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    Wie dreht man einen Horrorfilm ohne einen einzigen Schnitt? "Home Sweet Home"-Star Nilam Farooq im großen FILMSTARTS-Interview!
    Christoph Petersen
    Christoph Petersen
    -Chefredakteur
    Seitdem er nach „Scream“ eine Woche lang nicht schlafen konnte, jagt er diesem Gefühl hinterher – und schaut deshalb so gut wie jeden Horrorfilm.

    Für den Januar haben wir den One-Shot-Schocker „Home Sweet Home“ für unsere Initiative „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt – da gehört ein Interview mit der in diesem Fall besonders geforderten Hauptdarstellerin natürlich zwingend dazu…

    Constantin Film Verleih

    Nilam Farooq begann ihre Kino-Karriere als Hauptdarstellerin von „Heilstätten“, dem erfolgreichsten deutschen Horrorfilm seit einer gefühlten Ewigkeit! Der endgültig Durchbruch folgte dann mit „Contra“, der nicht nur an den Kassen ein Hit war, sondern ihr gemeinsam mit Co-Star Christoph Maria Herbst auch den begehrten Ernst-Lubisch-Preis für die beste komödiantische Leistung in einem deutschsprachigen Kinofilm einbrachte. Nebenbei hat sie zudem bei „Schlag den Star“ 100.000 Euro und bei „Wer stiehlt mir die Show“ ein eigenes Rätselheft-Cover als „Deutschlands schlauster Mensch“ abgesahnt.

    In dieser Woche meldet sie sich im Horror-Genre zurück – und stellt sich dabei einer ganz besonderen Herausforderung: Regisseur Thomas Sieben und sein Team haben den Grusel-Schocker „Home Sweet Home“ nämlich in einem Durchlauf und ohne Schnitt gedreht – da muss eineinhalb Stunden am Stück einfach alles glatt laufen, damit sowas überhaupt funktionieren kann. Wir haben die Schauspielerin im Münchner Büro des Constantin Filmverleihs zum Interview getroffen:

    FILMSTARTS: Wie hast du die Nacht vor dem ersten Durchlauf geschlafen?

    Nilam Farooq: So schlecht wie glaube ich noch nie, aber ich habe auch bei keinem anderen Projekt vorab so viel Druck empfunden. Am Tag vor dem ersten Dreh hatten wir eine Art Generalprobe – und das war das erste Mal, dass ich das Ganze komplett durchgespielt habe. Und dann wusste ich natürlich: So, jetzt steht und fällt es zu einem großen Prozentteil mit dem, was ich mache – selbst wenn dann noch Zufall und Glück dazukommen. Ich hatte echt Bauchschmerzen.

    FILMSTARTS: Das kann man glaube ich ziemlich gut nachvollziehen. Aber hast du da auch schon beim Angebot direkt drüber nachgedacht? War der One-Shot ein Grund, sofort zuzusagen – oder hast du deswegen eher ein wenig gezögert?

    Nilam Farooq: Für mich war der One-Shot schon das Ausschlaggebende. Sowas wurde mir noch nie angeboten, was ja auch klar ist, schließlich werden nicht viele davon gemacht. Und trotzdem: Diese spezielle Möglichkeit, den Film über 90 Minuten zu tragen, war schon der Hauptgrund zu sagen: Ja, ich möchte das versuchen!

    FILMSTARTS: Was kam denn zuerst: Die Zusage – oder ein ganzer Haufen Fragen an deinen Regisseur Thomas Sieben, wie zum Teufel das alles überhaupt funktionieren soll?

    Nilam Farooq: Das läuft ja mehr oder weniger Hand in Hand. Aber ich habe mich erstmal mit Thomas getroffen, um darüber zu reden. So richtig vorstellen konnte ich mir das damals nämlich noch nicht. Ich habe mir zwar vorher ein paar Dinge zu dem Thema durchgelesen – aber wenn man dann das Drehbuch durchgeht, fragt man sich trotzdem immer wieder, wie das umgesetzt werden soll, wenn man nicht schneiden kann? Ich habe mir das alles von Thomas erklären lassen – und natürlich ist die Arbeit zwischen Schauspieler*innen und Regisseur in so einem Fall eh eine ganz andere: Die findet nämlich in den zwei Wochen VOR den Dreharbeiten statt – und sobald der eigentliche Durchgang startet, ist der Regisseur dann aber im Hintergrund, dann legt er alles in die Hand von Kamera und Darsteller*innen.

