Netflix versucht sich an seinem eigenen "Triangle Of Sadness"
Von Jochen WernerWer hätte gedacht, dass es ausgerechnet Ruben Östlund („The Square“) sein würde, der einen der derzeit ermüdendsten Trends im europäischen Gegenwartsfilm mitzuverantworten hat? Dabei sind es gar nicht einmal die Filme des beim Filmfestival in Cannes bereits mit zwei Goldenen Palmen dekorierten Regisseurs selbst, die diese Entwicklung befeuern – unabhängig davon, wie man zu ihnen stehen mag. Aber der Erfolg von Filmen wie seiner grellen, nicht nur viel dekorierten, sondern auch an den Kinokassen erfolgreichen Klassenkampf-Satire „Triangle Of Sadness“ hat offenbar eine kaum enden wollende Serie viel schlichterer und viel unwitzigerer Nachahmer ausgelöst – und mit „Delicious“ hat auch Netflix jetzt einen davon im Portfolio.
Inszeniert hat den Film Nele Mueller-Stöfen, als Schauspielerin bereits seit 30 Jahren viel beschäftigt. 2015 gab sie mit dem sehr hübschen Kurzfilm „Am Strand“ ihr Regiedebüt, außerdem schrieb sie für zwei Filmen von „Im Westen nichts Neues“-Regisseur Edward Berger (nämlich „Jack“ und „All My Loving“) am Drehbuch mit. Ihr erster eigener Langfilm aber kommt nicht nur uninspiriert, sondern auch inszenatorisch überraschend umständlich daher.
Erzählt wird in „Delicious“ von einer bestens betuchten Familie im Frankreichurlaub: Mutter Esther (Valerie Pachner) ist ein hohes Tier in irgendeiner Global-Player-Firma, Papa John (Fahri Yardim) ist Wissenschaftler mit Plagiatsskandal an den Hacken – und die Kinder Philipp (Caspar Hoffmann) und Alba (Naila Schuberth) wachsen zwar im Überfluss auf, werden aber auch direkt in die Klassen- und Leistungsgesellschaft hineinerzogen. Krank wären sie nie, so erzählen sie dem neuen Hausmädchen Teodora (Carla Díaz) einmal, und zwar deshalb, weil sie es nicht sein dürften.
Teodora ist dabei als Fremde in das Ferienhaus der Familie eingedrungen, trotz Johns deutlichem Widerwillen: Angetrunken am Steuer hat er die Frau bei der nächtlichen Heimfahrt angefahren und dabei verletzt, weshalb sie ihren Job als Zimmermädchen im Hotel verliert, wo wir sie bereits anfangs mit ihren Kollegen sahen, die den wohlhabenden Gästen auch gern mal in die Mineralwasserflasche urinieren. Also schlägt Teodora vor, sie könne doch übergangsweise für die Familie arbeiten. Solchermaßen diskret erpresst, stimmt Esther schließlich zu, und Teodora beginnt, sich eine Rolle im Familienleben zu erschleichen, die weit über die einer Hausangestellten hinausgeht…
Noch ein "Teorema"
Man kennt dieses Schema zur Genüge, denn Pasolinis „Teorema – Geometrie der Liebe“, in dem sich ein junger, gutaussehender Gast einmal quer eine dysfunktionale Großindustriellen-Familie schläft, zählt seit bald sechs Jahrzehnten zu jenen Klassikern der Filmgeschichte, von denen das internationale Arthouse-Kino niemals müde wird, ohnehin nie an das Original heranreichende Quasi-Remakes zu produzieren. Insofern wissen wir schon von Anfang an im Grunde ganz genau, dass jetzt jedes Familienmitglied in irgendeiner Weise in die Geschichte verwickelt werden wird. Und dass der ohnehin bröckelnde, nicht mehr so ganz funktionale Familienbund nicht unbeschadet aus der Affäre hervorgehen wird, ist auch alles andere als eine Überraschung.
Wie genau sich das alles abspielt, und auch welchem Genre „Delicious“ am Ende angehört, darüber kann hier nicht viel geschrieben werden, denn Produzent Netflix macht sich große Sorgen um etwaige Spoiler in den Besprechungen dieses Films und listet aus diesem Grund eine ganze Reihe von Dingen auf, die in dieser Kritik nicht vorkommen dürfen. Es ist aber auch eigentlich gar nicht nötig, an diesem alles andere als subtilen Film irgendetwas zu spoilern, denn jeder Twist kündigt sich ohnehin meilenweit an.
Wie eine Art Streamingservice-Whisteblower berichtete der für die Animationsserie „Star Trek: Lower Decks“ auf Paramount+ verantwortliche Showrunner Mike McMahan kürzlich, er sei in der Konzeptionsphase darauf hingewiesen worden, dass nicht zu viel passieren dürfe in jeder Episode seiner Show. Denn wie sollten sonst jene Zuschauer dem Geschehen noch folgen können, die nebenbei zum Beispiel Spaghetti zubereiten würden. Als „Casual Viewing“ wird dieses Verhalten inzwischen bezeichnet, und „Delicious“ passt nicht nur vom Titel her ziemlich gut in eine solche noch genauer zu umreißende Liste derartiger Spaghetti-Filme.
Auch mit geteilter Aufmerksamkeit wird man voraussichtlich nichts Wesentliches verpassen, und selbst wenn man so unaufmerksam war (oder so wenige andere Filme ähnlicher Machart kennt), dass man von den Enthüllungen am Ende tatsächlich überrascht wird, dann wird, um ganz sicherzugehen, ohnehin alles nochmal deutlich als Off-Kommentar ausgesprochen und erklärt. Und eigentlich hat man das alles schon wieder vergessen, während noch der Abspann läuft, denn von seinem Genre, das wir hier nicht nennen dürfen, hat „Delicious“ eigentlich nur zu subtrahieren, nichts hinzuzufügen.
Fazit: Eine zahnlose und komplett unoriginelle Klassenkampf-Satire, irgendwo zwischen einem harmlos-uninspirierten Ruben-Östlund-Abklatsch und dem gefühlt tausendsten Remake von Pasolinis „Teorema“. Kann man sich getrost sparen.
Wir haben „Delicious“ im Rahmen der Berlinale 2025 in der Sektion Panorama gesehen.