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    Piercing
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Piercing
    Von Christoph Petersen

    Das Geräusch der sich durch Knochen schneidenden Klaviersaite lässt einen auch 20 Jahre nach Takashi MiikesAudition“ einfach nicht los. Die Geschichte der jungen, unschuldig aussehenden Schauspielerin Asami (Eihi Shiina), die sich im Verlauf des Films als geisteskranke Serienkillerin entpuppt, ist zugleich ein abgefuckter Höllentrip und doch auch auf eine abgründige Weise sehr berührend. Dass Nicolas Pesce „abgefuckt“ ebenfalls perfekt beherrscht, hat der New Yorker Drehbuchautor und Regisseur bereits mit seinem Schwarz-Weiß-Debüt „The Eyes Of My Mother“ bewiesen. Darin kommt eine junge Frau durch den Killer ihrer Mutter, der seit vielen Jahren in der Scheune eingesperrt vor sich hinvegetiert, selbst auf den Geschmack am (Serien-)Morden. Dass sich Pesce nun für seinen zweiten Film „Piercing“ den gleichnamigen Roman von „Audition“-Autor Ryû Murakami vorgeknöpft hat, erscheint da also nur passend und logisch.

    Selbst wenn Reed (Christopher Abbott) sein eigenes Baby in den Händen hält, schwillt in ihm das Verlangen an, einfach zuzustechen. Um sich Erleichterung zu verschaffen, will er einen Businesstrip nach New York nutzen, um dort eine Prostituierte mit einem Eispickel zu ermorden. In seinem Hotelzimmer plant er vorab alles minutiös durch. Er probiert sogar verschiedene Mengen Chloroform an sich selbst aus, um genau bestimmen zu können, wie lange sein Opfer ausgeknockt sein wird. Aber als das Call Girl Jackie (Mia Wasikowska) dann tatsächlich an die Tür klopft, läuft alles ganz anders als geplant. Denn die junge Frau, die sich erst einmal eine ganze Zeit lang im Badezimmer einsperrt, ist mindestens genauso abgefuckt wie ihr potentieller Killer…

    In einem wie eine Modellbaumetropole aussehenden New York entbrennt zwischen Reed und Jackie in nicht minder stilisierten Kammerspielkulissen, die auch direkt aus einem 70er-Jahre-Giallo stammen könnten, schnell ein intensives Katz-und-Maus-Spiel. Wer weiß wann wie viel? Und wer will eigentlich was? Ein minimalistisches Noir-Verwirrspiel mit surrealem Touch und Splitscreen-Szenen, die Erinnerungen an die Filme von Brian De Palma („Sisters“, „Passion“) heraufbeschwören. Und mit jedem weiteren Twist geht es tiefer hinein in den Kaninchenbau aus abgründigen Fetischen und verstörendem Verlangen. Aber hey, jeder nach seiner Fasson…

    Sonderlich spannend ist das allerdings nicht. Dafür wirken das Setting und die Stimmung von Beginn an zu irreal. Aber darum geht es im Endeffekt auch gar nicht. Murakami in seinem Roman und nun Pesce in seiner Verfilmung geht es nämlich nur scheinbar um die Geschichte eines (potentiellen) Serienmörders. Stattdessen erforschen sie mit erstaunlich viel schwarzem Humor und abgründigem Witz die Psychosexualität ihrer Protagonisten. Die dunkle Seite von „Pretty Woman“, wo aus „Küss mich!“ kurzerhand „Stich mich!“ wird. Romantisch ist es aber trotzdem – mit einem wunderbaren kurzen Satz als trockene Schlusspointe. Und wenn sie nicht gestorben sind…

    Girls“-Star Christopher Abbott („Aufbruch zum Mond“) gibt dabei einen gelungen ambivalenten Serienmörder-Anfänger – zugleich penibel vorbereitet und doch völlig planlos, ein monströser Familienspießer und in seiner Unsicherheit irgendwie trotzdem sympathisch. Aber das eigentliche Highlight bleibt Mia Wasikowska („Stoker“, „Crimson Peak“), die Jackie konsequent nicht als eines der genretypischen Klischees wie traumatisierte Borderline-Patientin oder eiskalte Manipulatorin verkörpert, sondern sich eine ganz eigene Rolle irgendwo dazwischen erarbeitet. Und wer sie in „Victoria“ genauso stark fand wie wir, der darf sich auch auf den zwar kurzen, aber szenenstehlenden Auftritt von Laia Costa („Duck Butter“) als Reeds Ehefrau Mona freuen.

    Fazit: „Piercing“ ist zugleich stylischer Fetisch-Thriller und eine der wohl abgefucktesten romantischen Komödien aller Zeiten.

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