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    A Pure Place
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    A Pure Place

    In jedem von uns steckt ein bisschen Dreck

    Von Teresa Vena

    Der Bunker“ (4,5 Sterne von FILMSTARTS) des Deutsch-Griechen Nikas Chryssos, in dem ein ruhesuchender Student in den Bunker eines sonderbaren Ehepaars zieht, avancierte 2015 zum Ereignis – zumindest im Ausland, wo ambitionierte Genrefilme ja leider oft mehr Aufmerksamkeit generieren als hierzulande. Mit seinem ungewöhnlich mutigen und absurd-komischen Werk avancierte der Regisseur dennoch auf Anhieb zu einer der vielversprechendsten neuen Stimmen im traditionell ohnehin eher spärlich besetzen deutschen Genrekino. Seine präzise formale wie dramaturgische Sprache ist kompromisslos, provozierend und selbstbewusst. Durch die Verfremdung simpler und vermeintlich vertrauter Motive erzeugt er mit reduzierten Mitteln eine dystopisch-fantastische Atmosphäre und übt zugleich hintergründige Kritik an unserer Gesellschaft.

    Auch in seinem zweiten Spielfilm „A Pure Place“ wählt Chryssos wieder die –in diesem Fall leicht erweiterte – Einheit der Familie, um von Abhängigkeiten und Machtmissbrauch zu erzählen. Wieder spielt die kindliche Perspektive dabei eine zentrale Rolle – und einmal mehr kommt es zur Demontage einer elterlichen Identifikations- und Führungsfigur, die sich als unwürdig erweist. Auch „A Pure Place“ hat einen kammerspielartigen Charakter, bei dem sich die Handlung auf wenige Schauplätze konzentriert. Trotzdem weitet der Regisseur seinen Blick erstmalig und integriert auch einige Außenszenen, die er in Griechenland aufgenommen hat. Von der klaustrophobisch-dunklen Grundstimmung aus „Der Bunker“ wechselt „A Pure Place“ in eine lichtdurchflutete Szenerie – aber das bedeutet nicht, dass sich hier deshalb weniger tiefe Abgründe auftun.

    Fust dominiert nicht nur seine Seifen-Sekte - sondern als stärkste Figur auch den ganzen Film.

    Irina (Greta Bohacek) und Paul (Claude Heinrich) sind Geschwister. Sie arbeiten wie viele andere Kinder und Jugendliche ohne Eltern in der Seifenfabrik von Fust (Sam Louwyck). In der Villa auf einer griechischen Insel gibt es zwei Sphären, die fein säuberlich voneinander getrennt sind: Unten arbeiten und leben die dreckigen Kinder in einer Art feuchtem Heizungskeller – die sich, obwohl sie Seife herstellen, nicht einmal waschen dürfen. Die oben frönen hingegen den Aktivitäten des Geistes, tragen weiß und bereiten sich für den Übergang nach Elysion vor, dem Paradies der Glückseligen, das nur den Reinen offen steht. Fust, ein vordergründig charmanter, stattlicher Mann, fungiert als geistiger Führer dieser sektiererischen Gemeinschaft.

    Eines Tages wird Fust auf Irina aufmerksam und möchte sie auf eine neue Stufe heben und damit in den Kreis der Jünger aufnehmen. Fasziniert und geschmeichelt von der Aufmerksamkeit, die sie erfährt, wendet sich Irina langsam von ihrem Bruder ab. Sie soll gemeinsam mit Siegfried (Daniel Sträßer) an der Aufführung eines Theaterstücks teilnehmen, in dem der Größe und Heiligkeit von Fust gehuldigt werden soll. Doch Irina bringt Siegfried durcheinander, weswegen in ihm unreine Gedanken aufkommen – und auch der zurückgelassene Paul rüttelt zunehmend an der starren Ordnung der Organisation...

