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    The Unforgivable
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Unforgivable

    Wenn nur das platte Finale nicht wäre

    Von Sidney Schering

    Das Thriller-Drama „The Unforgivable“ hat bereits einen langen Weg hinter sich: Schon kurz nach dem Erfolg der britischen Miniserie „Unforgiven“ von 2009 wurde ein Filmremake angekündigt. Zunächst wurde dabei Christopher McQuarrie als Regisseur und Autor gehandelt, aber der wandte sich dann doch lieber dem „Mission: Impossible“-Franchise zu. Erst zehn Jahre später nahm das etwas eingeschlafene Projekt dann doch wieder an Fahrt auf, als die nach ihrem herausragenden Arthouse-Hit „Systemsprenger“ plötzlich auch international hochgehandelte deutsche Regisseurin Nora Fingscheidt für „The Unforgivable“ gewonnen werden konnte.

    Die Hauptrolle, für die Produzent Graham King einst Angelina Jolie vorgesehen hatte, ging unterdessen an Sandra Bullock. Die feiert in der Rolle der frisch aus dem Gefängnis entlassenen Ruth Slater somit ihre Rückkehr zu Netflix, wo sie 2018 mit dem immens erfolgreichen Horror-Drama „Bird Box“ bereits alle Abrufrekorde pulverisierte. Trotz der vielversprechenden Beteiligung von Fingscheidt und Bullock ist „The Unforgivable“ am Ende aber doch eine Enttäuschung – denn selbst wenn das Drama vor allem dank der großartigen Hauptdarstellerin vielversprechend beginnt, entgleist es im letzten Drittel auf schon ärgerliche Weise.

    Sandra Bullock glänzt in "The Unforgivable" in einer betont glanzlosen Rolle.

    Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit Ruth Slater (Sandra Bullock) für den Mord an einem Polizisten inhaftiert wurde. Ihre Strafe hat sie zwar mittlerweile abgesessen, aber das bedeutet nicht, dass sie nun einfach so in ihr altes Leben zurückkehren kann: Die Jobsuche gestaltet sich schwierig – und wenn Ruth nicht gerade mit ihren Schuldgefühlen hadert, dann nagt an ihr Misstrauen, das ihr als Ex-Inhaftierte von der Gesellschaft entgegenschlägt. Daher verheimlicht sie ihre Vergangenheit, wann immer es möglich ist – selbst ihrem genügsamen neuen Bekannten Blake (Jon Bernthal). Bei der Suche nach ihrer kleinen Schwester Katie (Aisling Franciosi) vertraut Ruth sich indes dem Anwalt John Ingram (Vincent D'Onofrio) an – doch dessen Frau Liz (Viola Davis) sieht das gar nicht gerne…

    Schon nach wenigen Minuten wird deutlich, dass Nora Fingscheidt eine vorzügliche Wahl für diesen Stoff ist. Immerhin zählte es zu den zentralen Stärken ihres international gefeierten „Systemsprenger“, dass Fingscheidt auch prekäre Situationen ebenso authentisch wie urteilsfrei abzubilden versteht. In ihrem achtfachen Lola-Gewinner machte die Regisseurin die frustrierende Abwärtsspirale nachvollziehbar, in die die titelgebende Systemsprengerin Benni im deutschen Sozialsystem hineingerät – selbst wenn ihr die Leute um sie herum tatsächlich unbedingt helfen wollen. In „The Unforgivable“ nimmt Fingscheidt – nach einem Drehbuch von Peter Craig, Hillary Seitz und Courtenay Miles – nun am Beispiel der frisch entlassenen Ruth weitere gesellschaftliche Dilemmata unter die Lupe.

    In der Zwickmühle

    Ruth ist sich schließlich selbst darüber bewusst, dass sie als verurteilte Mörderin keinerlei Vertrauen – geschweige denn Verständnis – von ihren Mitmenschen zu erwarten hat. Aber gerade weil sie sich deshalb mit kleinen Lügen sowie bewussten Täuschungen durch den Alltag mogelt, wirkt sie nur noch dubioser – so dass sie erst recht keinen Fuß fassen kann und deshalb nur noch mehr täuschen muss. Diesen Teufelskreis durchläuft die von Sandra Bullock gleichermaßen schroff wie ausgepowert verkörperte Ruth in zwar immer wieder neuen, aber dabei konstant deprimierenden Variationen – ohne dass Fingscheidts Regieführung oder Bullocks Spiel platt nach Mitleid haschen würden.

