaren Fokus auf die Hauptfigur des Kapitels. Campos springt stattdessen zu Beginn wild hin und her – nicht nur örtlich, sondern auch durch die Zeit.

    Serienkiller auf Opfersuche.

    Das macht „The Devil All The Time“ in der ersten halben Stunde sehr sperrig – gerade wenn die Figuren, mit denen man nach und nach warm wird, dann plötzlich größtenteils sehr brutal und sehr schnell auch schon wieder sterben. Als Kleister, der alles noch zusammenhält, fungiert ausgerechnet Donald Ray Pollock selbst. Ja, es ist eher billig, immer dann, wenn man nicht die richtigen Bilder findet, einfach einen Off-Erzähler zu bemühen, um die Gedanken der Figuren zu erläutern oder Zusammenhänge herzustellen. Trotzdem funktioniert es in der Originalfassung* auch dank der angenehm sonoren Stimme des Autors.

    Oft erläutert er nicht nur, sondern greift auch düsteren Ereignisse vor. Als Lenoras junge Mutter Helen Hatton (Mia Wasikowska) ihr Baby für einen kurzen Nachmittagsausflug mit dem Kindsvater und Prediger Roy Laferty (mal wieder voll im Psychopathen-Modus: Harry Melling) zurücklässt, konterkariert der Erzähler ihr „Wiedersehen“ mit der Aussage, dass es das letzte Mal ist, dass Mutter und Kind zusammen sind und man ihre Leiche sieben Jahre später im Wald verscharrt finden wird. Natürlich löst das auch gleich eine ganz andere Anspannung aus, wenn kurz danach Helen und Roy in einem Waldstück Station machen.

    Die Hoffnung stirbt zuerst

    In „The Devil All The Time“ geschehen viele dieser brutalen Taten, die von Menschen begangen werden, die sich ach so gottesfürchtig geben – was den Film noch schwieriger zu verdauen macht. Denn den Bewohnern in Knockemstiff und Coal Creek passiert nichts Gutes, da können sie noch so ausdauernd beim selbstgebastelten Kreuz im Wald beten. Die Gratwandlung, sich nicht an diesen Unglücken, an Morden und Missbräuchen zu ergötzen, ist schwierig – und allein hätte sie Campos wohl auch nicht meistern können. Zu oft sind seine zwar kurzen, aber drastischen Exzesse zumindest auch exploitativ. Doch auch hier hilft wieder Pollock: Seine einfühlsame Stimme verströmt zumindest einen kleinen Funken Optimismus, dass hier irgendwas für irgendwen zumindest nicht ganz schrecklich enden könnte.

    Damit ragt der nur stimmlich präsente Autor sogar aus dem namhaften Cast aus aller Welt mit mal mehr, mal weniger gelungenen breiten Südstaatenakzenten heraus. Zu jedem der Stars etwas auszuführen, würde den Rahmen der Kritik sprengen. So belassen wir es bei einem Lob für das heimliche Highlight und die zwei exaltiertesten Schauspieler: Eliza Scanlen („Milla Meets Moses“) beweist einmal mehr, welch große Zukunft ihr bevorsteht. Obwohl sie es mit einer der wenigen zurückgenommenen Darstellungen in einem sehr lauten Ensemble besonders schwierig hat aufzufallen, versteht sie es, unglaublich viel über ihre Figur nur mit ihren Augen zu erzählen.

    Ein neuer Prediger stellt sich der Gemeinde vor.

    Eng verbunden ist ihre Geschichte mit der von Robert Pattinsons redegewandtem Prediger. Wer nach der Darstellung eines wahnsinnigen Bibel-Rezitierers in der ersten Stunde durch Harry Melling („The Old Guard“) denkt, das geht nicht mehr wilder, wird in der zweiten Filmhälfte vom Gegenteil überzeugt. Schon Melling ist völlig drüber, wenn er mit weit aufgerissenen Augen einen Mann spielt, der glaubt, dass ihm Gott die Kraft der Wiederbelebung gegeben hat. Doch Pattinson setzt mit einer Aussprache, bei der Konsonanten so langgezogen werden, als stünden die Buchstaben mindestens zehn Mal im Wort, noch einen drauf. Es scheint so, als hätte bei Netflix der künftige „The Batman“-Star das Recht, komplett frei zu drehen – was dann großartig, aber nur in reduzierten Dosen ertragbar ist. Das hat sich schon in „The King“ (da noch mit französischem Akzent) angedeutet und wird jetzt in etwas größeren Rolle auf die Spitze getrieben.

    Gerade die guten Darsteller dürften vielen Zuschauern über die zu wenig fesselnde erste halbe Stunde von „The Devil All The Time“ hinweghelfen. Nach rund 45 Minuten schält sich zudem mit den ersten Auftritten von Tom Holland und Eliza Scanlen auch der eigentliche emotionale Anker des Films heraus. Ab hier findet Campos auch langsam eine klarere Linie: Die Zeitsprünge nehmen im Vergleich zum - auch durch das Vorverlegen einer entscheidenden Szene vom Ende des Buches - überquellenden Anfang massiv ab. So entfalten dann auch die bei Pollock traditionell niemals abreißenden Schicksalsschläge nach und nach eine immer größere emotionale Wirkung.

    Fazit: Netflix versucht sich als Erstes an einer Adaption eines Werkes von Donald Ray Pollock – und dass das nicht völlig scheitert, liegt zu einem großen Teil am Autor selbst, der den Film als Off-Kommentator über so manche Länge hinwegrettet.

    *Hinweis: Diese Kritik basiert auf der Originalfassung von „The Devil All The Time“, die uns Netflix vorab zur Verfügung gestellt hat. Im Text wird deshalb auch die originale Erzählstimme von Donald Ray Pollock als eine zentrale Stärke des Films genannt. Wir konnten nun zur Veröffentlichung der Rezension auch noch kurz in die deutsche Synchronfassung hineinhören – und dort wurde die Herausforderung gut gelöst: Hörbuchsprecher Axel Lutter kann mit seiner Stimme ganz großartig die unglaubliche Wärme eines netten Märchenonkels transportieren. Die knackigen Südstaatenakzente der Darsteller fallen in der deutschen Fassung aber natürlich trotzdem weg.

     

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