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    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Mainstream

    Influencen bis zum Erbrechen (von Emoji-Herzen)

    Von Karin Jirsak

    Sie sind (meistens) jung, sie sind hip, sie strotzen vor Sendungsbewusstsein: Influencer regieren zwar das Netz, im Kino sind sie dagegen eine noch recht unerforschte Spezies. Eine der ersten Leinwand-Studien liefert nun Regisseurin Gia Coppola („Palo Alto“) mit „Mainstream“, einem ambitionierten Mix aus Mediensatire und Coming-of-Age-Drama. Ihr Studienobjekt ist Andrew Garfield („The Amazing Spider-Man“) als digitaler Emporkömmling No One Special - und schon die Wahl des Neckname lässt erahnen: Hier hat man sich vorgenommen, der Problematik um Schein und Sein auf den Grund gehen wollen – was auch immer dort (nicht) zu finden ist. Ein Eindruck, den „Mainstream“ auch später in Form vieler differenzierter Beobachtungen immer wieder bestätigt. Und dass Gia Coppola schon als Kind gut aufgepasst hat, wenn sie am Set von Tante Sofia Coppola („Lost in Translation“) dabei sein durfte, ist ihrem mit frischen Hollywood-Vibes aufgeladenen Bilderrausch auch deutlich anzumerken.

    Link (Andrew Garfield) ist ein Lebenskünstler der alten Schule: Über Social Media rümpft er nur die Nase und besitzt noch nicht mal ein Handy! Als Barkeeperin Frankie (Maya Hawke) den extrovertierten jungen Mann am Hollywood Boulevard kennenlernt, hält der Gelegenheitsjobber im Mäusekostüm gerade Passanten einen Spontanvortrag über ein Bild von Kandinsky. Frankie, die gern „irgendwas mit Kunst“ machen würde, filmt Links Improvisation und stellt sie ins Netz. Die Klicks steigen und schnell wird Frankie klar: Ihr neuer Bekannter hat das Zeug zum Star! Zusammen mit ihrem Kollegen Jake (Nat Wolff) überzeugt sie Link, seine medienkritische Message (ausgerechnet) auf YouTube zu verbreiten. Die Fangemeinde wächst und mit ihr das Ego des Neu-Influencers, der sich fortan No One Special nennt...

    Vom Digitalverächter zum Influencer der Stunde ...

    „Würdest du mir erklären, warum du keine Handys magst?“, fragt Frankie ihren neuen Freund zu Beginn des Films. Darauf Link: „Würdest du mir erklären, warum du kein Crack rauchst?“ Die Ironie, dass hier ausgerechnet einen Verächter des Digitalkults zum Influencer der Stunde avanciert, erweist sich als eine der Stärken des Films. Schonungslos knallt No One Special seinen Konsumenten seine „Wahrheit“ ins Gesicht – und die besteht vor allem aus Verachtung für ihren Lifestyle, von dem wiederum er selbst profitiert. Trotzdem oder gerade deshalb fliegen ihm die (virtuellen) Herzen nur so zu. Als Symbolfigur für die Influencer dieser Welt steht Link jederzeit im Spotlight – und bleibt doch immer Phantom. Ob im Kakerlaken-Kostüm, wie ein Besessener zuckend oder mit Fake-Penis auf dem Hollywood-Boulevard – Andrew Garfield, hier in California-Blond, zeigt vollen Körpereinsatz und versteht es so, das Geheimnis seiner Figur bis zum richtigen Moment zu wahren.

    Überstrahlt wird er allerdings von Maya Hawke, wie die Regisseurin ein Spross aus berühmtem Hause: Als Tochter von Uma Thurman und Ethan Hawke ist Maya hier allerdings nicht angetreten, der „Stranger Things“-Star verströmt stattdessen einen ganz eigenen, eigensinnigen Glanz. Ihre Gefühle – von Faszination über Irritation bis zur puren Verzweiflung – kommen frisch und ungekünstelt rüber und reißen einfach mit. Als Gegenpol zum überdrehten (Anti-)Helden ist sie der eigentliche Star und die menschliche Seele des Films. Und dann ist da noch Nat Wolff, der auch schon in Coppolas „Palo Alto“ zu sehen war. Als Frankies Kumpel und No-One-Special-Autor hält sich der „Margos Spuren“-Star hier dezent im Hintergrund. Was nicht bedeutet, dass seine Figur keine Aufmerksamkeit erregen würde, im Gegenteil. Man hätte gern noch ein klein wenig mehr erfahren über den scheuen jungen Künstler und seine zarten Bande zu den beiden Hauptfiguren.

    Influencer – die modernen Jackasses?

    Ebenfalls mit an Bord ist Coppola-Cousin Jason Schwartzman („Fargo“), der als Influencer-Manager einen guten Job macht, aber im Unterschied zu vielen anderen seiner Rollen diesmal keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Macht nichts, denn hier gibt es wirklich genug Eindrucksvolles zu sehen – unter anderem auch einen selbstironischen Gastauftritt von „Jackass“-Legende Johnny Knoxville.

    Und genügend spannende Fragen gibt es auch: Wie viel von seiner Würde gibt der homo digitalis bereitwillig auf, nur um sein Handy nicht zu verlieren? Was bleibt von einem Selbstdarsteller, wenn er sein ganzes „Selbst“ mit der virtuellen Welt geteilt hat? Ist etwas wirklich echt, nur weil der Hashtag #realme dransteht? Und ist „die Wahrheit“ wirklich immer eine Befreiung, wenn man nur mutig dazu steht? Dass Gia Coppola diese und andere Fragen aufwirft und nur teilweise beantwortet, macht ihren Film zu einem spannenden Update des guten alten Rise-and-Fall-Narratives, das natürlich gerade im Los-Angeles-Setting nicht zum ersten Mal erzählt wird. Geschickt spielt das Drehbuch von Coppola Tom Stuart hier aber mit Erwartungen und zwingt uns als Medienkonsumenten dazu, auch die eigene Haltung zu der in No One Special verkörperten Thematik immer wieder zu hinterfragen und selbst Stellung zu beziehen.

    ... und ob Link als No One Special tatsächlich ein Engel bleibt, ist bei all dem zu Kopf steigenden Erfolg doch mehr als fraglich.

    Klingt anstrengend, kommt aber extrem leichtfüßig und (ironischerweise) konsumierbar daher – und das liegt vor allem an der Aufmachung: Die Stimmungen, der Rhythmus, die Dekors, die Outfits, der pulsierende Score – was die Ästhetik betrifft, ist hier alles mit feinfühliger Hand perfekt aufeinander abgestimmt. Die rauschende Komposition reichert Coppola dann noch mit einigen hübschen Details und Einfällen an. Da werden zum Beispiel Herzchen-Emojis ins Waschbecken gekotzt oder die Exposition mittels Zwischentiteln wie im Stummfilm vollführt – okay, notwendig wäre gerade Letzteres jetzt nicht gewesen, ebenso wenig die auf diese Weise präsentierte, aber kaum relevante Backstory um die Narbe in Frankies Gesicht. Aber solches Beiwerk stört so wenig wie die kunterbunten Streusel auf einem gehaltvollen Eisbecher.

    Fazit: Mediensatire trifft Coming-of-Age-Drama – und der Mix geht auf! Gia Coppola schafft eine mitreißende Auseinandersetzung mit dem digitalen Personenkult und ein zündendes Update der klassisch-amerikanischen Rise-and-Fall-Story. Extra-Likes gibt es für Maya Hawke („Stranger Things“) als menschlichen Gegenpol zum überdrehten Influencer-Narzissmus.

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