    Nur wer rein ist, kommt rein

    Chryssos hat seine eigene Sekte erschaffen, die wie jede Glaubensgemeinschaft ihr eigenes Credo und ihre speziellen Rituale hat. Die Seifen-Sekte in „A Pure Place“ glaubt an eine Welt, in der der Dreck besiegt werden kann und die Reinheit herrscht. Wer sowohl äußerlich sauber als auch innerlich rein ist, schafft es nach Elysion. So schwierig klingt das im ersten Moment vielleicht gar nicht. Doch welchen Wert hätte es, wenn das jeder schaffen könnte? Deswegen gibt es verschiedene Stufen der Reinlichkeit, die jedes Mitglied ersteigen muss, bevor es zu den Auserwählten gehören kann.

    In der ersten Hälfte konzentriert sich der Film auf die Beschreibung dieser ungewöhnlichen Gruppe und ihres charismatischen Anführers. Fasziniert folgt man eine Weile lang der Dynamik zwischen denen da oben, also den Erwachsenen, die bereits eine höhere Reinlichkeitsstufe erreicht haben, sowie denen da unten, den Kindern, die in einer dreckigen Fabrik die „heilige“ Seife für die da oben produzieren. Aber irgendwann dreht sich die Geschichte im Kreis und das Motiv nutzt sich ab. Die Handlung wird vorhersehbar, wenn sich beispielsweise recht schnell eine von unten ausgehende Revolte abzeichnet. In der zweiten Hälfte hat der Film deswegen leider seine Längen und hätte etwa gut auf mehrere unnötige Rückblenden verzichten können, das sie nur wenig Aufschlussreiches über die Hintergründe vermitteln.

    Fust rules – die Fabrik und den Film

    Fast alle Szenen, die sich mit dem Anführer Fust beschäftigen, sind allerdings herausragend. Wie ein Superheld stellt er sich einmal vor: „Ich bin Fust, gekommen, um die Welt vom Dreck zu befreien!“ Im Mysterienspiel genannten Theaterstück sollen ihn Irina und Siegfried genau als diesen Heilbringer darstellen. Die Proben gehören dabei zu den amüsantesten Motiven des Films. Ein weiterer guter Einfall ist ist der Akzent, mit dem der belgische Schauspieler Sam Louwyck („Brimstone“) seine Rolle verkörpert: Die ohnehin betont affektierte Sprache von Fust bekommt so noch einen weiteren verfremdenden und hochgestochenen Einschlag.

    Im Grunde ist Fust ein Neurotiker und verklemmter Typ, der Angst vor Keimen hat und von Sex angewidert ist. Dies versucht er mit seiner komplizierten Philosophie zu vertuschen – und entwickelt aus Elementen der christlichen Ideologie, der griechischen und altgermanischen Mythologie eine seifige Melange. Erkennbar ist diese Mischung unter anderem an den Figurennamen wie Siegfried, Albrich oder Maria sowie an der auch sonst immer präsenten Symbolik (Fusts Haustier ist eine Schlange, sein Lieblingsgemälde zeigt das Jüngste Gericht). Geradezu genüsslich demontiert das Drehbuch mit diesem weltreligiösen Gemischtwarenladen den Charakter des Sektenfürsten.

    Horror-Hype-Thema Sekten

    Die Liste der Sektenfilme im Horrorfach ist lang – und wird immer länger: Man denke nur an jüngere Werke wie „Midsommar“, „Son“ oder „Wrong Turn: The Foundation“. Alle machen sich das irrationale Verhalten einer fanatischen Gruppe zu Nutze, um so eine bedrohliche Situation zu evozieren. „A Pure Place“ kann allerdings bis zum Schluss sich nicht so recht entscheiden, ob er dazu gehören möchte oder doch lieber Gesellschaftssatire sein will. Weder die eine noch die andere Richtung verfolgt der Film konsequent genug. Stattdessen führt die (über-)intellektuelle Herangehensweise oft zu einer etwas sterilen, distanzierten Wirkung.

    Fazit: „A Pure Place“ entzieht sich einer einfachen Einordnung, was grundsätzlich nichts Schlechtes sein muss. Trotzdem fehlt es ihm insgesamt an Stringenz und Spannung. Einige der Einfälle in Bezug auf die erfundene Sekte sind dennoch sehr originell und insbesondere die Fust-Figur sorgt immer wieder für amüsant-entlarvende Momente.

    Wir haben „A Pure Place” auf dem Filmfest München gesehen.

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