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    Meine Cousine Rachel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Meine Cousine Rachel
    Von Thomas Vorwerk

    Die englische Schriftstellerin Daphne du Maurier lebte zwar im 20. Jahrhundert (1907-1989), siedelte ihre stimmungsvollen Melodramen aber oft in früheren Zeiten an. Eine weitreichende Bekanntheit erzielte sie auch durch Verfilmungen ihrer Werke, neben Nicolas Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ sind hier gleich drei Filme von Alfred Hitchcock zu nennen: „Die Vögel“, „Riff-Piraten“ und natürlich „Rebecca“ (Oscar als „Bester Film“ von 1940). Kurz nach Erscheinen des Romans „Meine Cousine Rachel“ (1951) gab es bereits eine erfolgreiche gleichnamige Hollywood-Verfilmung mit Olivia de Havilland und dem jungen Richard Burton. Nun bringt der auch mit der Drehbuch-Adaption betraute „Notting Hill“-Regisseur Roger Michell eine sehenswerte Neuverfilmung des Mystery-Dramas in die Kinos - ebenfalls unter dem Titel „Meine Cousine Rachel“.

    Cornwall, England, irgendwann im 19. Jahrhundert. Der kurz vor seinem 25. Geburtstag stehende Philip Ashley (Sam Claflin) wuchs als Waise auf dem Anwesen seines wohlhabenden Cousins Ambrose (Deano Bugatti) auf, wo er weiterhin lebt. Dieser wiederum verbringt aus gesundheitlichen Gründen viel Zeit in Italien, trifft dort die Witwe Rachel (Rachel Weisz) und heiratet sie. Philip liest in den Briefen seines Vetters von dieser geheimnisvollen Frau, die übrigens beider Cousine ist. Ambrose glaubt, dass Rachel ihn langsam vergiften will, und auch wenn nach dem sich bald ereignenden Tod auf dem Totenschein ein Gehirntumor verantwortlich gemacht wird, will Philip seinen Mentor rächen, als Rachel einen Familienbesuch ankündigt. Doch der junge Mann verfällt ebenfalls dem Charme der Cousine - und vieles sieht danach aus, als ob Rachels selbstgebrauter Kräutertee Philips Gesundheitsstatus in Mitleidenschaft zieht.

    „Did she? Didn't she?“ Gleich die ersten Bilder und Worte von „Meine Cousine Rachel“ bringen den Film auf den Punkt. In einer Szene, deren Bedeutung sich erst später erschließt, sinniert die Erzählerstimme Philips über das Geheimnis seiner Cousine. Dazu sieht man eine Vogelperspektive einer von einer Klippe umgebenen Bucht (ein Lieblingsmotiv der aus Cornwall stammenden Vorlagenautorin Daphne Du Maurier). Sofort etabliert Regisseur Roger Michell damit eine geheimnisumwitterte Stimmung und begibt sich auf eine Gratwanderung, die er über den gesamten Film fortsetzt: Ist Rachel eine gewitzte Giftmischerin oder das unschuldige „Opfer“ von Missverständnissen?

    Bevor Rachel Weisz (Oscar für „Der ewige Gärtner“) als Rachel tatsächlich ihren ersten Auftritt in Fleisch und Blut hat, werden geschickt weiter die Irritationen angehäuft. Philip verrennt sich fast in seine Rachegelüste, ignoriert die vorsichtigen Avancen von Louise (Holliday Grainger, „Tulpenfieber“), der Tochter seines Paten Kendall (Iain Glen), und ein minimalistisches, aber eindringliches Musikthema von Rael Jones („Suite Française“) verstärkt die Erwartung. Schon vor dem Kennenlernen der beiden scheinen wir uns in einem Psycho-Duell zweier Intriganten zu befinden, wobei Rachel Philip bei diesen Spielchen einiges voraus hat. Und wenn sie ihn dann zu einer Audienz bittet, ist sie es, die aufgrund Philips Ähnlichkeit zum erst vor kurzem verstorbenen Ambrose so erschrickt, dass sie fast ihren Tee verschüttet. Und schon beginnt das Rätselraten, wie viel davon gespielt ist. Wobei der gerade noch so rachelüsterne Philip schnell seine Pläne aus den Augen verliert und in den Bann der Cousine fällt. Wie übrigens auch die Schlosshunde.

    Regisseur und Schauspieler stellen sich ganz in den Dienst eines ebenso ausgedehnten wie vergnüglichen Reigens der Zweideutigkeiten: Ist die Halbitalienerin Rachel, die sich heimlich mit dem suspekten Rainaldi (Pierrefrancesco Favino) trifft, nur auf das Erbe scharf? Doch warum bringt sie dann das (nicht unterschriebene!) Testament von Ambrose ins Spiel? Die vielen, sich oft widersprechenden Facetten der Figur Rachel machen neben der gediegenen Ausstattung und der äußerst ausdrucksstarken Filmmusik den größten Reiz des Films aus, der fernab jeder gängigen Dramaturgie ganz dem Geheimnis der Titelheldin gewidmet ist. Mal tritt sie als selbstbewusste junge Frau auf („Oder wollen die Männer nach nebenan gehen, während wir unsere Zigarren rauchen?“), dann als empfindsame, leicht verletzbare Witwe – und immer wirkt sie ganz wie sie selbst. Dass sich die vielen verschiedenen Seiten Rachels zu einem zwar rätselhaften, aber dennoch schlüssigen Charakterporträt fügen, ist der umwerfenden Rachel Weisz zu verdanken, die das Betörende ihrer Figur in ebenso unwiderstehlicher Art auf die Leinwand bringt.

    Schon alleine wegen Rachel Weisz‘ Darstellung lohnt sich der Kinobesuch, zugleich stehen alle anderen Schauspieler in ihrem Schatten - ganz so wie deren Figuren in Rachels Schatten stehen: Für die Rolle des Philip in der 1952er Verfilmung wurde Richard Burton einst mit einem Golden Globe ausgezeichnet, bei seinem Nachfolger Sam Claflin (Finnick O'Dair in den „Tribute von Panem“-Filmen) merkt man vor allem, dass dieser Part undankbar ist. Es ist immer deutlich zu spüren, dass Claflin nicht auf dem Level seiner Partnerin agiert – aber dieses Ungleichgewicht passt natürlich andererseits perfekt zur Geschichte. Denn hier geht es trotz des zentralen Rätsels der Handlung weniger um die Lösung eines Kriminalfalls, als vielmehr um ein (Schau-)Spiel mit fein schattierten Stimmungen, um eine eben nicht restlos zu beseitigende Ambivalenz, die auch durch Kamera und Schnitt, durch Spiegelungen und Kadrierungen, durch Parallelen und Kontraste befördert wird.

    Fazit: Wie der Filmtitel schon sagt, geht es in Roger Michells ungewöhnlichem und überaus sehenswerten Mystery-Drama vor allem um die Cousine Rachel, die der in sie verliebte Erzähler auch mal als seine „Plage“ bezeichnet. Eine Plage allerdings, die nicht zuletzt durch die subtil-süffisante Darstellung von Rachel Weisz etwas ungeheuer Faszinierendes an sich hat.

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