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    Stowaway - Blinder Passagier
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Stowaway - Blinder Passagier

    Ein Weltraum-Dilemma, das unbedingt auf die große Leinwand gehört

    Von Tobias Mayer

    Netflix und andere Streaming-Services zählen zu den großen Gewinnern der Corona-Zeit. Nicht nur haben sie an Abonnenten gewonnen, weil alle Welt angesichts der grassierenden Pandemie Zuhause herumhängen muss. Zugleich haben sie die Gunst der Stunde auch genutzt, um den Studios fertigproduzierte Filme abzukaufen, die diese angesichts der geschlossenen Kinos gerade nicht selbst herausbringen können. Beispiele für diese Praxis reichen von „Berlin, Berlin – Der Film“ über „Der Prinz aus Zamunda 2“ bis zum Sci-Fi-Blockbuster „The Tomorrow War“. Selbst für „James Bond – Keine Zeit zu Sterben“ soll Netflix bis zu einer halben Milliarde Dollar geboten haben.

    Das US-Studio Sony gab auf diesem Weg auch schon den eigentlich fürs Kino produzierten Animationsfilm „Die Mitchells gegen die Maschinen“ an Netflix ab – und auch der von Sony produzierte „Stowaway – Blinder Passagier“ ist in weiten Teilen der Welt bereits bei Netflix erschienen. Die deutschen Rechte hingegen liegen beim Verleih Wild Bunch, der den Sci-Fi-Film nach wie vor ins Kino bringen will – zum Glück! Ja, woanders kann man ihn jetzt schon streamen – aber dafür können wir in Deutschland den packenden Weltraum-Thriller von Joe Penna dort sehen, wo er hingehört: Nämlich auf einer möglichst großen Leinwand mit einem kräftigen, detailtiefen Sound, der hier mitunter sogar noch wichtiger ist als die Bilder.

    Beim Raketenstart ist die Crew absolut machtlos - da bleibt nur die Hoffnung, dass bitte möglichst niemand einen Fehler gemacht hat...

    Eine kleine Crew wurde dazu auserwählt, zum Mars zu fliegen und ihn für die Kolonisierung vorzubereiten. Neben der erfahrenen Kommandeurin Marina Barnett (Toni Collette) sollen sonst nur noch der Biologe David Kim (Daniel Dae Kim) und die Ärztin Zoe Levenson (Anna Kendrick) mit dem Raumschiff MTS-42 zum Roten Planeten aufbrechen. Oder besser gesagt: Die Crew ging bisher jedenfalls davon aus, dass nur drei Personen an Bord sein werden …

    … aber dann stellt sich heraus, dass sich der offenbar nach einem Unfall bewusstlos gewordene Michael Adams (Shamier Anderson) völlig ungeplant an Bord des Schiffs befindet. Und nicht nur das: Bei dem Unfall wurde auch ein Schaden am Belüftungssystem verursacht, weshalb auf dem Flug zum Mars nur noch genügend Sauerstoff für drei Personen zur Verfügung steht. Auch eine Rückkehr zur Erde ist technisch nicht möglich. Also müssen sich die Astronaut*innen nicht länger nur mit technischen Herausforderungen herumschlagen – sondern sehen sich plötzlich auch noch mit einem ethischen Dilemma wie direkt aus einem Philosophie-Lehrbuch konfrontiert…

