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    Matrix 4: Resurrections
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Matrix 4: Resurrections

    Noch einmal mit Gefühl

    Von Sidney Schering

    Mit ihrem bahnbrechenden Cyberpunk-Meilenstein „Matrix“ katapultierten die Wachowskis das Science-Fiction-Genre im März 1999 schon neun Monate vor allen anderen ins neue Jahrtausend. Der Film revolutionierte nicht nur die Art und Weise, wie digitale Effekte in Hollywood-Blockbustern eingesetzt werden, sondern lenkte die popkulturelle Aufmerksamkeit zugleich auch auf philosophische Fragen, die seither auch im alltäglichen Leben eine immer größere Rolle spielen: Das beginnt mit der abstrakten Frage, ob wir nicht alle nur in einer Simulation leben – und endet mit dem brandaktuellen Dilemma, sich zwischen einer (vermeintlich) glücklichen Ignoranz und der befreienden, wenngleich überfordernden Wahrheit entscheiden zu müssen. Es waren fünf herrliche Monate für Sci-Fi-Fans – bis dann im August desselben Jahres eine gewisse Dunkle Bedrohung am Kinohimmel aufzog…

    2003 folgten innerhalb weniger Monate zwei am Stück abgedrehte Fortsetzungen, in denen die Mythologie hinter der Matrix zunehmend aufgebläht wurde. Während „Matrix Reloaded“ noch auf ein mild positives Echo von Fans und Presse stieß und mit weltweiten Einnahmen von 738 Millionen Dollar zudem zum dritterfolgreichsten Film des Jahres avancierte, schlug die Stimmung bei „Matrix Revolutions“ endgültig um – „wirr“ und „überfrachtet“ war die überwiegende Meinung. Seither hat das Studio Warner Bros. immer wieder mit der Idee geliebäugelt, das Franchise ohne die Wachowskis fortzuführen, es dann aber doch gelassen. Stattdessen greift Regisseurin und Autorin Lana Wachowski innerhalb der doppelbödigen Meta-Erzählung von „Matrix Resurrections“ die spaltende Wirkung der ersten beiden „Matrix“-Sequels direkt auf.

    Sind diesmal noch mehr das emotionale Zentrum als in der Original-Trilogie: Neo (Keanu Reeves) & Trinity (Carrie-Anne Moss).

    Der Spieledesigner Thomas Anderson (Keanu Reeves) führt seit Abschluss seiner populären „Matrix“-Trilogie ein ödes, unglückliches Leben in San Francisco. Um seine ständigen Halluzinationen zu unterdrücken, schluckt er auf Anraten seines Therapeuten (Neil Patrick Harris) zudem haufenweise Medikamente. Die Pillen führen aber ebenso wenig weiter wie die Versuche eines Kollegen, ihn endlich mit seinem heimlichen Schwarm Tiffany (Carrie-Anne Moss), einer Vorstadt-Ehefrau mit einer Vorliebe für schnittige Motorräder, bekannt zu machen. Erst Morpheus (Yahya Abdul-Mateen II) zeigt Thomas auf, wie er zu seinem „wahren Ich“ finden kann – und so kehrt Thomas nach all den Jahren dahin zurück, wo alles begonnen hat: Die Matrix ist allerdings gefährlicher als je zuvor – und steckt zudem voller Déjà-vus!