    FILMSTARTS: Ihr habt ja drei Durchläufe gemacht – hat man sich da nach jedem noch mal zusammengesetzt, um zu besprechen, was gut gelaufen und was weniger gut gelaufen ist? Oder wäre man darüber nur zu sehr ins Nachdenken geraten?

    Nilam Farooq: Sowas gab es nicht. Das Besondere war ja auch, dass wir in der Dämmerung ansetzen und es dann im Verlauf der 90 Minuten Nacht wird – deshalb hatten wir jeden Tag auch nur einen Versuch, und hätten nicht einmal neu ansetzen können, selbst wenn schon nach 20 Minuten etwas passiert wäre. Wir haben immer so um 19 Uhr gestartet und waren dann entsprechend um 20.30 Uhr durch – aber weil wir am Vormittag schon einen trockenen Durchlauf gemacht haben, war man dann wirklich fix und fertig. Nach der letzten Sekunde nimmt man sich da nur kurz in den Arm, wünscht noch schnell „Schönen Abend!“ und fällt dann erschöpft ins Bett.

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    Etwas überbelichtet, aber trotzdem gutgelaunt: FILMSTARTS-Chefredakteur Christoph Petersen mit Nilam Farooq beim Interview in München.

    FILMSTARTS: Wie sah denn die Probenphase in den zwei Wochen vor dem eigentlichen Drehbeginn genau aus?

    Nilam Farooq: Als wir dazugekommen sind, hatte das Team bereits mit Schauspielstudent*innen Probeaufnahmen gemacht – einfach um herauszufinden, welche Gänge überhaupt funktionieren und wo und wie die Kamera folgen kann. Und auch in meiner ersten Woche haben wir wirklich nur technisch geprobt. Das hatte erst mal rein gar nichts mit Spielen zu tun. Stattdessen ging es neben dem Einstudieren der Gänge um Fragen wie: „Welchen Lichtschalter darf ich wirklich drücken und welcher wird von extern gesteuert?“ In der zweiten Woche haben wir den Film in drei Akte aufgeteilt und diese dann immer wieder durchgespielt – bis wir diese dann bei der Generalprobe erstmals alle zusammengepackt haben.

    FILMSTARTS: Es wäre ja ein Leichtes gewesen, einfach ein paar nicht sichtbare Schnitte hineinzuschmuggeln – aber das habt ihr ja nicht gemacht, sondern den Film als One-Shot gedreht. Und ich merke das bei mir selbst: Ich nehme Filme ganz anders war, wenn ich weiß, dass die WIRKLICH ohne Schnitte entstanden sind – selbst wenn es von dem, was auf der Leinwand zu sehen ist, eigentlich gar keinen Unterschied macht. Woran meinst du, liegt das?

    Nilam Farooq: Toll, dass du das sagst. Ich glaube, dass das schon unterbewusst etwas mit einem anstellt – dass es einen anders mitnimmt auf die Reise von Maria. Und dann gibt es natürlich Leute, die Filme einfach so sehr lieben, dass sie sich auch für die Machart interessieren und das dann auch zu schätzen wissen – da gehört ja auch eine Menge dazu, man entscheidet sich ja nicht einfach mal eben so, einen ganzen Film in einem Durchlauf zu drehen. Innerhalb der Branche hoffe ich schon, dass das geschätzt wird – und beim Publikum bin ich immer froh, wenn es sich einfach gut unterhalten fühlt.

    FILMSTARTS: Dieses unterbewusste Sich-in-der-Geschichte-verlieren – gilt das bei One-Takes nur fürs Publikum, oder ging es dir auch beim Spielen so. Ich meine, so eine Horrorgeschichte in einem einsamen, dunklen Haus – das muss sich ja schon auch ein bisschen wie eine persönliche Geisterbahn anfühlen, wenn nicht alle 30 Sekunden „Schnitt“ gerufen wird, sondern man das eineinhalb Stunden am Stück durchzieht?

    Nilam Farooq: Du verlierst dich komplett. Nach den ersten 15 Minuten war ich wie in Trance – und das geht mir normalerweise nicht so, denn ich bin normalerweise keine dieser Schauspielerinnen, die völlig in ihren Rollen verschwinden. Trotzdem war ich da wie im Tunnel – das einfach durchzuziehen, all die abgespeicherten Abläufe abzuspulen. Ich kann mich auch gar nicht mehr richtig dran erinnern – deshalb würde es mir auch schwerfallen, die drei Takes voneinander zu unterscheiden.

