Neuer Schauplatz, frische Kämpfe, derselbe Kitsch
Von Lutz GranertIm Sommer 2015 begann die argentinische Autorin Mercedes Ron damit, an ihrem ersten Roman zu schreiben. Die Zutaten ihrer Young-Adult-Romanze „Culpa Mia“ waren denkbar einfach: eine verbotene Liebe zwischen zwar stinkreichen, aber bislang verhassten Stiefgeschwistern, gewürzt mit ausschweifenden Partys und illegale Autorennen. Nach der Veröffentlichung auf der eBook-Plattform Wattpad ging ihr Debütwerk auch dank zahlreicher Hype-Clips auf TikTok viral, die später mit noch zwei Fortsetzungen zur Trilogie aufgeblähte „Culpables“-Reihe wurde – nach dem Vorbild etwa der „After“-Reihe von Anna Todd – zum globalen Superhit. Eine Verfilmung war da eigentlich nur eine Frage der Zeit – und so sicherte sich schließlich Amazon Prime Video die Rechte.
Im Juni 2023 startete „Culpa Mia – Meine Schuld“ in mehr als 240 Ländern und Territorien auf der Streamingplattform – und setzte sich in 190 davon sofort an die Spitze der Charts! Ein riesiger Erfolg, gerade wenn man bedenkt, dass es sich dabei um eine spanische Produktion handelt. Aber englischsprachigem Content wird trotz „Squid Game“ und „Der Schacht“ eben noch immer ein größeres Hit-Potenzial zugeschrieben – und so fiel bereits im Mai 2024 die letzte Klappe für ein englischsprachiges Remake: In „Culpa Mia – Meine Schuld: London“, das ebenfalls exklusiv bei Amazon Prime Video erscheint, wird die bekannte Handlung aus Spanien in die titelgebende Metropole an die Themse verlegte. Der Mehrwert für Kenner*innen des Originals fällt beim Spielfilmdebüt des Regie-Gespanns Charlotte Fassler und Dani Girdwood allerdings arg gering aus.
Ella (Eve Macklin) hat in dem stinkreichen William Leister (Ray Fearon) eine neue Liebe gefunden. Also packt sie zusammen mit ihrer wenig begeisterten Tochter Noah (Asha Banks) die Koffer und zieht aus dem US-Bundesstaat Florida in sein luxuriöses Haus nach London. Hier lernt die 18-jährige Noah auch den etwa gleichaltrigen Nick (Matthew Broome) kennen, den sie zunächst für ein eingebildetes und verwöhntes Papa-Söhnchen hält. Doch über ihr gemeinsames Faible für Autorennen entdecken die Stiefgeschwister bald romantische Gefühle füreinander, was sie vor ihren Eltern allerdings geheim halten. Allerdings droht auch von anderer Seite Ärger: Der frisch aus dem Knast entlassene Ronnie (Sam Buchanan) hat es nämlich nicht nur auf die schnellen Schlitten seines Widersachers Nick abgesehen...
Woher die Rivalität von Ronnie und Nick kommt oder warum Noah ihren neuen Stiefvater bzw. Stiefbruder vor dem Umzug nach London nicht mal per Skype-Call zu Gesicht bekommen hat, sollte besser nicht hinterfragt werden. Die Story ist – wie schon in der literarischen Vorlage und bei der spanischen Verfilmung – auch diesmal wieder hauchdünn geraten. Nur notdürftig zusammengehalten wird das alles vom ekstatischen Party-Feiern, enervierenden Beziehungskonflikten zwischen Vorurteilen und Kurzschlussreaktionen, illegalen Autorennen sowie – und das ist bei „Culpa Mia – Meine Schuld: London“ neu – brutalen Underground-Boxkämpfen. Insbesondere die illegalen Fights wollen aber nicht so richtig ins saubere Milieu der Rich Kids passen und wirken deshalb extrem aufgesetzt. Immerhin: Die Bilder in den – recht simpel inszenierten – Actionszenen kommen stilsicher daher und sorgen mit diffusem Licht für einige optische Schauwerte. Kein Wunder, schließlich inszenierten Charlotte Fassler und Dani Girdwood zuvor Musikvideos u. a. für Katy Perry.
Das Remake hält noch einige weitere Neuerungen im Vergleich zum spanischen Original bereit: Nicks aggressiver Hund Thor wurde komplett aus dem Film gestrichen; Noah lernt ihre neue beste Freundin Jenna nicht zufällig auf einer Pool-Party, sondern bei der kenntnisreichen Begutachtung ihrer aufgemotzten Karre bei einem illegalen Autorennen kennen. Nick ist in „Culpa Mia – Meine Schuld: London“ zudem kein aufstrebender Jung-Anwalt, sondern ein App-Entwickler auf Sinnsuche. Den knallroten Porsche hat er gegen einen röhrenden McLaren getauscht, mit dem er nachts durch wenig charakteristische Spots in der Londoner Innenstadt braust. Wirkliches britisches Lokalkolorit kommt jedenfalls nur selten zur Geltung – und standesgemäß reisen die Gutbetuchten dann zum Ausspannen auch mal nach Ibiza, wo sich zwischen Strand und Meer ungleich pittoreskere Szenerien ergeben als im wolkig-kalten London.
Die größten Unterschiede zwischen Original und Remake gibt es jedoch im Finale. Um eine wilde Verfolgungsjagd in getunten Sportwagen kommt auch die Neuinterpretation nicht herum, der hier aber der Mut zum Over-the-top-Action-Wahnsinn fehlt. Während die spanische Produktion noch mit einem absurd überhöhten „Sportwagen-Ballett“ mit „Fast & Furious“-Vibes auf einem schmalen Pier auftrumpfte, fällt das Finale in der Neuauflage dann doch wesentlich preisgünstiger und enttäuschend realistisch aus. Auch wenn mit der Besetzung deutlich auf ein junges Publikum geschielt wird, sind die beiden attraktiven Hauptfiguren der größte Fehlgriff von „Culpa Mia – Meine Schuld: London“: Asha Banks, bekannt aus der Young-Adult-Krimiserie „A Good Girl's Guide To Murder“, spielt ihre stets schlecht gelaunte Noah als komplizierte und biestige Zicke, Matthew Broome („The Buccaneers“) legt seinen Nick trotz Boyband-Gesicht als aufbrausenden und schnell eingeschnappten Schönling mit enorm kurzer Zündschnur an.
Beide sind deshalb dermaßen unsympathisch, dass uns ihre komplizierte Liebesbeziehung voller Rückschläge und jugendfrei inszenierter Liebesszenen (vorzugsweise im Pool und unterlegt mit schmalzigen Popsongs) schlicht kaltlassen. Richtig ärgerlich ist eine im Vergleich zum spanischen Original neue, vermeintlich romantische Szene am Kamin, in der Nick kultige T-Shirts mit Kino-Bezug – wie etwa dem Aufdruck „Save Ferris“, eine Anspielung auf den Kult-Klassiker „Ferris macht blau“ – verbrennt. Die damit verbundene Reichen-Dekadenz, die der Film immer wieder unterschwellig und widerlich feiert, dürfte hier echten Filmfans ganz besonders sauer aufstoßen.
Fazit: Die illegalen Boxkämpfe sind neu. Aber ansonsten hat das unnötige Remake „Culpa Mia – Meine Schuld: London“ der Reihe kaum nennenswerte Impulse hinzuzufügen. In Sachen Rennwagen-Wahnsinn im Finale zieht die Neuauflage sogar klar den Kürzeren – und auch das Lokalkolorit des neuen titelgebenden Schauplatzes bleibt weitestgehend ungenutzt.