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    Swallow
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Swallow

    Widerstand in Zeiten der Isolation

    Von Christoph Petersen

    Angetrieben von Popkultur-Aficionado Kevin Smith („Jay And Silent Bob Reboot“), der das Regiedebüt von Carlo Mirabella-Davis bei jeder Gelegenheit in den höchsten Tönen als „aufreibend“ und „zermürbend“ lobt, brach in Nordamerika zuletzt sogar ein kleiner Social-Media-Hype um „Swallow“ aus. Ist ja aber auch kein Wunder: Zum einen lässt der Plot um eine Frau (Haley Bennett), die gegen ihre Ehe rebelliert, indem sie alle möglichen Alltagsgegenstände von der Reißzwecke bis zur Batterie herunterschluckt, natürlich sofort aufhorchen.

    Zum anderen passt die Situation der – im goldenen Käfig – festsitzenden Protagonisten aber auch einfach perfekt zur aktuellen Situation der weltweiten Selbstisolation. Da trifft Mirabella-Davis gänzlich ungeplant noch einmal besonders schmerzhaft den aktuellen Zeitgeist-Nerv. Man kann „Swallow“ dabei ohne weiteres als häusliches Drama oder als verstörenden Thriller wahrnehmen – und je nachdem, auf welcher Seite man landet, gibt es verschiedene Stärken und Schwächen. Was man aber auf jeden Fall mitnimmt: Haley Bennett hat weiterhin definitiv das Zeug zum Superstar!

    Hunter schaut, was sie wohl als nächstes herunterschlucken könnte.

    Die ehemalige Drogerieverkäuferin Hunter (Haley Bennett) scheint das ganz große Los getroffen zu haben: Ihr frischgebackener Ehemann Richie Conrad (Austin Stowell) ist reich, attraktiv – und zur Hochzeit hat das Paar von den Schwiegereltern (Elizabeth Marvel, David Rasche)mal eben ein fantastisches neues Anwesen geschenkt bekommen. Und als Hunter dann auch noch schwanger wird, scheint das Glück vollkommen.

    Aber in den Gesprächen mit Richie oder seiner Familie wird Hunter kaum wahrgenommen – zudem wächst für sie gerade in der Schwangerschaft der Druck, immer perfekt sein zu müssen. In einem Selbsthilfebuch ihrer Schwiegermutter liest Hunter den Ratschlag, dass man sich jeden Tag dazu zwingen sollte, etwas Neues auszuprobieren. Und das tut sie dann auch: Erst schluckt sie eine Murmel, dann eine Reißzwecke und schließlich sogar Batterien…

    Flucht nach innen

    Neben Kevin Smith gehört auch Leigh Whannell zu den prominenten „Swallow“-Fürsprechern auf Twitter – und das passt natürlich wie die Faust aufs Auge. Schließlich hat Whannell erst vor kurzem sein Remake von „Der Unsichtbare“ in die Kinos gebracht, in dem ebenfalls eine Frau gegen ihren kontrollsüchtigen, superreichen Ehemann aufbegehrt – nur flieht Hunter eben nicht wie Elisabeth Moss, sondern steigert sich stattdessen immer mehr in ihre Sucht, die verschiedensten Dinge herunterzuwürgen. Das Schlucken liegt schließlich allein in ihrer Kontrolle – und nach dem Ausscheiden verwahrt sie die Alltagsgegenstände wie eine Trophäensammlung auf ihrem Nachttisch.

    Im Gegensatz zum Horror-Thriller „Der Unsichtbare“ ist bei „Swallow“ aber gar nicht so eindeutig, ob man ihn nun als klassischen Genrefilm oder als psychologisches Drama goutieren sollte. Sicherlich haben die Schluckszenen eine verstörende Komponente – viele Zuschauer werden sich die Hände vors Gesicht halten und nur vorsichtig durch die Finger lugen, eben wie in einem Thriller. Der Höhepunkt des Body Horrors wären dann die Aufnahmen einer Darmspiegelung. Wobei die Szene auch einen schönen schwarzen Humor entwickelt, wenn der Arzt einen der aus ihrem Darm geretteten Gegenstände auf einem Tablett ablegt – und der Zuschauer in dem Moment sieht, was er da zuvor schon alles herausgefischt hat (wie ein Angler, der den ganzen Tag nur Schuhe und sonstigen Krimskrams an den Haken bekommt).

    Regisseur Carlo Mirabella-Davis spielt bei seiner Inszenierung viel mit den Formen des Luxus-Anwesens.

    Haley Bennett liefert dabei eine absolut faszinierende Performance, von der man sich nicht eine Sekunde loslösen kann: Mit ihrem zärtlichen Flüsterton strahlt sie eine Zerbrechlichkeit aus, als hätte sie sich mit ihrer Rolle als schick hergerichtete Puppe abgefunden, nur um dann in den Momenten des Schluckens plötzlich eine geradezu diebische Freude an der heimlichen Rebellion aufblitzen zu lassen. Nach ihrem grandiosen Debüt in „Mitten ins Herz“ (das war schon 2007!) wartet alle Welt, dass ihr endlich der ganz große Durchbruch gelingt (weil es auch einfach so offensichtlich ist, dass sie ihn verdient). Aber nachdem es zuletzt mit „Die glorreichen Sieben“ und „Girl On The Train“ wieder nicht geklappt hat, sollte nach „Swallow“ nun wirklich jedem klar sein, dass sie ein Star ist, dem man ganz schnell auch große Rollen in großen Filmen anvertrauen sollte.

    Carlo Mirabella-Davis unterstreicht die enge Isolation seiner Protagonistin mit streng komponierten Einstellungen, bei denen er sich an den klaren Konturen des modern designten Luxusanwesens orientiert. Die Inszenierung deutet also eher auf Arthouse als Horror hin – aber wenn man „Swallow“ derart ernsthaft liest, dann ergeben sich da doch ein paar Probleme: Vor allem kann man Hunters Ehemann und ihre Schwiegereltern beim besten Willen nicht für voll nehmen – das Trio wirkt wie die Bösewichte aus einer Seifenoper. Sie sind platte Karikaturen, die in wirklich jeder einzelnen Szene das denkbar Unpassendste sagen und tun. Die selbsteingenommenen reichen Schnösel sind derart eindimensional porträtiert, wie man sie eben in einem Horrorfilm (über-)zeichnen würde.

    Noch mal eine ganz neue Richtung

    Auch die psychologische Erklärung für Hunters Sucht, Dinge schlucken zu müssen (Fachbegriff: Pikazismus), erweist sich erst einmal als Enttäuschung – sie nimmt der Figur etwas von ihrer verstörend-mysteriösen Faszination und hat dann noch nicht mal etwas mit den Umständen zu tun, den wir in der Stunde zuvor beigewohnt haben. So wirkt die „Auflösung“ zunächst wie unnötig aus dem Hut gezaubert. Aber dann entwickelt sich „Swallow“ in den finalen 20 Minuten noch einmal in eine völlig neue, gänzlich unerwartete Richtung – und selbst wenn das Finale für die Body-Horror-Fans nicht mehr so viel zu bieten hat, entwickelt der Film hier plötzlich noch mal eine psychologische Tiefe und Intensität, die „Swallow“ auch für das Arthouse-Publikum unbedingt sehenswert macht.

    Fazit: „Swallow“ sollte man sich anschauen – selbst wenn man nur ganz vorsichtig durch seine Finger lugt, wenn die fantastische Haley Bennett einen zentimeterlangen, spitzen Nagel schluckt.

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