    Constantin Film Verleih
    Kann Maria (Nilam Farooq) ihrem Mann (David Kross) und ihrem Stiefvater (Justus von Dohnányi) wirklich noch trauen?

    FILMSTARTS: Euer Regisseur Thomas hat uns auf jeden Fall im Podcast verraten, dass du im zweiten Durchgang Marias Handy irgendwo liegengelassen hast, woraufhin du dich im weiteren Verlauf beim Telefonieren immer so von der Kamera weggedreht hast, dass es kaum aufgefallen ist…

    Nilam Farooq: Ja, das gab es auch. Später ist dann noch eine Autotür zugefallen und die Kamera kam deshalb nicht mehr hinter mir her. An dem Punkt musste dann nach circa einer Stunde abgebrochen werden. Den Handy-Fauxpas haben wir noch einigermaßen retten können, aber da war dann Schluss.

    FILMSTARTS: Auf jeden Fall hat Thomas deine Geistesgegenwärtigkeit in der Situation ausdrücklich gelobt …

    Nilam Farooq: Es ist auch toll, wie wir das hingekriegt haben. Aber die zehn Minuten davor habe ich gelitten wie sonst was! Da habe ich die ganze Zeit nur überlegt: „Wie rette ich das? Wie rette ich das? Ich kann nicht abbrechen! Ich kann nicht abbrechen!“ Aber ich war dann tatsächlich ganz froh über meine Lösung.

    FILMSTARTS: Es gab natürlich einen Plan B, dass man eben doch schneidet, wenn am Ende alle Stricke reißen – und ich glaube, man kriegt so ein Projekt auch gar nicht finanziert, wenn man keinen Plan B in der Tasche hat. Aber hat dir das zumindest etwas Last von den Schultern genommen?

    Nilam Farooq: Ne, den Druck mache ich mir da schon selbst. Ich trete ja so ein Projekt nicht an, um dann auf Plan B zurückzugreifen. Das ist ja das Tolle, dass ich jetzt hier sitzen und sagen kann, dass wir das wirklich so gerockt haben!

    FILMSTARTS: Was ich so aus anderen One-Shot-Projekten nicht kannte und was mich deshalb besonders an „Home Sweet Home“ begeistert hat, sind der zwischenzeitliche Zeitsprung mehr als 100 Jahre in die Vergangenheit sowie die Jump Scares, die ja ansonsten gerade durch Schnitte erzielt werden. Aber wie war das beim Dreh: Gab es da besonders herausfordernde Elemente, an die man vielleicht gar nicht denkt, wenn man sich den Film ansieht?

    Nilam Farooq: Definitiv das Laufen über die Felder bei Dunkelheit – noch dazu mit einem hochschwangeren Bauch. Man darf nicht fallen – muss aber nebenher auch aufpassen, dass der Kameramann die ganze Zeit mitkommt. Das war eine meiner Angst-Szenen – und dann natürlich das Finale, weil da auf den letzten Meter auch noch Action und Stunts dazukommen. Da hatte ich schon großen Respekt.

    FILMSTARTS: Wir haben „Home Sweet Home“ ja für unsere Initiative „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt – und damit ist jetzt die Zeit für ganz ungeniertes Marketing: Warum haben wir uns richtig entschieden?

    Nilam Farooq: Weil von jedem einzelnen, der da im Abspann genannt wird, Herz, Schweiß, Blut und Liebe drinsteckt. Außerdem ist „Home Sweet Home“ ein Projekt, das wirklich noch Handwerk erfordert – und zwar von allen beteiligten Parteien.

    „Home Sweet Home“ läuft aktuell in den deutschen Kinos.

    Home Sweet Home - Wo das Böse wohnt
    Home Sweet Home - Wo das Böse wohnt
    Von Thomas Sieben
    Mit Nilam Farooq, David Kross, Justus von Dohnányi
    Starttermin 25. Januar 2024

    PS: Um dem immer mal wieder vorgebrachten „Vorurteil vom lahmen deutschen Film“ etwas entgegenzusetzen, hat sich die FILMSTARTS-Redaktion dazu entschieden, die Initiative „Deutsches Kino ist (doch) geil!“ zu starten: Jeden Monat wählen wir einen deutschen Film aus, der uns besonders gut gefallen, inspiriert oder fasziniert hat, um den Kinostart – unabhängig von seiner Größe – redaktionell wie einen Blockbuster zu begleiten (also mit einer Mehrzahl von Artikeln, einer eigenen Podcast-Episode und so weiter). „Home Sweet Home“ ist unsere Wahl für den Januar 2024.

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