Mein Konto
    Dark Horse
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Dark Horse
    Von Andreas Staben

    Kaum jemand erzählt so scharfsichtig und mitfühlend zugleich vom Leben in der US-amerikanischen Vorstadt wie Todd Solondz. Schon mit seiner ersten größeren Produktion „Willkommen im Tollhaus" von 1995 hat er sich als hervorragender Chronist der Sprachlosigkeit, der Geschmacksverirrungen und der notdürftig verborgenen dunklen Obsessionen hinter den Musterhausfassaden Suburbias erwiesen. Seither hat er sein Thema immer wieder variiert und ihm auch formal und erzählerisch jedes Mal neue Facetten abgewonnen. Mit der Tragikomödie „Dark Horse", seinem siebten Langfilm, bleibt er diesem Weg treu und obwohl er sich nicht ganz auf der Höhe seiner besten Werke bewegt, legt er ein weiteres beeindruckendes und extrem lustiges Porträt aus der Mitte der amerikanischen Gesellschaft vor.

    Abe (Jordan Gelber) ist ein Loser, wie er im Buche steht. Er wohnt immer noch im Haus seiner Eltern (Mia Farrow, Christopher Walken), hat keine Freunde und wenig Interesse an der Arbeit in der Firma seines Vaters. Einzig die Sekretärin Marie (Donna Murphy) interessiert sich für seine Nöte und scheint ihn wirklich zu mögen. Bei einer Hochzeitsfeier traut sich der Tanzmuffel Abe, seine Tischnachbarin Miranda (Selma Blair) anzusprechen, die ihm nach einigem Hin und Her auch tatsächlich ihre Telefonnummer gibt. Als er zum ersten Rendezvous pünktlich vor ihrer Haustür steht, ist sie nicht da: Sie hat die Verabredung schlicht vergessen. Aber Abe lässt selbst dann noch nicht locker, als ihm die melancholische junge Dame von ihrem Freund Mahmoud (Aasif Mandvi) erzählt...

    Der Titel „Dark Horse" kommt aus dem Pferderennsport und bezeichnet einen Außenseiter, dem eine Überraschung zuzutrauen ist, auf den zu setzen allerdings schon etwas Mut gehört. Das ist natürlich genau die Position des Protagonisten Abe, den Solondz uns zunächst als etwas komischen, aber nicht unsympathischen Kauz präsentiert, der seiner Angebeteten treuherzig versichert, er sei kein Trekkie oder sonst ein schlimmer Nerd, ehe er ihr sein Zimmer mit einer eindrucksvollen Sammlung noch originalverpackter „Simpsons"-Figuren, „Gremlins"-Krimskrams und anderer Spielzeuge zeigt. Gleichzeitig ist Abe gerade auch durch die nuancierte Darstellung von Jordan Gelber („Tödliche Entscheidung") alles andere als ein gutmütiger Trottel. Seine Weltsicht ist fatalistisch, der Hass auf den erfolgreichen Bruder (Justin Bartha) scheint unversöhnlich und in seiner Mischung aus kindischem Beharren und trotzigem Aufbegehren ist er ein komplexer Held mit Ecken und Kanten.

    Anders als bei den vielen nicht erwachsen gewordenen Männer aus dem Universum von Judd Apatow („Jungfrau (40), männlich, sucht...", „Beim ersten Mal"), bekommt die dunkle Seite der verpassten Chancen und der stillen Verzweiflung von Abe hier echte Präsenz. Wenn die selbst tiefneurotische Miranda ihm sagt: „I want to want you", dann erwidert er in trauriger Genügsamkeit, dass ihm das reiche. Unter der Oberfläche eines witzig stilisierten Looks mit Pastellfarben und psychedelisch anmutenden Tapeten ist eine Alltagshölle verborgen: Wenn man das erste Mal Mia Farrow („Zelig") und Christopher Walken („Die durch die Hölle gehen") auf dem Sofa sitzen und Sitcoms schauen sieht, dann ist dieses Stillleben noch lustig. Spätestens bei der zweiten Wiederholung sind in den abwesenden Gesichtern, die wie absorbiert wirken, regelrechte Zombies zu erahnen. Solondz überschreitet dabei niemals die Grenze zu ironisch-distanzierter Denunziation und bleibt stets mitfühlender Beobachter.

    Der einzige Ausweg aus dem Dilemma liegt für Abe außerhalb der trostlosen Wirklichkeit seines Lebens. Immer wieder erscheint ihm wie ein Tagtraum die Sekretärin Marie, die sich nicht scheut, ihm deutlich die Meinung zu sagen. Später kommen andere Traumdoppelgänger dazu und diese Visionen schieben sich immer stärker in den Vordergrund. Am Ende sind die Ebenen kaum noch zu unterscheiden, aber etwas Entscheidendes erweist sich als unzweifelhaft real und wird zu Abes Erlösung.

    Was als simple Komödie über einen typischen Verlierertypen beginnt, wird zum zunehmend komplexen Porträt. Mit der Einführung der Traumebene fügt Regisseur Solondz seinem Film ähnlich wie beim zweigeteilten „Storytelling" oder wie bei „Palindrome", in dem die Hauptfigur von acht verschiedenen Schauspielern gespielt wird, eine zusätzliche Dimension hinzu, die seinen Beobachtungen zusätzliche Tiefe und Wahrhaftigkeit verleiht. Er hat ein erzählerisches Universum geschaffen, das über offene Bezüge von Film zu Film wie etwa von „Happiness" zu „Life During Wartime" hinaus ein konsistentes Ganzes ergibt. Und wenn Selma Blair im Abspann als „Miranda (früher Viv)" gelistet wird, dann ist das nicht nur ein spielerischer Hinweis auf die Rolle als Viv, die die Schauspielerin in „Storytelling" innehatte, sondern auch eine Einladung in die Welt eines der faszinierendsten Autorenfilmer des amerikanischen Independent-Kinos einzutauchen.

    Fazit: Die Außenseiter-Tragikomödie erweist sich als weitaus mehr als es zunächst scheint. Traurig und hoffnungsvoll zugleich, dabei stets amüsant ist „Dark Horse" ein Fest für Todd-Solondz-Fans und eine Entdeckung für die Freunde des etwas anspruchsvolleren Unterhaltungskinos.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top