Mit dem Holocaust-Drama „Schindlers Liste“ schuf Steven Spielberg ein Meisterwerk: Der Film darüber, wie Emaille- und Munitionsfabrikant Oskar Schindler das Leben von über 1.000 jüdischen Zwangsarbeitern rettete, ist erschütternd und hat trotzdem Momente inspirierender Menschlichkeit. Doch obwohl „Schindlers Liste“ einen wichtigen Wendepunkt in Spielbergs Karriere darstellt, wollte er das Projekt zunächst an andere Regisseure abgeben.
Zu Spielbergs zeitweiligen Wunschkandidaten zählte etwa Martin Scorsese. Eine andere Regielegende wiederum verlor den Film an Spielberg: Billy Wilder, die Regieikone hinter so unterschiedlichen Filmen wie „Manche mögen's heiß“ und „Zeugin der Anklage“.
"Schindlers Liste": Eine Buchkritik brachte das Projekt ins Rollen
Schon in den 1960ern versuchte Poldek Pfefferberg, einer der von Schindler geretteten Juden, Hollywood davon zu überzeugen, diese Geschichte zu verfilmen. Zwar fand sich mit MGM ein Studio, das am Thema interessiert war, und mit „Casablanca“-Ko-Autor Howard Koch ein Drehbuchautor, der sich dem schweren Stoff annehmen wollte. Letztlich kam aber kein Deal zustande.
Spielbergs Film, der 1993 das Licht der Kinowelt erblickte, nahm wiederum 1982 seinen Anfang: Sid Sheinberg, damaliger Präsident des Medienkonzerns MCA Inc., schickte Steven Spielberg eine Besprechung von Thomas Keneallys Buch „Schindlers Liste“ aus der New York Times, um ihn auf die Geschichte aufmerksam zu machen.
Wie Filmhistoriker Joseph McBride in seiner Spielberg-Biografie festhielt, reagierte der Regisseur erst einmal mit Unglauben. Doch fast im selben Atemzug beteuerte Spielberg, dass ihn die komplexe, widersprüchliche Persona Schindler fasziniert. Also schlug er Sheinberg vor, die Filmrechte zu erwerben.
Allerdings traute sich Spielberg nicht zu, „Schindlers Liste“ zu inszenieren. Laut McBrides Spielberg-Biografie sah sich der „Indiana Jones“-Regisseur selbst als zu kindisch an, um dem Projekt gerecht zu werden. Deshalb wollte er bloß als Produzent agieren.
Auf der Suche nach dem geeigneten Regisseur
Also bot Spielberg „Schindlers Liste“ vielen namhaften Regisseuren an, darunter „Tanz der Vampire“-Macher Roman Polanski, „Jenseits von Afrika“-Oscar-Gewinner Sydney Pollack und „Die zwölf Geschworenen“-Legende Sidney Lumet. Sie alle sagten ab, ebenso wie „Scarface“-Regisseur Brian De Palma. Zwischenzeitlich konnte Spielberg aber Martin Scorsese davon überzeugen, sich dem Thema anzunehmen. Wie Scorsese zu dem Projekt kam und warum er es wieder abgegeben hat, ist eine so spannende Hollywood-Anekdote, dass wir sie in einem separaten Artikel zusammengefasst haben:
"Ich hatte Angst": Deswegen hat Martin Scorsese ein großes Meisterwerk der 1990er-Jahre an Steven Spielberg abgegebenDarüber hinaus kreiste „Boulevard der Dämmerung“-Regisseur Billy Wilder wiederholt um „Schindlers Liste“. Für ihn war es eine Herzensangelegenheit: Wilder wurde 1906 in Sucha geboren, einer dem heutigen Polen zugehörigen Kleinstadt. Er verbrachte seine Kindheit in Krakau und Wien, und begann seine Filmkarriere in Berlin, bevor er unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten floh – erst nach Paris und letztlich in die USA.
Wilders "Schindlers Liste"
Wilders Beteiligung an „Schindlers Liste“ lässt sich als etwas verwirrendes Hin und Her bezeichnen: Unter anderem laut dem Sydney Morning Herold stieß Wilder unabhängig von Spielberg auf Keneallys „Schindlers Liste“ und versuchte, sich die Adaptionsrechte zu sichern. Sein Plan war es, mit einer letzten Regiearbeit seinen Familienmitgliedern zu gedenken, die durch den Holocaust gestorben sind.
1984 sei Spielberg dann auf Wilder zugekommen, um ihm das Projekt anzubieten, woraufhin der „Eins, zwei, drei“-Regisseur zugesagt hätte. Allerdings soll Wilder bald darauf festgestellt haben, dass ihm das Sujet zu nahe geht, woraufhin er Spielberg Mut zusprach, das Projekt umzusetzen. Außerdem versprach er, ihm durch kritische Drehbuch-Anmerkungen zur Seite zu stehen.
Offenbar müssen sich zwischendurch Wilder und Spielberg aus den Augen verloren haben. Denn wie Spielberg dem Branchenportal The Hollywood Reporter erzählte, kam es im Frühjahr 1993 zu einer herzzerreißenden Begegnung zwischen ihnen: Wilder sei laut Spielbergs Nacherzählung zu ihm ins Büro gekommen und habe ihn darum gebeten, ihm die Filmrechte zu überlassen.
Für diesen Fantasy-Actionfilm handelte sich Steven Spielberg eine Klage einSpielberg zitiert den von der „Schindlers Liste“-Buchvorlage schwärmenden Wilder: „Das sind die Erfahrungen, die ich gemacht habe, bevor ich nach Amerika gekommen bin. Ich habe dort drüben alles verloren. Ich muss diese Geschichte erzählen. […] Lässt du mich Regie führen und du produzierst den Film mit mir?“ Wilders Timing hätte kaum tragischer sein können:
Laut Spielberg fand dieses Gespräch drei Wochen vor dem „Schindlers Liste“-Drehbeginn statt, weshalb Spielberg die schmerzliche Aufgabe hatte, einem seiner Vorbilder eine kreative Abfuhr zu erteilen. Die Reaktion darauf ging an die Nieren: „Billy war sprachlos, ich war sprachlos. Ich habe bloß noch meine Hand gereicht und Billy hat sie genommen“, erinnert sich Spielberg an diesen dramatischen Moment. Inwiefern dies mit Wilders Involvierung in den ersten Drehbuchentwurf aus den 1980ern zusammenpasst, ist leicht fraglich.
Möglich, dass Wilder einen Sinneswandel durchgemacht hat, den Spielberg in seiner Nacherzählung nicht konkret als solchen benennt. Vielleicht ist Spielbergs Erinnerung etwas schwammig – oder aber der Sydney Morning Herold und andere Medien, die von Wilders Mitwirkung berichteten, haben etwas durcheinander gebracht. Verschiedene Quellen verbuchen aber, dass Wilder „Schindlers Liste“ gesehen hat und vom Film zutiefst berührt war:
Sowohl in McBrides Spielberg-Biografie als auch in Cameron Crowes passioniertem Billy-Wilder-Gesprächsband „Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?“* wird Wilders Dankesbrief an Spielberg zitiert. Darin bezeichnet die Regielegede den Spielberg-Film als „absolute Perfektion“ und beteuert, dass „man niemand besseres“ für das Projekt hätte finden können.
Damit niemand den Twist dieses Horror-Klassikers errät, ließ der Regisseur die Vorlage aus dem Verkehr ziehen*Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.