Zwei Actionhelden zum Knuddeln
Von Christoph PetersenDas Romantik-Festival in Boise, Idaho rühmt sich damit, dass die bisherigen Ausgaben des Speeddating-Events bereits zu 53 Eheschließungen geführt haben – und ein T-Shirt im Warenwert von 25 Dollar gibt’s für die Dating-Willigen sogar noch obendrauf. Aber statt das Ende der Eröffnungsrede abzuwarten, stürmen die weiblichen Teilnehmer vorzeitig los, um sich allesamt vor demselben Tisch einzureihen – und an dem sitzt niemand Geringeres als der titelgebende Bilanzexperte.
Nun würde es im wahren Leben vermutlich als Erklärung vollkommen ausreichen, dass Christian Wolff nun mal aussieht wie Ben Affleck („Air“). Aber in der Welt von „The Accountant 2“ hat der autistisch veranlagte Rechnungsprüfer den Algorithmus der Veranstaltung überlistet – und im vorab zugesendeten Fragebogen alle Punkte so beantwortet, dass die Frauen nur so auf ihn fliegen. Bloß dumm, dass er all die Schlange stehenden Damen mit derselben – offensichtlich nur für ihn urkomischen – Steuerrechts-Anekdote sofort wieder in die Flucht schlägt.
Dass „The Accountant 2“ einen sehr viel leichteren Ton anschlägt als der Vorgänger, ist übrigens keine Überraschung: „Warrior“-Regisseur Gavin O'Connor hat schließlich von Anfang an gesagt, dass er eine Trilogie anstrebt, die sich im Verlauf der Geschichte immer mehr in Richtung Buddy-Movie entwickelt. Sehr wohl überraschend ist hingegen, wie lange der zweite Teil auf sich warten ließ, schließlich standen 2016 am Ende der Kinoauswertung weltweite Einnahmen von 155 Millionen Dollar zu Buche – und das, obwohl der Action-Thriller nur schlappe 40 Millionen Dollar gekostet hat.
Ein Jahr später avancierte „The Accountant“ laut dem Marktforschungsunternehmen Comscore dann sogar zum meistausgeliehenen Streaming-Film des Jahres – und zwar noch vor eigentlich viel größeren Blockbustern wie „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“, „Fifty Shades Of Grey 2“ oder „Doctor Strange“. Vielleicht liegt es auch daran, dass nach dem jahrelangen Herumtrödeln ausgerechnet Amazon MGM eingesprungen ist und Warner Bros. die Sequel-Rechte abgekauft hat – ein Hit auf Amazon Prime Video ist schließlich so gut wie sicher. Aber auch Kinofans dürfen sich freuen: „The Accountant 2“ ist zwar ganz anders, aber deshalb keinesfalls schwächer als der überzeugende Vorgänger.
Ray King (J.K. Simmons), der ehemalige Direktor des Financial Crime Enforcement Network (FinCEN), stellt inzwischen private Untersuchungen an – und scheint gerade einer ganz großen Sache auf der Spur zu sein. Als er in einer Bingo-Kneipe seine Informantin Anaïs (Daniella Pineda) trifft, wird er allerdings von unbekannten Tätern erschossen. Kurz vor seinem Tod konnte er seiner ehemaligen Assistentin Marybeth Medina (Cynthia Addai-Robinson) allerdings noch eine Nachricht auf seinem Unterarm hinterlassen: „Finde den Accountant!“
Und tatsächlich: Der nach den Geschehnissen des ersten Teils untergetauchte Christian Wolff (Ben Affleck) taucht nicht nur auf, er erklärt sich sogar bereit, die von ihrem Ex-Chef hinterlassenen Ermittlungs-Rätsel für sie zu lösen. Als klar wird, dass hier offensichtlich auch ein mächtiger Menschenhändlerring seine Finger mit im Spiel hat, braucht selbst Christian Hilfe – und wendet sich deshalb an seinen Profikiller-Bruder Braxton (Jon Bernthal), der gerade erst in einem Berliner Penthouse ein halbes Dutzend Gangster umgelegt hat…
Seit dem Wie-aus-dem-Nichts-Megaerfolg von „Sound Of Freedom“ sind Menschenhändlerringe als Widersacher aktuell schwer angesagt. Aber ganz ehrlich: Die Mission und die damit zusammenhängenden Knobeleien stehen diesmal viel mehr im Hintergrund als noch im ersten Teil – die einzige ausufernde Actionsequenz gibt es überhaupt erst im Finale, und auch die erweist sich als ziemlich austauschbar. Aber das ist längst nicht so schlimm, wie man jetzt meinen könnte, denn die Qualitäten liegen in der Fortsetzung eben an anderer Stelle – und Regisseur Gavin O’Connor hatte schon ganz Recht mit seiner Ansage, dass ihm für „The Accountant 2“ eine Art „‚Rain Man‘ auf Steroiden“ vorschwebt.
Im erfolgreichsten US-Film des Jahres 1988 war es noch Tom Cruise, der seinen älteren autistischen Bruder (Oscar für Dustin Hoffman) auf einen Roadtrip begleitet. Aber zumindest was die brüderliche Chemie angeht, stehen Ben Affleck und Jon Bernthal den großen Vorbildern in nichts nach: Wenn sich Christian trotz Braxton als Wingman (mit „Top Gun“ lässt ein weiterer Tom-Cruise-Blockbuster aus den Achtzigern grüßen) beim Flirten in einem Country-Lokal in die Nesseln setzt, bevor er ausgerechnet im Line Dance seine Berufung gefunden zu haben scheint, ist das Duo schlichtweg herzallerliebst – selbst wenn sie ihre Widersacher bei der anschließenden Kneipenschlägerei unsanft aus den zersplitternden Fenstern befördern.
Auch sonst ist der Ton trotz hohem Bodycount und Menschenhandelsthematik sehr viel entspannter: Wo Sherlock Holmes berühmterweise seine aus Straßenkindern bestehende Baker-Street-Bande hat, um ihm bei den Ermittlungen immer wieder zu unterstützen, setzt Christian nun auf eine von seiner stummen Partnerin Justine (Allison Robertson) angeführte Truppe neurodivergenter Kids, die ihm mit ihren Hacker-Fähigkeiten jedes noch so große Problem mit einem Druck auf ihre Tastatur aus dem Weg räumen.
Und als die Szene gedreht wurde, in der die Brüder mit Camping-Stühlen auf dem Dach von Christians Wohnmobil sitzen und ein Bier zischen, war der Plan wahrscheinlich, nur ein, zwei kurze Momente aus den Dialogen in den finalen Film zu schneiden. Stattdessen dauert die Szene jetzt minutenlang – und ist eine der besten des Films! „The Accountant 2“ als ultimatives Hangout-Movie – hätten wir so nicht zwingend erwartet, ist aber unglaublich chillig…
Fazit: Ben Affleck und Jon Bernthal sind ein Buddy-Duo zum Knuddeln! Der actiongespickte Krimi-Plot bleibt hingegen vor allem Mittel zum Zweck, um den ungleichen Leinwand-Brüdern ausreichend Gelegenheit zum gechillten Kabbeln zu geben.