Mein Konto
    Beautiful Boy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Beautiful Boy

    Ein Drogen-Drama ohne Antworten

    Von Lucas Barwenczik

    Close your eyes / Have no fear / The monster's gone, he's on the run / And your daddy's here”, sang John Lennon einst in seinem Song „Beautiful Boy”. Ein Pop-Schlaflied über die Liebe zwischen Vater und Sohn, ein musikalisches Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft. Veröffentlicht wurde es 1980, drei Wochen vor seinem Tod. Hört man den Song heute, dann klingt er hoffnungsvoll und tragisch zugleich. Ein Stimmungsmix, den nun auch das ebenfalls „Beautiful Boy“ betitelte Drama von Felix van Groeningen („Die Beschissenheit der Dinge“) herausbeschwört. Wenn Lennons Stück in einer Szene eingespielt wird, dann ist längst klar, dass der Vater seinen Sohn nicht vor dem „Monster“ schützen kann. Mit seinem ersten englischsprachigen Film adaptiert der belgische Regisseur die Doppel-Biografie „Beautiful Boy: A Father's Journey Through His Son's Addiction“ von David Sheff und „Tweak: Growing Up On Methamphetamines“ von Davids Sohn Nic Sheff. Das Ergebnis ist die Chronik eines langen Kampfes gegen das Monster Sucht.

    Eigentlich scheint das Leben von Nic Sheff (Timothée Chalamet) in geordneten Bahnen zu verlaufen. Sein Umfeld ist wohlhabend und liebevoll, sein Vater David (Steve Carell) ist sichtlich um ihn bemüht. Er ist intelligent und begabt, High School und College fallen ihm nicht sonderlich schwer. Trotzdem rutscht er nach und nach immer stärker in seine Crystal-Meth-Sucht ab. Auch allen anderen Drogen ist er nicht abgeneigt. Ob Fürsorge, neue Beziehungen, Suchtberatung oder Aufenthalte in der Entzugsklinik – nichts scheint zu helfen. Wie kann er dem Teufelskreis entkommen?

    In der Montage des Films verschmelzen verschiedene Zeitebenen miteinander. Immer wieder springt die Geschichte hin- und her, zwischen Nics unschuldiger Kindheit und seiner schmerzlichen Gegenwart. Wie bei einem Fehlersuchbild werden sie nebeneinandergestellt. Van Groeningen lässt seine Zuschauer die Unterschiede entdecken. Es ist eine ewige Spurensuche: Wo begann die Sucht? Was ist schiefgelaufen im Leben und in der Erziehung? Wer trägt die Schuld? Der Vater, die Mutter, ihre Trennung? Vor was flieht der Junge? Nic hört Grunge, liest Gedichte von Charles Bukowski und „Die Schönen und Verdammten“ von F. Scott Fitzgerald. „Misanthropen und ernsthaft depressive Autoren“, wie David erklärt. Sie werden als Symptom angeboten, nie als Erklärung.

    Im Schnitt von Nico Leunen kommt auch das hektische, brüchige Leben der Familie zum Ausdruck. Wenn Davids Telefon in der Nacht klingelt, dann sitzt er schon mit dem dritten Schellen am Flughafen. Immer wieder muss er sein Leben hintenanstellen, seine neue Ehefrau und die Kinder zurücklassen, nur um ein weiteres Mal Nic nachzujagen. Die Bürde ist ihm ins Gesicht geschrieben. Selbst in seiner wunderschönen Designerküche oder seinem gediegenen Arbeitszimmer steht er oft verloren herum. Und wenn seine Jüngsten für die Schule vorsingen, dann füllt Wellenrauschen seinen Kopf. Es stammt von einer Erinnerung: Nic und David am Strand, surfend. Plötzlich ist Nic verschwunden, David packt die Panik. Da kommt der Sohn auf einer großen Welle dahergeritten. Das ist die Hoffnung, die den Vater unermüdlich antreibt: Dass am Ende alles gut geht, dass Nic nicht untergeht. Der Regisseur sucht solche Bilder, um Abhängigkeit greifbar zu machen. Das ist nicht sonderlich tiefgehend, keine Analyse des Phänomens, aber zumindest stellenweise effektiv.

