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    Django & Django
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Django & Django

    Wenn Quentin Tarantino ins Schwärmen gerät...

    Von Björn Becher

    Quentin Tarantino wollte Sergio Corbucci, dem nach „Spiel mir das Lied vom Tod“-Mastermind Sergio Leone unbestritten zweitbesten Italo-Western-Regisseur, einst mit einem Sachbuch ein Denkmal setzen. Aber obwohl der bekennende Italo-Superfan Tarantino dafür noch einmal alle Western Corbuccis intensiv unter die Lupe nahm und sogar eine ganz eigene Theorie über eine übergreifende Thematik entwickelte, veröffentlichte er sein Buch mit dem geplanten Titel „The Other Sergio“ dann doch nie. Seine Gedanken hat er sich aber trotzdem nicht umsonst überlegt, denn die Dokumentation „Django & Django“ ist nun quasi eine Filmversion des ursprünglichen Buchprojekts.

    Anders als der Titel vielleicht vermuten lässt, geht es darin aber nicht etwa ausschließlich um Corbuccis Klassiker und vielleicht noch Tarantinos „Django Unchained“. Stattdessen geht es um alle Western von Corbucci und den gewaltigen Stempel, den er dem Genre aufgedrückt hat. Dabei überlassen der für seine Dokumentationen über italienische Filmemacher bekannte Produzent und Autor Steve Della Casa sowie Regisseur Luca Rea die Bühne fast komplett Quentin Tarantino. In seiner unnachahmlichen Art und mit seinem ikonischen Redefluss führt er durch die Doku. Wer Tarantinos Art nervig findet, wird an „Django & Django“ wenig Spaß haben. Wer seinen ganz eigenen Stil, über Filme zu sprechen, aber mag, der bekommt hier einen kurzweilig-informativen Abriss über einige der besten (und brutalsten) Western aller Zeiten.

    Sergio Corbucci am Tisch mit Rick Dalton in einer Szene, die es dann doch nicht in die fertige Fassung von "Once Upon A Time... In Hollywood" geschafft hat.

    Wie sehr die Macher auf ihre Trumpfkarte „Quentin Tarantino“ setzen, zeigt schon der Prolog, der nämlich gar nichts mit der wahren Geschichte Corbuccis zu tun hat. Stattdessen erzählt der Kultregisseur in epischer Breite von einem ursprünglich geplanten Kapitel seines Films „Once Upon A Time… In Hollywood“, das es dann doch nicht in die fertige Version geschafft hat. Eigentlich sollte der Abstecher von Rick Dalton (Leonardo DiCaprio) nach Italien nämlich viel ausführlicher gezeigt werden. In allen Einzelheiten zeichnet Tarantino ein Abendessen von Dalton und seinem Agenten mit eben Sergio Corbucci und dessen Frau nach. Der US-Westernstar tritt dabei gleich mehrfach ins Fettnäpfchen, verwechselt sogar die beiden Sergios. Die größtenteils animierte Sequenz bietet als kleinen Leckerbissen sogar noch eine entfernte Szene aus „Once Upon A Time… In Hollywood“.

    Auf den ersten Blick erzählt dieser Prolog noch nicht wirklich viel über Sergio Corbucci, sondern zeigt vielmehr, was für eine umfassende Biografie sich Tarantino für seinen fiktiven Hollywoodstar Rick Dalton überlegt hat. Aber nebenbei lässt der „Pulp Fiction“-Regisseur schon hier die Unterschiede zwischen italienischem und amerikanischem Kino einfließen – und bereitet so einige spätere Diskussionspunkte vor. Erst dann kommt der Vorspann zu „Django & Django“ und es geht wirklich um Sergio Corbucci – genauer gesagt um dessen Western.

    Nur der Western-Regisseur Corbucci zählt

    Denn sowohl die Biografie von Corbucci, dessen Anfänge als Kritiker, Autor, Second-Unit-Regisseur sowie seine ersten eigenen Regie-Arbeiten im Sandalenfilm werden nur kurz abgehandelt. Corbuccis spätere Komödien werden mit einem überlangen und kommentarlosen Ausschnitt gen Ende der Doku sogar noch liebloser abgefrühstückt. Die Konzentration liegt klar auf den zwischen 1964 und Anfang der 1970er entstandenen Western, darunter die Meisterwerke „Django“, „Mercenario - Der Gefürchtete“ und „Leichen pflastern seinen Weg“.

