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    Der Fall Collini
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Fall Collini

    Kann Elyas M’Barek auch Anwalt?

    Von Carsten Baumgardt

    Der in München geborene Österreicher Elyas M’Barek ist einer der wenigen verbliebenen Superstars des deutschsprachigen Kinos. Für den charismatischen Beau lösen noch immer Millionen Menschen ein Ticket an der Kinokasse, nur weil er mitspielt. Einer der wenigen Filme, bei denen das Konzept nicht hundertprozentig aufging, war der Hacker-Thriller „Who I Am“ – mit mehr als 800.000 Besuchern absolut kein Flop, aber für M’Barek-Verhältnisse eben auch kein Hit. In dem unterhaltsamen Genrefilm spielte er einen Hacker und war dabei als versierter Computernerd ebenso wenig glaubwürdig wie seine Mitstreiter. Doch wenn der „Fack Ju Göhte“-Star jetzt in Marco Kreuzpaintners Gerichts-Thriller „Der Fall Collini“ einen jungen Anwalt mimt, erledigt sich die mögliche Frage nach der richtigen Besetzung schnell. Denn M’Barek liefert in der Verfilmung von Ferdinand von Schirachs Bestseller seine bisher wohl beste Drama-Leistung und trägt diesen packenden, hochemotionalen Justiz-Krimi, der zwar einige Zeit benötigt, um erzählerisch in die Gänge zu kommen, dann aber eine große Dringlichkeit erreicht.

    Berlin, 2001: Der junge Rechtsanwalt Caspar Leinen (Elyas M‘Barek) hat zwar gerade erst seine Zulassung bekommen, aber schon sein erster Fall erweist sich als Himmelfahrtskommando. Er wird vom Gericht nämlich als Pflichtverteidiger für den italienischen Gastarbeiter Fabrizio Collini (Franco Nero) bestellt. Der hat den bekannten und beliebten Industriellen Hans Meyer (Manfred Zapatka) kaltblütig mit drei Schüssen von Angesicht zu Angesicht getötet. Zu seinen Motiven schweigt Collini, der Fall scheint völlig aussichtslos. Leinen will sich für befangen erklären, weil Meyer über Jahre so etwas wie sein Ziehvater war. Der Versuch, das Mandat niederzulegen, scheitert jedoch – auch weil Oberstaatsanwalt Reimers (Rainer Bock) und Star-Strafverteidiger Professor Mattinger (Heiner Lauterbach) es nicht zulassen wollen. Das bringt Leinen in einen Gewissenskonflikt gegenüber seiner Jugendliebe Johanna (Alexandra Maria Lara), Meyers Enkelin. Erst als Leinen auf eigene Faust Nachforschungen anstellt und so Collinis wahren Motiven auf die Spur kommt, nimmt der Fall eine spektakuläre Wendung…

    Schweigt eisern: Franco Nero als Fabrizio Collini mit seinem Anwalt Caspar Leinen (Elyas M'Barek).

    Eine halbe Million Exemplare gingen von Ferdinand von Schirachs Roman „Der Fall Collini“ (2011) über die Ladentheken – die Protagonisten sind zwar fiktiv, die geschilderten Gesetze aber real. Der Rechtsanwalt und Buchautor versteht es, die dröge Juristerei spannend zu verkaufen. Das war nun auch eine der zentralen Herausforderungen von Regisseur Marco Kreuzpaintner („Beat“): Wie visualisiere ich die trockenen juristischen Feinheiten, die hier im Verlauf sehr wichtig werden? Zunächst ist die Idee, mit Elyas M’Barek („Das perfekte Geheimnis“) einen erprobten Sympathieträger in den Mittelpunkt zu stellen, gut geeignet, um das Publikum empfänglich für die Details zu machen. Auf der zweiten Ebene verpasst Kreuzpaintner „Der Fall Collini“ einen exquisiten visuellen Look: Der Film sieht verdammt gut (und sehr elegant) aus. Die Bilder von Kameramann Jakub Bejnarowicz („Gnade“, „Abgeschnitten“) haben internationale Klasse.

