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    Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders Of Justice
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Helden der Wahrscheinlichkeit - Riders Of Justice

    Die Dänen spinnen noch immer – und das ist gut so!

    Von Karin Jirsak

    Dänische Delikatessen“ (2003), „Adams Äpfel“ (2005), „Men & Chicken“ (2015) – neben ihrem Schöpfer Anders Thomas Jensen haben diese dunkelschwarzen Komödien noch zwei weitere Dinge gemeinsam. Erstens: Es geht um Männer mit teilweise schweren Psycho-Päckchen, die von einer grotesken Situation in die nächste stolpern. Zweitens: Zum jeweilige Panoptikum der Gestörten zählen jedes Mal unter anderem die dänischen Kinostars Mads Mikkelsen, Nikolaj Lie Kaas und Nicolas Bro.

    In seiner politisch erneut ganz und gar nicht korrekten Action-Thriller-Komödie „Helden der Wahrscheinlichkeit – Riders Of Justice“ bleibt der Regisseur und Drehbuchautor diesem Erfolgsrezept treu und legt noch eine dicke Schippe Gefühl obendrauf – eine Rechnung, die vor allem dank Jensens erneut bestens aufgelegtem Lieblingscast größtenteils aufgeht. Kultverdächtig sind diese „Helden“ aber trotzdem eher nicht, denn ganz so perfekt auf den Punkt zugespitzt wie in „Adams Äpfel“ werden Plot und Charaktere diesmal nicht serviert.

    Die Helden der Wahrscheinlichkeit - oder doch nur ein Haufen schwerbewaffneter Nerds auf dem Holzweg?

    In der S-Bahn bietet der Mathematiker Otto (Nikolaj Lie Kaas) einer Frau seinen Platz an – kurz darauf entgleist der Zug, die Frau und zahlreiche weitere Passagiere kommen ums Leben. Das Unglück lässt Otto, der sich in seinem Job seit 26 Jahren mit der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten beschäftigt, einfach keine Ruhe. Es kann einfach kein Unfall gewesen sein, davon ist der Statistiker felsenfest überzeugt.

    Als die Polizei ihm nicht glaubt, wendet sich Otto mit seiner Theorie an Markus Hansen (Mads Mikkelsen), den Witwer der Verstorbenen. Der Soldat ist soeben aus dem Auslandseinsatz zurückgekehrt, um sich um seine Teenager-Tochter Mathilde (Andrea Heick Gadeberg) zu kümmern, die den Zug-Crash ebenfalls nur knapp überlebt hat. Als Markus begreift, was Otto mit Hilfe seiner ebenfalls ziemlich schrägen Nerd-Kollegen Lennart (Lars Brygmann) und Emmenthaler (Nicolas Bro) herausgefunden hat, kennt er nur noch ein Ziel: Rache!

    Wie im Alten Testament

    Rache ist vielleicht nicht immer die beste, aber eben doch eine mögliche Handlungsoption, wenn man(n) nach einem existenziellen Verlust einfach nicht mehr weiß, wohin mit sich. Dabei ist es vor allem für die Spezies „Mann“ oft auch viel einfacher (weil gesellschaftlich weitgehend akzeptiert), die „Schuldigen“ zur Rechenschaft zu ziehen, als sich tatsächlich der eigentlich angebrachten Trauer hinzugeben.

    Genau das ist das zentrale Thema von „Helden der Wahrscheinlichkeit“ – und Anders Thomas Jensen macht auch gar kein großes Geheimnis daraus, dass ihn der vordergründige Plot nur am Rande interessiert: Der Rache-Story werden nur wenige (Action-)Szenen eingeräumt und die sind weder sonderlich spannend noch originell. Ähnliches gilt für die Antagonisten, eine Biker-Gang namens Riders Of Justice. Die eigentlichen Konflikte liegen hier ganz klar anderswo und so stellt sich auch hier – wie in den meisten Jensen-Filmen – schnell das Gefühl ein, einer skurrilen Männerselbsthilfegruppe beim langsamen Entgleisen zuzusehen. Die „Helden“ im Titel sucht man da jedenfalls weitestgehend vergebens.

    Nach dem plötzlichen Tod seiner Frau ist der Berufssoldat Markus Hansen (Mads Mikkelsen) als alleinerziehender Vater völlig überfordert.

    Auch die mathematische Wahrscheinlichkeit ist kein so großes Thema, wie (zumindest der deutsche) Titel und der Auftakt versprechen. Stattdessen bildet sie vielmehr den erzählerischen Rahmen für eine Geschichte über das ja doch ziemlich ernste Thema Trauerbewältigung. Ein bisschen schade ist es aber schon, dass Jensen auf dem Feld der (Un-)Wahrscheinlichkeiten erzählerisch nicht tiefer schürft, denn hier hätte sich womöglich eine Goldgrube für noch mehr absurde Wendungen und irre Gags aufgetan.