    Denn so nachvollziehbar Ruths Versuche sein mögen, im Privaten wie im Beruflichen über ihre Vergangenheit hinwegzutäuschen: Dass Ruth aus ihren steten Rückschlägen partout nicht lernt, frustriert ähnlich wie die soziale Kälte, die ihr entgegenschlägt. Dass Bullock als Ruth nach langen erschöpften Phasen der Wortkargheit blitzschnell in eine ohrenbetäubende, gallige Wutstimme wechselt, intensiviert diese Zwickmühle: Ruth hat auf rationaler Ebene Verständnis verdient, schließlich hat sie ihre Strafe abgesessen und das Justizsystem sieht (offiziell) Resozialisierung statt Vergeltung vor. Doch weil Ruth unbequem und unvernünftig ist, macht sie es anderen Menschen schwerer, auf sie zuzugehen – und dabei sind die Karten eh schon schlecht für sie gemischt, da sie eben in einer misstrauischen, rachelüsternen Gesellschaft lebt.

    Der Film hätte ein besseres Ende (als die Serie) verdient

    Neben der packenden, nuancierten Performance von Bullock hinterlässt auch Netflix' „Punisher“ Jon Bernthal eine starken Eindruck als kleinlauter, wohlmeinender Arbeitskollege, der nur ganz vorsichtig signalisiert, dass er für Ruth da ist. Bernthal vereint Freundlichkeit mit einer Unzugänglichkeit, deren Ursprung erst später deutlich wird und die (anfänglich) grau-graue Moralität des Films unterstreicht. Vincent D'Onofrio und Viola Davis wiederum werden vom Drehbuch weniger gefordert, liefern als über Ruths Fall streitendes Pärchen aber solide Leistungen ab.

    Fingscheidt präsentiert in „The Unforgivable“ eine sinnbildlich wie buchstäblich graue Weltsicht. Allerdings krankt der bis dahin angenehm kitschfreie Film ausgerechnet an einem unnötig pathetischen Ende. Zwar bleiben die Regisseurin und ihr Kameramann Guillermo Navarro („Hellboy“) bis zum Schluss den zuvor gesetzten ästhetischen Prinzipien treu, allerdings entgleist die Story dieses Remakes auf ähnliche Weise wie schon in der britischen Serienvorlage. Aus dem Drama, das auf subtile Weise brennende moralische Fragen stellt und desolate, aussichtslos wirkende Zustände schildert, wird dann ein platter Kriminalthriller, der erzählerisch wie eine austauschbare Episode einer Mittelklasse-Networkserie anmutet.

    Blake (Jon Bernthal) ist einer der wenigen, die Ruth zumindest ein klein wenig Hoffnung schenken.

    Im letzten Drittel von „The Unforgivable“ gewinnt nämlich ein zuvor nur beiläufig eingewobener Subplot zunehmend die Oberhand. Dieser dreht sich um die Rache schwörenden Söhne des Mannes, dessen Tod Ruth erst hinter Gitter gebracht hat. Nicht nur erhält die Geschichte dadurch eine ätzend-moralinsaure Note, die sich mit Fingscheidts nüchternem Stil beißt. Dem Publikum, dem zuvor noch zugetraut wurde, eine Erzählung ohne einfache Antworten zu verdauen, wird im Zuge dieser tonalen Kehrtwende auch noch eine unfassbar simple Lösung auf dem Silbertablett serviert. Das macht die starken ersten zwei Drittel des Films zwar nicht ungeschehen – deren Wirkung und Aussagekraft schmälert das tumbe Ende allerdings gewaltig.

    Fazit: Sandra Bullock glänzt in einer bewusst glanzlosen Rolle und „Systemsprenger“-Regisseurin Nora Fingscheidt rettet ihre „Systemsprenger“-Stärken gekonnt hinüber zu einer höherbudgetierten Netflix-Produktion. Nur schade, dass das Filmremake unbedingt am ärgerlich-simplen Abschluss der Originalserie festhalten muss.

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