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    Abseits des Lebens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Abseits des Lebens

    Ein Survivalfilm der besonders emotionalen Art

    Von Oliver Kube

    Nachdem sie bereits zehn Episoden (inklusive des vieldiskutierten Finales) ihrer Netflix-Hitserie „House Of Cards“ selbst inszeniert hatte, begann Schauspielerin Robin Wright („Forrest Gump“) im April 2019 mit den Vorbereitungen für ihr Spielfilm-Regiedebüt „Abseits des Lebens“. Ursprünglich hatte die Golden-Globe-Gewinnerin dabei nicht geplant, neben ihrem Job hinter der Kamera auch noch die Hauptrolle selbst zu übernehmen. Aber da das Survival-Drama angesichts der später im Jahr unberechenbaren Wetterlage in 2.500 Metern Höhe unbedingt schon im Oktober gedreht werden musste, blieb zu wenig Zeit, um eine Darstellerin zu finden, die a) terminlich zur Verfügung stand und vor allem b) der Rolle gewachsen wäre.

    Da fassten sich die Produzent*innen Leah Holzer, Peter Saraf und Ally Stewart ein Herz und schlugen vor, was sie sich im Geheimen wohl ohnehin gewünscht hatten. Nämlich, dass ihre Regisseurin die Protagonistin am besten selbst verkörpern sollte. Der Star überlegte kurz, sagte dann zu und rettete das Projekt damit vor einer Verschiebung in eine unbestimmte Zukunft. Schließlich sei sie ja ohnehin jeden Tag am Set, dann könne sie auch mitspielen, erklärte sie später ihre Entscheidung augenzwinkernd in einer Talkshow. Und tatsächlich liefert sie hier nun eine der besten und vielschichtigsten Leistungen ihrer an Top-Auftritten nun wahrlich nicht armen Karriere ab.

    Ganz so hart hat sich Edee (Robin Wright) ihr neues Leben dann doch nicht vorgestellt.

    Nachdem sie einen schweren Schicksalsschlag einstecken musste, packt die verzweifelte Edee (Robin Wright) ein paar Sachen, verlässt Chicago und zieht in eine einsame Berghütte in den Rocky Mountains – ohne Strom, Auto und Telefon. Als sie erst Besuch von einem ziemlich großen Bären bekommt und kurz darauf mit aller Macht der Winter über das Gebiet hereinbricht, muss sie allerdings einsehen, dass sie auf ein Leben in der Wildnis nicht wirklich vorbereitet ist. Starrsinnig und ohnehin nicht mehr allzu sehr am Leben hängend, bleibt sie dennoch dort und wird von einem kolossalen Schneesturm überrascht.

    Erst Tage später findet sie der Jäger Miguel (Demián Bichir). Mit Hilfe der eilig herbeigerufenen Krankenschwester Alawa (Sarah Dawn Pledge) bewahrt er sie so vor dem sicheren Tod durch Erfrieren. Miguel, der ebenfalls sehr zurückgezogen lebt, respektiert Edees Wunsch, allein sein zu wollen. Dennoch schaut er in gewissen Abständen immer mal wieder nach dem Rechten und bringt ihr ein paar Überlebensregeln bei. Dabei entwickelt sich eine zarte Freundschaft, die Edee Trost spendet. Aber dann kommt Miguel plötzlich nicht mehr…

    Die Wildnis ist kein Biomarkt

    „Abseits des Lebens“ beginnt mit einer stimmungsvollen Montage, in der Edee Vorräte einkauft und mit einem Leihwagen samt randvollem Anhänger zu der rustikalen Hütte rauf in die Berge fährt. Begleitet wird die Szene von einer melancholischen, aber auch etwas verspielten Coverversion des Bruce-Springsteen-Klassikers „I‘m On Fire“. So illustriert die Regisseurin geschickt, schnell und ohne große Worte die reichlich naive Vorstellung des Stadtmenschen Edee von ihrem zukünftigen Leben in der Natur.