    Die komplizierte Beziehung zwischen Vater und Sohn steht klar im Mittelpunkt des Films. Es ist ein Tanz aus Nähe und Distanz. Als junger Erwachsener will und muss Nic eigene Wege gehen. David treibt die Angst, die Freiheit könne ihn überfordern. Steve Carell („Willkommen in Marwen“) spielt ihn mit spürbarer Zurückhaltung. Die Figur soll weder an seine übersteigerten Comedy-Darbietungen erinnern, noch die melodramatischen Elemente des Skripts zu stark betonen. Selbst wenn er losbrüllt, wirkt er gehemmt. Als würde er nachgrübeln, ob sein Ausbruch nützt oder schadet. Er wechselt permanent zwischen lähmender Anspannung und erschöpftem Zusammensacken. Auf und zu, auf und zu, wie ein menschliches Akkordeon.

    Der Charakter von Nic verschwindet immer wieder hinter der Wirkung der Drogen. Nur selten tritt er hervor. Dann spielt der junge Mann enthusiastisch mit seinen Geschwistern oder reißt Witze. Die Nuancen zeigen sich erst im direkten Vergleich: Echte und drogenbedingte Freude unterscheiden sich oft kaum. In dem Spiel von Shootingstar Timothée Chalamet („Call Me By Your Name“, „Lady Bird“) wird klar, wie Drogensucht sich als Teil der Identität einbrennt.

    Genau wie in den vorherigen Filmen des Regisseurs, dessen Krebs-Drama „The Broken Circle“ als Bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert wurde, spielt Musik auch in „Beautiful Boy“ eine große Rolle. Stücke von Musikern wie Mogwai, Sigur Rós, Nirvana oder Le Tigre begleiten jeden Drogenrausch und jede Alltagserfahrung. Sie ordnen die Montage, erklären die Emotionen vieler Szenen und dudeln in den schwächeren Momenten auch mal etwas verloren im Hintergrund herum. Sicher: Musik ist wichtig für Nic, bietet ihm genau wie Literatur oder Poesie einen Zufluchtsort. Dennoch nimmt sie manchmal Überhand. Der Film ermüdet, weil er sehr ähnliche Bilder und Sequenzen wiederholt. Auch der Regisseur kann seiner persönlichen Sucht – der Musik - nicht entkommen. Es gibt angenehmere Erfahrungen, als einem ewigen Teufelskreis beizuwohnen.

    „Beautiful Boy“ ist eine lange Suche nach Antworten. Gefunden wird nur die eine: Dass es keine gibt, zumindest keine eindeutigen. Sucht bleibt hier ein kaum verständliches Phänomen, so facettenreich wie die Süchtigen selbst. Fast eine Naturgewalt, den rauschenden Wellen aus Davids Erinnerung gleich. Es gibt keine Lektion, keine offene Warnung oder zornige Anklage. Der größte Schrecken ist hier die Hilflosigkeit. Nic, David und alle um sie herum verstehen das Problem, aber wissen trotzdem nicht, was zu tun ist. Am Ende greift Van Groeningen auf Texttafeln zurück, es werden Statistiken zu und Hilfsmöglichkeiten für Drogenmissbrauch aufgeführt. Dieses Ende wirkt ein wenig hilflos: Selbst der Regisseur weiß nicht, wie man der Zeitschleife der Abhängigkeit entkommt.

    Fazit: „Beautiful Boy“ ist leider nur in Teilen gelungen. Van Groeningen wiederholt die inszenatorischen Ideen seiner belgischen Produktionen, die auch international für Aufsehen gesorgt haben, nun noch einmal mit Hollywood-Darstellern. Für jede originelle Szene gibt es eine konventionelle, für jeden gelungenen Moment einen missratenen. Kein schlechter, aber ein etwas ratloser Film.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top