    Die Déjà-vus setzten auch beim Publikum gleich zu Filmbeginn ein: So steckt die kämpferische Bugs (Jessica Henwick) etwa mitten in einer Nachstellung der Auftaktszene von „Matrix“, was sie selbst mit Fangirl-Kommentaren abfeiert – bis etwas schiefläuft! Irgendwas ist hier nicht mehr wie früher – und im weiteren Filmverlauf tauchen immer wieder leicht erkennbare Abwandlungen von kurzen Dialogzeilen oder ganzen Sequenzen auf, die „Matrix“-Fans bereits hinlänglich bekannt sind. Die meisten davon stammen aus dem ersten Film, während die Ereignisse aus den Sequels eher stiefmütterlich behandelt werden. Die (Wieder-)Einführung von Keanu Reeves' Doppelrolle des Thomas Anderson / Neo ist dann auch weniger eine klassische Wiedersehensfeier mit einem bei Fans beliebten Helden – sondern vor allem ein bissig-augenzwinkernder Kommentar auf den Stand des modernen Hollywoodkinos voller Reboots, Remakes und Sequels, die ebenfalls „zurück zu den Anfängen“ kehren (also alles von „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ bis hin zum 2018er „Halloween“).

    Mehr als nur Meta

    Ähnlich wie etwa Wes Cravens Meta-Slasher „Freddy’s New Nightmare“ spielt auch „Matrix Resurrections“ in einer Welt, in der die Vorgängerfilme existieren – wenn auch als Videospiele und nicht als Kinofilme. Trotzdem erinnern die Gespräche, in die Thomas Anderson als Gamedesigner immer wieder verwickelt wird (und die Keanu Reeves mit herrlich verdattertem Gesichtsausdruck über sich ergehen lässt), frappierend an reale Debatten über die „Matrix“-Trilogie. Hier die Puristen, die vor allem Teil 1 abfeiern – und dort die Supernerds, die Bestätigung für ihre abgefahrenen Interpretationen suchen. Thomas‘ Arbeitgeber ist hingegen vor allem an einem vierten Teil interessiert – der soll nämlich unbedingt kommen, egal ob Thomas mitzieht oder nicht.

    Allerdings wächst „Matrix Resurrections“ dann aber zum Glück doch recht schnell über den Status eines reinen selbstironischen Neuaufgusses oder bloßen spitzzüngigen Kommentars über den Status quo von Hollywood hinaus: Die „Matrix“-Trilogie hatte vieles zu bieten, aber vor Gefühlen strotzte sie nicht gerade. Stattdessen war die Romanze zwischen Trinity und Neo kaum mehr als eine Sprungfeder im Plotgetriebe. Das ist durchaus ein valider Kritikpunkt in einer Filmreihe, die ja explizit vom Kampf der fühlenden Menschen gegen die kalten Maschinen handelt. „Matrix Resurrections“ revidiert diesen Makel - erzählerisch wie inszenatorisch.

    Auch der neue Morpheus (Yahya Abdul-Mateen II) hat wieder blaue und rot Pillen im Gepäck.

    Neos Wunsch, Tiffany wachzurütteln und ihr dabei zu helfen, wieder Trinity zu werden, erweist sich nach dem meta-ironischen Filmauftakt als zentraler Handlungsantrieb von „Matrix Resurrections“ – und dank Keanu Reeves' sehnsuchtsvollen Blicken sowie der blendenden Chemie mit Carrie-Anne Moss haben diese Szenen plötzlich viel mehr Menschlichkeit zu bieten als noch ihre Interaktionen in der Originaltrilogie. Darüber hinaus kommt es dem verspäteten Sequel zugute, dass Wachowski die literarischen sowie philosophischen Querverweise im Vergleich zu den vorherigen beiden „Matrix“-Teilen ebenso zurückschraubt wie den „Die gesamte Menschheit muss gerettet werden“-Overkill. In „Matrix Resurrections“ erwächst die Fallhöhe nahezu ausschließlich aus der Frage, ob Neo und Trinity in ihrer Haut Glück finden können (und dabei vielleicht auch noch zusammenfinden).

    Diesen Richtungswechsel unterstreicht Wachowski mit einer insgesamt deutlich wärmeren Inszenierung: Wo die Originaltrilogie noch von künstlichem Licht und monochromen Farbwelten dominiert wurde, setzen die Regisseurin und ihr „Sense 8“-Kamerateam Daniele Massaccesi / John Toll diesmal auf farblich gesättigtere Schauplätze, die zudem von natürlichem, einladendem Licht durchflutet sind. Auch die Kostüme, Frisuren sowie Requisiten sind bunter und abwechslungsreicher, was den insgesamt deutlich optimistischeren Tonfall des Films massiv verstärkt – mal ganz abgesehen davon, dass die Figuren die stilisiert-trockene Sprache der Vorgängerfilme ablegen, und nun natürlicher, menschelnder miteinander sprechen.