    Trotzdem läuft fast die gesamte erste Hälfte von „Der Fall Collini“ erst einmal auf reduzierten Touren. Der bocksture Angeklagte Collini schweigt eisern zu allem, was später zumindest einigermaßen plausibel konstruiert erklärt wird. Währenddessen ist der Zuschauer der Handlung jedoch gedanklich schon weit voraus, sodass man die Figuren am liebsten antreiben möchte, aus „Django“-Legende Franco Nero endlich ein paar Wörter herauszupressen. Denn selbst wenn man das Buch nicht gelesen hat und so nicht schon weiß, warum genau Collini Meyer umgebracht hat (was wir hier auch nicht explizit verraten wollen), so ist selbst dem letzten Zuschauer glasklar, dass die Lösung in der Vergangenheit liegen muss. Da dauert es fast schon zu lange, bis Anwalt Leinen endlich den Schritt macht und den naheliegenden Pfad geht. Denn was den Zuschauer hier in den Film zieht, sind nicht die simple Plot-Fragen wie die nach dem „Warum?“, sondern die komplexen, widerstreitenden Emotionen, die von Beginn an präsent sind und sich im weiteren Verlauf noch immer mehr steigern.

    Elyas M'Barek überzeugt in dramatischer Rolle

    Die Struktur der vier Zeitebenen aus dem Roman hat Kreuzpaintner für die große Leinwand etwas entschlackt und auf drei reduziert. Neben der Gegenwart des Jahres 2001 gibt es einige Rückblenden in die Jugendzeit von Anwalt Leinen, um seine Verbundenheit zur Familie Meyer zu verstehen. In einer weiteren Ebene spielt dann Shootingstar Jannis Niewöhner („Jugend ohne Gott“, „Beat“) Hans Meyer spielt und hinterlässt in seinen wenigen Szenen einen wahrhaft bleibenden Eindruck. Hier ist „Der Fall Collini“ komplett entfesselt und so emotional, dass es kaum zu ertragen ist. Spätestens dann wird die zentrale Frage des Films, zwischen Justiz und Selbstjustiz abzuwägen, unheimlich dringlich, weil auch der Zuschauer selbst in eine Position gezwungen wird, den Fall zu bewerten.

    Elyas M’Barek überzeugt in seiner Rolle als engagierter und pflichtbewusster Junganwalt, weil er das passende Maß aus Blauäugigkeit, Chuzpe und Durchsetzungsvermögen findet. Das Publikum folgt ihm willig. Zwischendrin muss sich Caspar Leinen noch rechtfertigen, wie es denn sein könne, dass ein (Halb-)Türke Anwalt ist. Dieser Aspekt ist eine Neuerung gegenüber dem Buch. Dort kommt Leinen aus elitären Kreisen. Die Milieuverschiebung des Protagonisten ist durchaus legitim, um ein weiteres Element zur Erzählung hinzuzufügen. Schließlich gehören solche blöden Sprüche (selbst wenn sie nett gemeint sind) ganz sicher mit zum deutschen Alltag, wenn jemand mit türkischen Wurzeln in den elitären Zirkel der Anwälte vorstößt. Allerdings wirken die einzelnen Momente, in denen Leinen auf seine Herkunft angesprochen wird, eher wie mit dem Holzhammer zusammengezimmert und deshalb unnötig alibihaft.

    Strafverteidiger Professor Mattinger (Heiner Lauterbach) mit Nebenklägerin Johanna Meyer (Alexandra Maria Lara).

    An anderen Stellen ist „Der Fall Collini“ hingegen sehr viel smarter, weil Regisseur Kreuzpaintner bewusst gängige Klischees umschifft. Rainer Bock („Das weiße Band“) ist als Oberstaatsanwalt kein scharfer Hund, der dem jungen Welpen Leinen erstmal in die Beine beißt, um ihn zurechtzuweisen. Er verhält sich kollegial, was realistischer scheint als das übliche Film-Gebelle. Ähnliches gilt für Heiner Lauterbach („Willkommen bei den Hartmanns“), der mit Tom-Hanks/Robert-Langdon-Gedächtnis-Frisur als Gegenspieler Leinens trotz Segelboot, Top-Anwaltsreichtum und Professorenstatus eine menschliche Figur bleibt. Und irgendwann haben M’Barek und Lauterbach auch diesen einen Tom-Cruise/Jack-Nicholson-Moment wie in „Eine Frage der Ehre“, wo Junganwalt McKaffee im Gericht auf emotionalen Hochtouren den dekorierten Colonel Jessep so sehr reizt und in die Ecke drängt, dass er für einen kurzen Augenblick die Fassung verliert.

    Fazit: Marco Kreuzpaintners hochemotional-packend erzählter Gerichtsthriller „Der Fall Collini“ geht mit atmosphärischen Bildern und einem überzeugenden Elyas M‘Barek einem düsteren Familiengeheimnis auf die Spur.

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