    Nichts für Leute mit Platzangst

    Wenn die drei Besatzungsmitglieder am Anfang von „Stowaway“ von der Erde aus zu ihrem bereits im Orbit auf sie wartenden Raumschiff fliegen, dann scheppert und knackt es dabei, als würde die kleine Rakete jeden Moment auseinanderbrechen. Zu sehen sind dabei nur das Innere des Cockpits und die angespannten Gesichter der Crew – seit Ryan Goslings ruppigen Flügen in „Aufbruch zum Mond“ hatte man nicht mehr so viel Angst um die Besatzung, die in diesen Momenten all ihre Hoffnung darauf fokussiert, dass auch bitte jede Schraube vor dem Start wirklich superfest angezogen wurde. Mit diesem ebenso spannenden wie bedrückenden Raketenstart gibt der 33-jährige Regisseur Joe Penna, der hier nach „Arctic“ mit Mads Mikkelsen seinen zweiten Spielfilm abliefert, gleich die Richtung für den Rest seines Weltraum-Thrillers vor: „Stowaway“ bleibt stets ganz dicht an seinen Figuren, was die klaustrophobische Stimmung des Settings nur noch weiter befeuert.

    Weder gibt es hier wie in „Gravity“ besonders spektakuläre Weltraum-Panoramen zu bestaunen noch wächst das Figurenarsenal im Laufe des Films über die Zahl von vier hinaus. Der als Kammerspiel im All inszenierte „Stowaway“ steht und fällt deshalb mit der kleinen Crew und den Schauspieler*innen, wobei sich die bedachte Figurenzeichnung schnell als eine der großen Stärken des Films erweist: Der zentrale Konflikt, ob man nun eine Person opfern soll, damit der Rest überlebt (und damit sind auch die anderen Menschen auf der Erde gemeint), kann sich so mit voller emotionaler Wucht entfalten. Die Motivation aller Beteiligten bleibt stets nachvollziehbar – und zutiefst menschlich.

    An Bord des Hightech-Raumschiffs MTS-42 sieht sich die Crew mit einem ganz klassischen analogen Dilemma konfrontiert: Der Sauerstoff reicht nicht für alle...

    Der Biologe David versucht etwa, das zentrale Problem zu lösen, indem er die für seine Forschung mitgeführten Algen nun eben jenen Sauerstoff produzieren lässt, den das beschädigte System nicht mehr liefern kann. Er gibt erst einen Teil und schließlich alle der eigentlich zur Forschung bestimmten Algen dafür her, um das Überleben seiner Kolleg*innen zu ermöglichen – wohlwissend, dass damit Jahre seiner geleisteten Arbeit zunichte gemacht werden. Schließlich wird aber klar, dass die Idee mit den Algen leider doch nicht funktioniert – und der Moment, wenn der von „Lost“-Star Daniel Dae Kim gespielte, innerlich zerrissene David deshalb eine noch drastischere Maßnahme zur Lösung des Sauerstoff-Problems umsetzen will, gehört zu den stärksten Szenen des Films. Hier handelt kein verrohter Mann, für den von Anfang an klar war, dass dann zum Nutzen der Gruppe eben jemand über die Klinge springen muss, sondern ein Wissenschaftler, der absolut keinen anderen Ausweg mehr sieht.

    Der philosophische Konflikt, ob das Opfern eines Menschen gerechtfertigt ist, um das Überleben der anderen zu sichern, spitzt sich in „Stowaway“ zu, ohne dass es dabei einen klaren Antagonisten geben würde, den man als Zuschauer wegen seiner Bösartigkeit nach Herzenslust hassen könnte. In „Stowaway“ kämpfen die Astronauten nicht gegeneinander, sie kämpfen miteinander gegen widrigste Umstände an. Es geht um kluge Menschen, die mit guten Ideen das Beste aus einer sehr verfahrenen Situation machen wollen – und diese Ideen führen schließlich (so viel sei ohne Spoiler verraten) zu einer Weltraum-Klettersequenz am Äußeren des Raumschiffs, die in ihrer Intensität auch aus dem nächsten „Mission: Impossible“-Film stammen könnte (Tom Cruise will seinen nächsten Film schließlich eh vor Ort im All drehen).

    Fazit: Ein in seinem zentralen Konflikt angenehm intimer und ernsthafter, dann aber auch immer wieder geradeheraus spektakulärer Weltraum-Thriller, der vor allem mit seiner Menschlichkeit berührt und beeindruckt.

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