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    Miral
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Miral
    Von Jonas Reinartz

    Der Nahostkonflikt ist eines vertracktesten und heikelsten Sujets, mit denen sich ein Künstler heutzutage auseinandersetzen kann. Zu lang reicht seine Geschichte zurück, zu komplex ist die Gewaltspirale, die ihn antreibt. Nun hat sich der auch als Regisseur reüssierende Maler Julian Schnabel mit „Miral", basierend auf dem gleichnamigen semi-autobiographischen Roman der Palästinenserin Rula Jebreal, von der auch das Drehbuch stammt, in dieses Minenfeld vorgewagt. Nach seinem vorherigen Spielfilm, dem bestechend inszenierten und auf unsentimentale Weise enorm berührenden „Schmetterling und Taucherglocke" durfte man sich vom Folgeprojekt viel erhoffen. Der amerikanische Jude Schnabel hat jedoch einen erstaunlich schematischen Bilderbogen um drei Generationen islamischer Frauen in Jerusalem abgeliefert. Freilich bringt eine bestimmte Perspektive per Definition Auslassungen und Wertungen mit sich, passagenweise wird allerdings simple pro-palästinensische Propaganda präsentiert. Dies dürfte nicht unwesentlich von der Tatsache herrühren, dass es sich bei Jebreal um die aktuelle Lebensgefährtin Schnabels handelt. Darüber hinaus trüben eine manierierte Kameraführung, erzählerische Mängel sowie die nicht immer überzeugende Hauptdarstellerin Freida Pinto („Slumdog Millionär") den Eindruck.

    Jerusalem, 1948: Hind Husseini (Hiam Abbass) ist eine wohlhabende palästinensische Frau. Da sie das Leid der Kinder ihres Volkes nicht länger tatenlos mitansehen will, gründet sie das Dar-Al-Tifl-Institut – eine Schule, die ihren Schützlingen Werte wie Bildung und Gewaltverzicht nahebringen soll. Behilflich ist ihr dabei der muslimische Geistliche Jamal (Alexander Siddig), dessen Wege sich später mit Nadia (Yasmine Elmasri) kreuzen werden. Als Kind vom eigenen Vater missbraucht, floh diese von zu Hause und hält sich seitdem mit Bauchtanz über Wasser. Aufgrund einer unnötigen Straftat landet sie sechs Monate im Gefängnis. Trotz einfühlsamer Hilfe von Jamal und einer gemeinsamen Tochter namens Miral gelingt es Nadia nicht, ihre Vergangenheit zu verdrängen. Sie nimmt sich das Leben. Das kleine Mädchen wird von ihrem Vater in die Obhut Husseinis übergeben und entwickelt sich dort zur intelligenten Erwachsenen (Freido Pinto). Zunehmend kommen ihr jedoch Zweifel an der von ihrer Mentorin propagierten Passivität gegenüber der israelischen Besatzung...

    Wenn Schnabel betont, er „erzähle nur Mirals Version der Geschichte, von der es viele andere, widerstreitende Versionen gibt", so muss man ihm zuzustimmen. Die Beschränkung auf die palästinensische Sichtweise bringt es mit sich, dass die Israelis als Besatzer und folglich Antagonisten auftreten. Problematisch ist allerdings die Einseitigkeit, mit der historische Verläufe und Gegebenheiten geschildert werden. So könnte man ohne jegliche Vorkenntnisse auf die Idee kommen, der Sechstagekrieg wäre allein von Israel ausgegangen, um anschließend von den Palästinensern Gebiete stehlen zu können. Eine dickleibige, folternde jüdische Polizistin und etliche andere manipulative Elemente passen da bestens ins Bild. Ob sich der Regisseur hier von seiner Partnerin blenden ließ? Wer deren Aussehen kennt, wird von der Ähnlichkeit Pintos mit ihrem realen Vorbild verblüfft sein. Dennoch wirkt die souverän aufspielende Inderin inmitten der übrigen Besetzung leider mitunter wie ein Fremdkörper. Alexander Siddig („Star Trek: Deep Space Nine") und Hiam Abbas („München") gelingen hingegen eindringliche Porträts, wobei sie vor allem den Alterungsprozess ihrer Figuren glaubhaft darstellen.

    Waren in „Schmetterling und Taucherglocke" diverse Linseneffekte angesichts der immens eingeschränkten Sicht des gelähmten Dominique Bauby sinnvoll und höchst effektiv, so sind hier die von Schnabel und seinem zweifellos versierten Kameramann Eric Gautier („Into the Wild") angewandten Verfremdungen eher unmotiviert. Diese treten zwar nur zu Beginn auf, stehen jedoch symptomatisch für eine unausgegorene, überambitionierte visuelle Gestaltung, die zum einen durch unruhige Handkamerabewegungen Authentizität vermitteln möchte, zum anderen aber mittels poppig bunter Farben bisweilen regelrecht geschmäcklerisch erscheint. Archivaufnahmen werden geschickt integriert, jedoch meist zur unreflektierten Diffamierung der israelischen Politik. Die generationenumspannende Erzählstruktur vermag ebenfalls nicht zu überzeugen, weil damit einhergehende Verknappungen es dem Zuschauer erschweren, eine emotionale Bindung zu den Figuren aufzubauen, was besonders der Geschichte von Mirals Mutter schadet. Generell werden zu viele Themen gestreift, so dass nicht einmal einzelne Aspekte hinreichend vertieft werden können.

    Fazit: So lobenswert es zunächst auch erscheint, dass sich ein jüdischer Filmemacher mit der Gegenseite beschäftigt – das Ergebnis ist über weite Strecken schlicht ärgerlich. „Miral" lässt die nötige Reflexivität vermissen und bietet stattdessen fahrlässige, bemüht kunstvoll inszenierte Schwarzweißmalerei.

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