    Eingeteilt ist „Django & Django“ zwar in diverse Kapitel, die sich zum Beispiel mit der ausgeprägten Brutalität („V For Violence“) oder Corbuccis Verzicht auf klassische Helden („Shadow & Light) befassen, doch die Struktur gibt Quentin Tarantino vor – und wer den Kino-Enthusiasten schon mal über seine Lieblinge hat reden hören, weiß, dass „Struktur“ da vielleicht auch ein wenig euphemistisch ist. Denn Tarantino überschlägt sich auch hier immer wieder beim Reden, springt vom Thema A zum Gedanken B und zur Tangente C.

    Wenn Quentin Tarantino erst mal damit loslegt, über Filme zu reden, dann hält ihn so leicht niemand mehr auf...

    Was er aber sagt, ist fast immer unterhaltsam und meist interessant zugleich. Dass Corbuccis Western sehr politisch, eindeutig anti-faschistisch sind, ist sicherlich keine neue Erkenntnis. Doch Tarantino dreht jeden Gedanken immer noch einen Schritt weiter, strahlt immer förmlich, wenn er eine Idee präsentieren kann, die ihm in der Vorbereitung gekommen ist. „Die rote Sonne der Rache“ ist für ihn etwa ein Film über die Beziehung zwischen Charles Manson und seiner Jüngerin Squeaky Fromme. Daher sei auch „Kojak“-Star Telly Savalas als ihr Verfolger der wahre Held. Solchen Ideen muss man nicht zustimmen – aber ich freue mich schon darauf, den auch als „Sonny & Jed“ bekannten Western unter diesem Gesichtspunkt noch einmal zu sehen.

    Weil Tarantino so viel zu erzählen hat, sind die Macher gut beraten, ihm die Bühne zu überlassen. Filmkritiker Della Casa, der andere seiner Dokus schon damit belastet hat, dass er sich selbst als Gesprächspartner ohne interessante Wortmeldungen in den Mittelpunkt rückte, holt neben Tarantino diesmal nur noch zwei weitere Männer vor die Kamera: Horror-Spezialist Ruggero Deodato („Cannibal Holocaust“), der lange Jahre Corbucci assistierte, und „Django“-Star Franco Nero. Ihre Kommentare runden meist Tarantinos Ausführungen ab, setzen auch mal einen kleinen Kontrapunkt, sind aber vor allem auch Infos aus erster Hand. Denn während Tarantino zugibt, dass es nur seine persönlichen Theorien sind, können sie ein paar Einblicke in Corbuccis Gedankenwelt geben – und steuern zudem auch noch ein paar amüsante Anekdoten vom Set bei.

    Einen Tarantino stoppt selbst der Abspann nicht

    Von den Sets stammen auch überraschend viele Bilder. Die Macher haben eine Menge Behind-The-Scenes-Material aufgetrieben, das im engen 4:3-TV-Format zu sehen ist, während die Filmszenen dagegen im 16:9-Kino-Breitbild präsentiert werden. Sowohl die Blicke hinter die Kulissen als auch die nicht immer ganz passenden Filmszenen mit überraschend wenig „Django“ (trotz des Titels gibt es zum Beispiel viel mehr Szenen aus „Mercenario“ und „Fahrt zur Hölle, ihr Halunken“) sind nettes Beiwerk. Doch der Star ist Tarantino, was noch einmal das Ende beweist. Denn wenn die Doku eigentlich schon fertig ist, der Abspann rollt, setzt er plötzlich noch einmal zu einer ganz neuen Theorie an. Ein letztes Mal geht es ohne Punkt und Komma drauflos – so lange, dass der komplette Abspann schon gelaufen ist und er immer noch weiterredet…

    Fazit: „Quentin Tarantino redet über Sergio Corbucci“ wäre sicher der treffendere Titel gewesen. Aber wie die Dokumentation heißt, ist ja eigentlich auch egal. Wer Freude daran hat, dem Kultregisseur bei einer ausufernden Schwärmerei über den Italo-Western-Maestro zu lauschen, der kommt bei „Django & Django“ jedenfalls voll auf seine Kosten.

    Wir haben „Django & Django“ auf dem Filmfestival in Venedig gesehen, wo er außer Konkurrenz als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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