    Stattdessen konzentriert sich Jensen einmal mehr ganz auf seine bewährte Freakshow. Auch in dieser Hinsicht wäre mehr drin gewesen, vor allem, wenn der Drehbuchautor sein anfangs so prominentes Thema des mathematischen Denkens weiter ausgeführt und seinen Nerd-Charakteren etwas mehr Gelegenheit eingeräumt hätte, im Sinne ihrer Profession zu handeln. Die Seltsamkeiten, die sie stattdessen ständig zur Schau stellen, wirken deshalb ein wenig beliebig. Da war die skurrile Charakterzeichnung etwa in „Adams Äpfel“ noch viel präziser auf die Thematik des Films zugespitzt.

    Mads hat’s einfach drauf

    Gut, dass sich Jensen auf seine wie immer famosen Darsteller verlassen kann. Allen voran Mads Mikkelsen („Der Rausch“), immer im Fokus mit roher Präsenz und grauem Rauschebart, unter dem sich ein herrlich minimalistisches und gerade darum höchst effektives Mienenspiel entfaltet. Seine Rolle, und das ist wohl der größte Insidergag des Films, ist hier wohl nicht zufällig als Antithese zum zwanghaft optimistischen Pfarrer Ivan angelegt, den Mikkelsen in „Adams Äpfel“ furios verkörperte.

    Eine völlig andere Weltsicht pflegt Emotionslegastheniker Markus Hansen schließlich nicht erst seit dem Tod seiner Frau: Kein Gott, keine Hoffnung, stattdessen ein brutaler Realismus, der schon an Nihilismus grenzt. Als etwa Teenie-Tochter Mathilde nicht schlafen kann, weil sie sich vorstellt, dass ihre geliebte Mutter nach ihrem Tod „ganz allein“ ist, findet der bislang abwesende Vater deutliche Worte: „Sie ist nicht allein. Sie ist jetzt nichts.

    So sehen dänische Nerds auf dem Weg zu einem Shootout mit einer gewaltbereiten Biker-Gang aus...

    Diese kleinen Momente, in denen der Soldat versucht, ein guter Vater zu sein, und dabei – gern auch im wahrsten Sinne des Wortes – komplett danebenhaut, setzen hier die stärksten schwarzhumorigen Akzente. Deutlich empathischer kommen da schon die drei Nerd-Wissenschaftler daher – eine schöne Kollision von Männerwelten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Daraus hätte Jensens Drehbuch gern auch noch ein paar Wortgefechte mehr entwickeln dürfen. Für solcherlei Schlagabtausch ist die Figur des Otto dann aber viel zu friedliebend angelegt – zu einem fetzigen Machtspielchen à la Pfarrer Ivan gegen Neonazi Adam kommt es daher also (leider) nicht.

    Nichtsdestotrotz schafft Nikolaj Lie Kaas hier mit der Strickjacken-Wärme eines Robin Williams in „Good Will Hunting“ eine Figur, die wohl jeder im Trauerfall gern an seiner Seite hätte. Mit Nicolas Bro (der Gunnar aus „Adams Äpfel“), der hier den übergewichtigen Gesichtserkennungsexperten mit dem Namen Emmenthaler spielt, sehen wir ein perfekt eingegroovtes Trio aus Jensen-Stammschauspielern, das an dem Familientreffen sichtlich seine helle Freude hat – und Lars Brygmann („Stealing Rembrandt“) wirkt als Hacker Lennart inmitten dieser alten Bekannten so, als wäre er schon immer dabei gewesen.

    Kein Kult-Klassiker – aber gute schwarzhumorige Unterhaltung

    Auch die wunderbar natürlich aufspielenden Jungdarsteller Andrea Heick Gadeberg als Mathilde und Gustav Lindh („Königin“) als ukrainischer Callboy Bodashka, der auf verschlungenen Wegen auch noch irgendwie Teil dieses Haufens wird, müssen sich nicht verstecken hinter den großen Stars des dänischen Kinos.

    Ein Kultfilm à la „Adams Äpfel“ ist Jensen hier am Ende nicht gelungen – dafür fehlen einfach die ikonischen Szenen. So bleiben aber doch ein Gefühl wie nach einer warmen Suppe und die zeitgemäße Message: Männer, akzeptiert eure Feelings, sonst kann es übel enden! Und diese Botschaft bringt eben nach wie vor keiner mit so brachialer Überzeugungskraft rüber wie Anders Thomas Jensen.

    Fazit: Anders Thomas Jensen serviert hier sein Erfolgsrezept erzählerisch nicht ganz so scharf gewürzt und auf den Punkt gegart wie in „Adams Äpfel“. Keine dänische Delikatesse, dank Jensens Stammbesetzung gemixt mit tollen Nachwuchsdarstellern dennoch ein schmackhafter Happen für Fans von dunkelschwarzem skandinavischem Humor.

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