Eine Stadt am Rande des Nervenzusammenbruchs
Von Christoph PetersenEigentlich wollte Ari Aster seine Regiekarriere mit einem zeitgenössischen Western beginnen. Aber selbst nach fünf Jahren bekam er die dafür nötige Finanzierung nicht zusammen. Also drehte er, quasi als Plan B, „Hereditary - Das Vermächtnis“ – und schrieb damit nicht nur Horrorfilmgeschichte, sondern fuhr auch auf Anhieb die FILMSTARTS-Traumwertung von 5 Sternen ein. Es folgten die zunehmend größeren Produktionen „Midsommar“ mit Florence Pugh sowie „Beau Is Afraid“ mit Joaquin Phoenix – und so ist Aster nur sieben Jahre nach seinem Langfilmdebüt an einem Punkt in seiner Karriere angelangt, wo er das einst noch unerreichbar scheinende Budget sehr viel leichter auftreiben kann.
Allerdings ist inzwischen auch eine ganze Menge passiert in der Welt. Deshalb hat Aster sein damaliges Skript noch einmal vollständig überarbeitet – und die Handlung mitten in die Irrungen und Wirrungen der Covid-Pandemie verlegt: „Eddington“ ist eine dunkelschwarzhumorige Corona-Western-Groteske, die den realen Wahnsinn der Lockdown-Monate lange gar nicht so sehr übertreibt, bevor es dann im völlig abgefahrenen Finale fast schon „Rambo“-mäßig knallt. Aster nimmt dabei wirklich alles aufs Korn, was einem zum Jahr 2020 einfällt. Deshalb ist „Eddington“ auch (zu) stolze zweieinhalb Stunden lang geworden – und wird wohl wirklich jeden auf die eine oder andere Art vor den Kopf stoßen.
Joe (Joaquin Phoenix) ist zwar Sheriff der neu-mexikanischen Kleinstadt Eddington, aber wie so viele in diesen Tagen hat auch er die Schnauze gestrichen voll: Lockdown, Social Distancing – und dann ist noch seine Verschwörungstheorien rauf und runter betende Schwiegermutter Dawn (Deirdre O'Connell) bei ihm und seiner depressiven Ehefrau Louise (Emma Stone) eingezogen. Auch das Maskentragen fällt Joe wegen seines Asthmas besonders schwer – und als ihn der kurz vor der Wiederwahl stehende Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal) deshalb heruntermacht, setzt er damit eine schnurstracks in die Katastrophe führende Kettenreaktion in Gang:
Joe erklärt aus lauter Wut, dass er selbst bei der nächsten Bürgermeisterwahl antreten wird. Es folgt ein von wilden Slogans geprägter Wahlkampf – und mittendrin toben die hauptsächlichen von weißen Kids veranstalteten Black-Lives-Matter-Proteste, während eine offensichtlich unter falscher Flagge agierende Antifa-Terror-Gruppe sogar extra mit dem Luxus-Privatjet in das bislang so beschauliche Eddington eingeflogen wird…
„Eddington“ zerfällt grob in drei Teile. Los geht’s mit einer wahnsinnig genau beobachteten Corona-Satire – entweder hat Ari Aster damals alles um sich herum ganz genau aufgesogen, oder er hat sehr ausführlich online recherchiert, was sicherlich nicht allzu gut für die geistige und seelische Gesundheit gewesen sein kann: Schon allein das Ausmaß der Verschwörungstheorien, die hier über Zahlenmystik praktizierende Radiosender oder gleich direkt von der biestigen Schwiegermutter verbreitet werden, geht auf keine Kuhhaut. Und da hat sich Louise noch nicht mal dem tourenden Wider-die-pädophilen-Geheimbünde-Prediger Vernon Jefferson Peak (Austin Butler) angeschlossen. Das ist zwar alles wahnsinnig grotesk, aber wenn man über die einzelnen Dinge genauer nachdenkt, scheint keines von ihnen für sich besonders unwahrscheinlich.
Da hatte man gerade vom Regisseur von „Beau Is Afraid“ noch mehr Überdrehtheit erwartet. Aber das heißt nicht, dass „Eddington“ nicht provoziert, ganz im Gegenteil: Weil die Pointen nie entlang irgendwelcher längst abgesteckten Diskussionslinien verlaufen, sondern wirklich jeder sein Fett wegkriegt, ganz egal ob Big Money oder Black Lives Matter, dürfte so wirklich jedem irgendwann das Lachen im Halse stecken bleiben. Aster scheint es in seiner Analyse weniger darum zu gehen, wer damals was falsch gemacht hat oder welche absurden Blüten die Covid-Reaktionen getrieben haben, als vielmehr aufzuzeigen, dass in diesem Moment eine ganze Nation kollektiv ihren Verstand verloren (und seitdem offenbar auch nicht mehr wiedergefunden) hat.
Die ätzende Brillanz von Radu Judes meisterhaften, mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Corona-Abrechnung „Bad Luck Banging Or Loony Porn“ erreicht „Eddington“ zwar nicht ganz, aber es ist trotzdem durchweg unterhaltsam zu beobachten, was sich da unter der vermeintlich friedlichen Kleinstadt zusammenbrodelt. Das gilt noch mal ganz besonders, wenn Joaquin Phoenix („Napoleon“) und Pedro Pascal („The Last Of Us“) direkt aufeinandertreffen, und in der intensivsten Szene des Films eine gar nicht mal harte, aber gerade deshalb so herabwürdigende Ohrfeige ausreicht, um das Fass endgültig überlaufen zu lassen. Darauf folgt im kurzzeitig etwas auf der Stelle tretenden Mittelteil eine Kleinstadt-Mord-Groteske, deren Auftakt völlig aus dem Nichts kommt und die dann schleichend in ein Finale mündet, in dem Ari Aster wieder ganz zum Wahnsinn seiner früheren Filme zurückkehrt, wenn er vom hinterfotzigen „Fargo“- direkt in den ultrabrutalen „The Wild Bunch“-Modus umschaltet.
Fazit: „Eddington“ ist eine genreübergreifende Psychogroteske – „Fargo“ mit einem blutigen Finale wie auf Crack trifft auf eine sehr genau beobachtete, mit allem und jedem rücksichtslos abrechnende Covid-19-Farce! Nach dem völlig durchgeknallten Psycho(sen)-Trip „Beau Is Afraid“ schraubt Ari Aster zwar die Wahnsinnsschraube zum ersten Mal in seiner Karriere wieder ein wenig zurück, aber „Eddington“ ist trotzdem eine dunkelschwarze Kleinstadt-Western-Satire, bei der sich der Regisseur allenfalls mit der etwas gestreckt wirkenden Laufzeit von 145 Minuten ein Stückweit verhoben hat.
Wir haben „Eddington“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb seine Weltpremiere gefeiert hat.