    Es folgen diverse Momente, die uns nun deutlich ruhiger, aber ebenso effizient aufzeigen, wie verrückt diese Idee tatsächlich war. Zu Beginn scheitert Edee schon daran, einen Baumstamm zu Feuerholz zu verarbeiten. Im Sommer mag das nur frustrierend oder sogar verhalten amüsant sein, ein paar Monate später aber würde das ihr Schicksal besiegeln. Sie lernt zwar aus ihren Fehlern, aber eigentlich viel zu langsam. Dabei ist sie im Gegensatz zum Protagonisten aus „Into The Wild“, der ironischerweise von Robin Wrigts Ex-Mann Sean Penn stammt, nicht in die Wildnis gegangen, um zu sterben. Selbst wenn es im Laufe der Ereignisse durchaus Gedanken an einen Suizid gibt, will sie in der Abgeschiedenheit eigentlich einen Weg zurück ins Leben finden.

    Eine der wenigen leichteren Szenen: Am Lagerfeuer wird gemeinsam "Everybody Wants To Rule The World" gesungen.

    In diesen frühen Szenen steht Robin Wright fast vollkommen allein vor der Kamera. Nur nachts, wenn sie kaum schlafen kann, sehen wir kurze Traum-Sequenzen aus Edees früherem Leben als Familienmutter mit Mann (Warren Christie) und kleinem Sohn (Finlay Wojtak-Hissong). Die zweite Hauptrolle spielt hier also eindeutig die ebenso wunderschöne wie unerbittliche Natur – komplett an Originalschauplätzen in der kanadischen Provinz Alberta eingefangen. Der Chef-Kameramann Bobby Bukowski („Rampart“) liefert dabei fantastische Bilder der beeindruckenden Rocky-Mountains-Kulisse …

    … vor allem, wenn man bedenkt, dass ihm und seinen Kolleg*innen nur 29 Drehtage blieben, um Szenen aus allen vier Jahreszeiten zu drehen. Da die verhältnismäßig sparsam budgetierte Produktion sich keine Schneemaschinen oder große CGI-Orgien leisten konnte, war dies nur glaubhaft möglich, weil Wright und ein großer Teil ihrer Crew sich dazu entschieden, die gesamte Zeit über in Wohnwagen am Berg zu leben. Nur so waren sie in der Lage, auf die plötzlichen Wetterumschwünge zu reagieren: So wurden ganz spontan am Morgen sommerliche Szenen am Fluss und am Abend harsche Winter-Impressionen eingefangen.

    Zum Glück ist auch das Ende super

    Extrem wichtig für die Stimmigkeit der Story ist zudem der erst knapp zur Hälfte der Laufzeit ins Geschehen eingreifende Demián Bichir. Der oscarnominierte Darsteller, der mitunter auch schon mal zum Overacting tendiert (etwa in „The Nun“ oder ganz aktuell „Godzilla Vs. Kong“), spielt hier angenehm ruhig und zurückgenommen. Er stellt Miguel als sanften, nachdenklichen und doch handlungsstarken Mann dar. Selbst in den wenigen leichteren Momenten, etwa wenn die beiden Hauptfiguren am Lagerfeuer sitzen und gemeinsam den 80er-Hit „Everybody Wants To Rule The World“ von Tears For Fears singen, bleibt er immer glaubhaft geerdet. Eine solche Performance war essenziell, um das zwar nicht rundherum als „happy“ zu bezeichnende, aber dennoch (oder gerade deshalb?) immens befriedigende Finale des Films möglich zu machen.

    Ach ja: Wer – wie auch der Autor dieser Zeilen – während der eineinhalbstündigen Laufzeit befürchtet, das Ganze könnte am Ende in eine schnulzige Survival-Romanze à la „Zwischen zwei Leben“ münden, der fürchtet sich umsonst: Wright und ihr Drehbuch-Duo Jesse ChathamErin Dignam widerstehen dieser Versuchung völlig. So bleibt „Abseits des Lebens“ ein bis zum Rollen des Abspanns mitunter herzzerreißender Film über menschliche Güte und die Suche nach innerer Stärke, der nahezu immer den emotional richtigen Ton trifft und dabei niemals in plumpe, manipulative Melodramatik abdriftet.

    Fazit: Robin Wrights Kino-Regiedebüt „Abseits des Lebens“ ist ein intimes Drama vor gewaltiger Kulisse – jederzeit authentisch und berührend bis zum emotional ergreifenden Finale.

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