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    Vergissmichnicht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Vergissmichnicht
    Von Lars-Christian Daniels

    Manche Filme müssen immer wieder unfairen Vergleichen mit ähnlich gestrickten Genrevertretern standhalten. Und wenn sie ganz viel Pech haben, starten sie auch noch parallel zu ihren Konkurrenten: „Rob Roy" schaffte nie den Schritt aus dem Schatten von Mel Gibsons Schlachtenepos „Braveheart", der sehenswerte „The Illusionist" musste sich an Christopher Nolans artverwandtem „The Prestige" messen lassen, und wer erinnert sich heute noch an „Die Boxerin", der nur wenige Monate nach Clint Eastwoods „Million Dollar Baby" über die deutschen Leinwände flimmerte? Solch übermächtiger Konkurrenz muss sich Yann Samuells Feel-Good-Komödie „Vergissmichnicht" zurzeit zwar nicht erwehren, aber dass sich ein Vergleich mit dem französischen Meisterwerk „Die fabelhafte Welt der Amelie" dennoch kaum vermeiden lässt, hat sich der Film in erster Linie selbst zuzuschreiben: Mehr als einmal bedient sich Samuells Drehbuch relativ unverhohlen bei Jean-Pierre Jeunets Erfolgsfilm von 2001, wenngleich es qualitativ eher in der Liga des klischeebeladenen Julia-Roberts-Selbstfindungstrips „Eat Pray Love" spielt.

    Die erfolgreiche Geschäftsfrau Margaret (Sophie Marceau) erhält an ihrem 40. Geburtstag überraschenden Besuch. Der mittlerweile seinen Ruhestand genießende Notar Mérignac (Michel Duchaussoy) sucht sie in ihrem Büro auf und überreicht ihr einen dicken Stapel Briefe. Der Absender: Margaret selbst! 33 Jahre zuvor hatte sie sich als kleines Mädchen selbst geschrieben, um sich später als „Frau in einem schwierigen Alter" daran erinnern zu können, worauf es im Leben aus der Sicht einer Siebenjährigen wirklich ankommt. Ernüchtert muss Margaret feststellen, dass von ihren einstigen Zielen wenig übrig geblieben ist – schließlich ist sie weder eine erfolgreiche Marsforscherin noch eine berühmte Prinzessin geworden. Um doch noch den einen oder anderen Kindheitstraum zu verwirklichen, begibt sie sich in ihrer Heimat auf Spurensuche. Dabei trifft sie nicht nur auf ihren Bruder Mathieu (Thierry Hancisse), den sie seit 15 Jahren sträflich vernachlässigt, sondern auch auf ihre Sandkastenliebe Philibert (Jonathan Zaccaï), der ihre Gefühlswelt ordentlich durcheinander wirbelt. Denn eigentlich wünscht sie sich ja ein Kind von ihrem britischen Lebensgefährten Malcolm (Marton Csokas)...

    „Werde, der du bist", zitiert Notar Mérignac Pablo Picasso und mahnt Margaret damit eindringlich, ihr Leben endlich gründlich umzukrempeln. „Eat Pray Love" lässt grüßen, wenngleich das ehemalige Bond-Girl Sophie Marceau („James Bond 007 - Die Welt ist nicht genug", „LOL" ) nur ausgedehnte Autofahrten in ihr südfranzösisches Heimatdörfchen unternimmt, statt wie Kollegin Julia Roberts von einer Postkartenkulisse zur nächsten zu jetten. Der verträumte Ort ihrer glücklichen, durch einen Umzug aber abrupt beendeten Kindheit verkörpert dabei ein unberührtes Stück heile Welt: plätschernde Bäche, aromatischer Käse und sonnige Genügsamkeit fern vom allgemeinen Großstadttrubel. Dieser kitschige Kontrast zu Margarets hektischem Alltag in der Konzernzentrale personifiziert sich in Mérignac, der sich mit Vorliebe der Rosenzucht und dem Fischen von Flusskrebsen widmet und damit den ruhenden Gegenpol zur aufgedrehten und zunehmend orientierungslosen Protagonistin bildet. Dass der kauzige Rentner trotz seiner oberflächlichen Skizzierung schnell zum heimlichen Publikumsliebling avanciert, liegt nicht zuletzt am großartig aufgelegten Michel Duchaussoy („Public Enemy No. 1 - Mordinstinkt"), führt aber zugleich auch dazu, dass Margaret als Identifikationsfigur weitaus weniger gut funktioniert, als es Regisseur und Drehbuchautor Samuell lieb sein dürfte. Zugleich lässt sich der Fakt, dass die energische Powerfrau ihren steilen Karriereplänen von heute auf morgen abschwört und stattdessen den Träumereien eines siebenjährigen Mädchens nacheifert, nur schwer mit ihrem ansonsten so toughen und erfolgsorientierten Auftreten vereinbaren.

    Für die Schnitzeljagd nach den eigenen Kindheitserinnerungen bleibt reichlich Zeit, weil Margarets unter Zeitmangel leidende Beziehung zu ihrem Kollegen Malcolm erfreulicherweise auf ein Minimum reduziert und nicht künstlich aufgebläht wird. Dennoch weiß „Vergissmichnicht" auf Dauer nur bedingt zu unterhalten, weil gleich mehrere Running Gags nicht recht zünden und der Zuschauer stets das Gefühl hat, alles irgendwo schon mal gesehen zu haben. Am deutlichsten wird dies in den häufig durch nette Animationen aufgelockerten Zwischensequenzen, die unter auffälligem Farbfiltereinsatz die Entstehungsgeschichte der Briefe dokumentieren und Margarets Kindheit anhand von Fotoschnipseln nachzeichnen. Spätestens als Margaret eine verloren geglaubte Schatztruhe in den Händen hält und von ihren Gefühlen überwältigt wird, ist das Abkupfern bei „Die fabelhafte Welt der Amelie" kaum noch zu übersehen. Darüber hinaus beraubt sich „Vergissmichnicht" schnell seiner anfänglichen Dynamik: Fast täglich hält Mérignac neue Briefe für die plötzlich terminfreie Margaret bereit, erfrischende Ideen und Variationen des Erzählmusters bleiben aber bis zum Schluss die Ausnahme.

    Fazit: „Vergissmichnicht" richtet sich in erster Linie an ein weibliches, romantikaffines Publikum, leidet aber unter seiner konventionellen Dramaturgie, die in einem finalen Kitschfeuerwerk gipfelt. Margarets Suche nach sich selbst verfügt selten über den Witz und den Charme populärer Genregrößen wie „Die fabelhafte Welt der Amelie" und endet mit einer simplen Zaunpfahlmoral: Es ist nie zu spät, die Weichen neu zu stellen.

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