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    Tatort: Angriff auf Wache 08
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatort: Angriff auf Wache 08

    Auf den Spuren von John Carpenter

    Von Lars-Christian Daniels

    Mit seinem zweiten Langfilm „Assault – Anschlag bei Nacht“, in dem ein tapferer Cop mit der Hilfe einiger Kollegen und Strafgefangener eine kurz vor der Schließung stehende Polizeiwache gegen den Angriff einer rabiaten Gang verteidigt, knüpfte Horror-Großmeister John Carpenter („Halloween“) 1976 nahtlos an die Klasse seines Erstlingswerks „Dark Star“ an. Zugleich war sein spannender Thriller eine Hommage an seinen Lieblingsregisseur Howard Hawks und dessen Kultwestern „Rio Bravo“, aus dem er einige Motive aufgriff.

    Ob der deutsche Filmemacher Thomas Stuber für seinen „Tatort: Angriff auf Wache 08“ ebenfalls seinen Lieblingsregisseur als Vorbild gewählt hat, ist nicht überliefert. Fakt ist aber, dass der Regisseur und Drehbuchautor nun wiederum dem Carpenter-Klassiker die Ehre erweist. Stubers zweiter Beitrag zur Krimireihe nach „Tatort: Verbrannt“ ist jedoch nicht nur ein reines Remake, sondern zugleich ein erstklassig inszenierter, sehr unterhaltsamer und mit vielen Querverweisen gespickter Retro-Thriller, der allerdings nicht ganz die Klasse anderer „Tatort“-Meisterwerke aus Hessen erreicht.

    Murot & Co. verschanzen sich in der titelgebenden Wache - genau wie vor 43 Jahren bei John Carpenter!

    Irgendwo an einer einsamen Landstraße bei Offenbach steht die alte „Wache 08“, in der außer den Polizeibeamten Walter Brenner (Peter Kurth) und Cynthia Roth (Christina Große) niemand mehr arbeitet. Das Revier wurde zum Museum umfunktioniert: Die Technik ist mehr als 30 Jahre alt und dient in erster Linie dazu, mäßig interessierten Schulklassen zu erläutern, wie Polizisten damals gearbeitet haben. Als LKA-Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) sich wenige Stunden vor einer Sonnenfinsternis zum Ärger seiner Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp) frei nimmt und seinem alten Kumpel Brenner, den er noch aus gemeinsamen BKA-Zeiten kennt, einen Besuch abstattet, überschlagen sich die Ereignisse:

    Die minderjährige Jenny Sibelius (Paula Hartmann), die in der Stadt in Notwehr einen Verbrecher erschossen hat, schlägt auf der Wache auf und bittet Brenner um Schutz. Sie wird von einer Gang gejagt, die es auf ihr Leben abgesehen hat und nun das Revier umstellt. Der Zufall will es, dass auch noch der Gefangenentransport der Schließer Jörg (Jörn Hentschel) und Manfred (Sascha Nathan) mit sechs Kriminellen im Innenraum vorfährt und wegen einer Reifenpanne um Unterstützung bittet. Dann verdunkelt sich der Himmel…

    Ein Remake voller Zitate und ein eigenständiges Werk

    Schon die ersten Sekunden machen deutlich: Regisseur Thomas Stuber, der das Drehbuch wie schon bei seinen herausragenden Langfilmen „Herbert“ und „In den Gängen“ gemeinsam mit Clemens Mayer geschrieben hat, orientiert sich vor allem in der ersten Filmhälfte sehr eng am eingangs erwähnten Vorbild von John Carpenter. Der Filmemacher taucht seine Opening Credits in blutrote Schrift, während ein düsterer Score erklingt – das weckt bei Kennern sofort Erinnerungen an die Eröffnung von „Assault – Anschlag bei Nacht“. Doch Stuber begeht nicht den Fehler, beim Zuschauer Vorwissen vorauszusetzen oder das Vorbild aus den 70ern lediglich neu aufzuwärmen – vielmehr arrangiert er eine kurzweilige Kreuzung aus einem Remake im Retro-Mantel und einer fast philosophisch angehauchten Neuinterpretation, bei der er genüsslich mit den Erwartungen des Zuschauers spielt und entscheidende Weichen anders stellt.