    Eine sehr persönliche Erzählung

    Das alles kommt nicht von ungefähr. Bei einer Diskussionsrunde im Rahmen des Internationalen Literaturfestival Berlin verriet Lana Wachowski im September 2021 ihre Beweggründe, noch einmal in die „Matrix“ zurückzukehren: Nach dem Tod ihrer Eltern hätte sie in ihrem Kummer einfach keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als ihre zwei Lieblingsfiguren Neo und Trinity in ihr Leben zurückzuholen. Und genau diesen Seelenbalsam, den ihr Neo und Trinity in diesen dunklen Stunden verschafft haben, rekreiert sie in „Matrix Resurrections“ nun fürs Publikum.

    Dabei vermeidet es die Filmemacherin, „Matrix Resurrections“ zum gedankenlosen Komfortfutter verkommen zu lassen. Selbst wenn es diesmal ein wenig gefühliger zugeht, hat sie nicht aus den Augen verloren, dass zur Faszination „Matrix“ eben noch mehr dazugehört als das Grundkonzept und eine Handvoll möglichst ikonischer (und diesmal vor allem aus Variationen bestehender) Actionszenen. Selbst wenn die Philosophie diesmal der zentralen Dynamik zwischen Neo und Trinity untergeordnet wird, denken Wachowski und ihre Schreibpartner David Mitchell („Cloud Atlas“) und Aleksandar Hemon („Sense8“) die in den Vorgängern angeschnittenen Konzepte konsequent weiter. Das gilt vor allem für die Trans-Metaphorik der Filmreihe, die zur Zeit der Kinostarts noch über die Köpfe vieler Fans hinweggeglitten ist, nun aber stolzer und direkter daherkommt – so entpuppt sich der neue Smith allein schon durch seine schmierige Lobrede auf die für ihn unveränderliche Binarität als unverbesserlicher Schurke des Stückes.

    Die Action begeistert vor allem zum Auftakt und im Finale von "Matrix 4".

    Kritikpunkte gibt es trotzdem: So wirken gerade die Actionszenen im Mittelteil von „Matrix Resurrections“ zuweilen unmotiviert. Zudem sind sie so hektisch geschnitten, dass man die Stunts und die Filmwelten, in denen sie stattfinden, gar nicht wirklich genießen kann. Nach dem visuell beeindruckenden Auftakt dauert es daher bis zum Finale, bevor die Action wieder so zündet wie noch in „Matrix“ und „Matrix Reloaded“.

    Dafür entwickelt der Abschluss nun umso mehr emotionale Resonanz – eine geschickte Abwägung zwischen dem Komfort der Nostalgie und der Erkenntnis, dass es immer Raum für Verbesserung gibt. Das Skript ist raffiniert genug, um die Revision des bisherigen Trilogie-Abschlusses nicht in bloßen Fanservice münden zu lassen – stattdessen werden die Figuren und ihre Bedürfnisse zielstrebig weitergedacht. Als hätte sich Lana Wachowski gedacht: „Jetzt, wo mich Neo und Trinity getröstet haben, kann ich ihnen zum Ausgleich das runde Ende schreiben, das sie sowieso schon immer verdient hatten, auf das wir beim ersten Anlauf aber einfach nicht gekommen sind…

    Fazit: Die „Matrix“-Reihe kehrt zurück zu ihren Anfängen und erfindet sich dabei doch komplett neu: Mit erstaunlich viel Witz und Gefühl verhilft Lana Wachowski der Reihe zu einem neuen, erfüllenderem Ende.

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