    So segnet zwar – wie bei Carpenter – in den Anfangsminuten gleich ein unschuldiger Eisverkäufer bei strahlendem Sonnenschein das Zeitliche, doch darf seine minderjährige Kundin im „Tatort“ überleben – stattdessen beißt einleitend ihr Vater ins Gras, der das Unheil in „Assault – Anschlag bei Nacht“ mit seiner Flucht auf die Wache erst heraufbeschwört. Auch sonst finden sich in diesem originellen und mit vielen Split-Screens durchsetzten Wiesbadener „Tatort“, an dem sich fast traditionell wieder die Geister scheiden werden, viele Parallelen zum Original, die sich in ihrer Neuauflage aber stark unterscheiden: Während das blutige Einschwören der Gang auf den Rachefeldzug oder der Blick der Kamera durchs Zielfernrohr beim Anrollen auf das Revier fast 1:1 übernommen werden, ist es statt der Krankheit eines Strafgefangenen hier eine Reifenpanne, die den Transporter zum Halt vor den Toren der abgelegenen Polizeiwache zwingt.

    Macht sich der „Kannibale von Peine“ hier etwa an sein nächstes Opfer heran?

    Das Pendant zum smarten Napoleon aus Carpenters Film ist in der 1105. Ausgabe der Krimireihe der undurchsichtige Rüdiger Kermann (Thomas Schmauser), der als „Kannibale von Peine“ lange Zeit die Unbekannte im Mikrokosmos Polizeimuseum bleibt: Nicht von ungefähr werden bei seiner Begegnung mit der schüchternen Jenny vor den Gitterstäben im Zellentrakt Erinnerungen an Jonathan Demmes Meisterwerk „Das Schweigen der Lämmer“ wach. Weitere Anspielungen gibt es auf George Romeros Zombie-Klassiker „Die Nacht der lebenden Toten“, Barry Levinsons Box-Office-Hit „Good Morning, Vietnam“ oder John Badhams Sci-Fi-Komödie „Nummer 5 lebt!“ – der in Sepiatönen eingefangene und mit einem stimmungsvollen Soundtrack verstärkte Retro-Look der 80er Jahre hingegen erinnert stark an den nicht minder unterhaltsamen Frankfurter „Tatort: Falscher Hase“, der sieben Wochen zuvor ausgestrahlt und ebenfalls vom HR produziert wurde.

    An die Klasse einiger anderer TV-Meisterwerke aus Hessen – man denke an den „Tatort: Im Schmerz geboren“, den „Tatort: Wer bin ich?“ oder den letzten Wiesbadener „Tatort: Murot und das Murmeltier“ – reicht Murots achter Einsatz trotz all seiner Stärken aber nicht ganz heran: Bei den Sequenzen im Revier – dramaturgisch setzt Stuber auf das übliche Wechselspiel aus Spannung und Entspannung – schleichen sich gerade während der dialoglastigen Belagerung einige Längen ein und bei der Figurenzeichnung fehlt es vor allem beim wenig charismatischen Serienmörder Kermann an der nötigen Schärfe. Der tolle Cast um Ulrich Tukur, Peter Kurth und Christina Große kann das nicht immer auffangen. Die (zumindest körperliche) Abstinenz von Murots Assistentin Wächter wird erzählerisch hingegen elegant gelöst – und verhilft nebenbei dem früheren Erfurter „Tatort“-Kommissar Benjamin Kramme zu einem sympathischen Cameo-Auftritt als Streifenpolizist.

    Keine typische Krimi-Kost

    Mit einem klassischen Sonntagskrimi hat der „Tatort: Angriff auf Wache 08“ ansonsten herzlich wenig zu tun. Während der französische Filmemacher Jean-François Richet dem Original von John Carpenter in seinem deutlich schwächeren 30-Millionen-Dollar-Remake „Das Ende - Assault on Precinct 13“ im Jahr 2005 vor allem eindimensionale Figuren, spektakuläre Actionsequenzen und lahme Plattitüden hinzufügte, darf bei Stuber – wohlgemerkt mit einem Bruchteil des Budgets – nach Herzenslust in Nostalgie geschwelgt und mitunter laut gelacht werden: Der selbstverliebte Radiomoderator Ecki (Drehbuchautor Clemens Meyer), der das Geschehen mit seinem Countdown zur Sonnenfinsternis zeitlich rahmt und die Handlung von seinem Panorama-Studio aus regelmäßig unterbricht, ist herrlich überzeichnet und dabei doch sehr treffend angelegt, während Sascha Nathan (im Frankfurter „Tatort“ regelmäßig als SpuSi-Mitarbeiter zu sehen) in seiner Rolle als Schließer das vielleicht schönste Maurerdekolleté in die Kamera streckt, das es je im „Tatort“ zu sehen gab.

    Fazit: John Carpenter trifft Felix Murot – das macht unterm Strich eine sehr unterhaltsame „Tatort“-Hommage, mit der der Hessische Rundfunk einmal mehr näher am Hollywood-Kino ist als am klassischen Sonntagskrimi.

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