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    Mein Sohn
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Mein Sohn

    Anke Engelke gewohnt fantastisch – und doch ganz anders

    Von Oliver Kube

    Bei Anke Engelke denken die Älteren unter uns bestimmt sofort an ihre SAT.1-Formate wie „Die Wochenshow“, „Anke“, „Ladykracher“ und vielleicht sogar ihre kurzlebige Late-Night-Talkshow als Nachfolgerin von Harald Schmidt. Wer hingegen noch jünger als 35 ist, kennt die in Montreal geborene Kölnerin wohl primär als Cast-Mitglied der ersten beiden Staffeln des Amazon-Prime-Megahits „LOL: Last One Laughing“. Aber auch da ist sie ja ebenfalls vor allem eines, selbst wenn sie dabei nicht lachen darf: witzig!

    Dass sie auch ganz anders kann, hat Anke Engelke ebenfalls schon öfter bewiesen – etwa im „Tatort“, im Fernsehspiel „Südstadt“ oder in den Staffeln 2 und 3 der im Kalten Krieg angesiedelten Agenten-Serie „Deutschland 83“. Im Kino-Regiedebüt von Drehbuchautorin Lena Stahl („Wunderschön“) darf sie nun erstmals in einer Hauptrolle eines Kinofilms ihr offensichtlich vorhandenes dramatisches Talent präsentieren. Dabei macht sie, selbst wenn es eben gar nicht so überraschend ist, wie man zunächst vielleicht meinen könnte, eine verdammt gute Figur. Als Ganzes kann das Coming-Of-Age-Roadmovie „Mein Sohn“ mit seiner starken Hauptdarstellerin aber leider nicht komplett mithalten.

    In "Mein Sohn" liefert Anke Engelke die beste schauspielerische Leistung ihrer Karriere.

    Der 20-jährige Jason (Jonas Dassler) wohnt noch immer Zuhause. Schließlich ist es da wunderbar bequem und dazu noch umsonst. Seine Mutter Marlene (Anke Engelke) ignoriert er trotz ihrer Liebe und Fürsorge allerdings die meiste Zeit einfach. Jason ist ein leidenschaftlicher Skateboarder, trinkt gern mal ein paar Bierchen mit seinen Kumpels und macht sich ansonsten über nichts Gedanken. Nach einem schweren Verkehrsunfall wird sein Leben jedoch von einer Sekunde auf die andere auf den Kopf gestellt – selbst wenn er zunächst nicht bereit ist, das zu akzeptieren.

    Die Verletzungen sind allerdings so gravierend, dass die Ärzte ihm dringend raten, zur langfristigen Reha in eine Spezialklinik in der Schweiz zu gehen, um in Zukunft zumindest ein halbwegs normales Leben führen zu können. Doch Jason sträubt sich – er hält sich weiterhin für unverwundbar und will einfach nur wieder nach Hause. Aber dieses eine Mal setzt sich Marlene gegen ihren aufsässigen Sohn durch und besteht darauf, ihn mit ihrem klapprigen Volvo in den Süden zu fahren. Auch um sicher zu gehen, dass er wirklich dort ankommt. Der Beginn eines langen und reichlich turbulenten Trips…

    Anke Engelke in ihrer bisher besten Rolle

    Wer Anke Engelke hauptsächlich als Garantin für Schenkelklopfhumor kennt, wird von ihrem ruhigen, subtilen und geradezu elegant effizienten Spiel überrascht sein. Sie ist als leidgeprüfte Mutter so gut wie nie zuvor. Zeitweise gelingt es der Komikerin sogar, dem aufgrund seiner charismatischen Auftritte in so unterschiedlichen Werken wie „Das schweigende Klassenzimmer“ oder „Der Goldene Handschuh“ zu Recht hochgelobten Jonas Dassler die Show zu stehlen. So ist der beste, weil für Figur und Publikum befriedigendste Moment des Films gar eine ganz am Ende platzierte Soloszene, in der wir Marlene für einige Zeit allein in ihrem Auto erleben.

    Leider sind die eineinhalb Stunden davor unnötig gestreckt. Die Schwächen des Roadmovies liegen definitiv nicht in den einfühlsam geschriebenen Vier-Augen-Gesprächen beziehungsweise dem gegenseitigen Anschweigen der zwei Hauptfiguren. Ganz im Gegenteil: Diese intimen, immer authentisch wirkenden Sequenzen sind klar die Highlights des Films. Die Begegnungen mit anderen Charakteren hingegen kommen meist arg konstruiert daher. Auch erscheint vor allem die am meisten Zeit einnehmende Episode, nämlich ein Abstecher zu einer von Hannah Herzsprung gespielten, in einer Art Aussteiger-Kommune lebenden guten Freundin von Marlene – größtenteils überflüssig.

    Nicht bei allen Abstechern wird klar, wie sie den Film weiterbringen...

    Das heißt nicht, dass all diese Vignetten langweilig wären. Eine Passage um das offensichtlich bald den Geist aufgebende Auto ist etwa ebenso unterhaltsam wie die nicht ganz freiwillige Mitnahme eines Anhalters (Daniel Zillmann). Dennoch sind auch diese Intermezzi allzu offensichtlich nur Mittel zum Zweck, damit sich das voneinander entfremdete Mutter-Sohn-Gespann wieder näherkommen kann. Die Dritten sind eben einfach Katalysatoren, damit Jason und Marlene Dinge übereinander (und manchmal auch sich selbst) lernen, von denen sie ansonsten nie erfahren hätten. In Genre-Klassiker wie „Paris, Texas“, „Badlands“, „Rain Man“ oder „Thelma & Louise“ werden solche Situationen deutlich weniger plump eingestreut.

    Auch dauert es einfach unglaubwürdig lange, bis der auf sich selbst fokussierte Jason realisiert, dass sein beinahe tödlicher Unfall für Marlene ebenfalls ein traumatisches Erlebnis darstellt. Trotz des authentischen Spiels bleibt zudem im Dunkeln, weshalb Jason eigentlich so wenig Empathie gegenüber seiner Mutter aufbringt. Darüber lässt uns der Film allenfalls spekulieren. In jedem Fall macht er es uns – trotz Jasons Lage – schwer, für den jungen Mann echtes Mitgefühl aufzubringen.

    Mutter bleibt Mutter

    Natürlich ist die Mutter nicht ganz frei von Schuld an dieser dysfunktionalen, von gegenseitiger Abhängigkeit geprägten Beziehung. Aber im Gegensatz zu ihrem Sohn versucht sie wenigstens, auf die Gefühle und Wünsche ihres Sprösslings einzugehen. Als wir die beiden treffen, hat sie keine Ahnung, wer dessen Kumpels sind oder was er den ganzen Tag und vor allem die ganze Nacht lang so treibt. Nicht einmal den Namen seiner Freundin kennt sie, geschweige denn, dass sie das Mädchen schon einmal getroffen hätte. Trotzdem bedrängt sie ihn nicht über die Maßen mit Fragen. Die Situation zwischen den beiden tut Marlene weh. Aber sie versucht, ihm dennoch seinen Freiraum zu geben. Zumindest so lange, bis sie nicht mehr anders kann und doch eingreift.

    Die Zeichnung von Marlene ist Lena Stahl deutlich besser gelungen als die von Jason. Immer wenn die Regisseurin die Situation aus Sicht der Mutter beleuchtet, ist der Film berührend. Etwa als dem sonst so abweisenden Jason nichts anderes mehr übrigbleibt, als seine Mutter an sich heranzulassen - und zwar nicht nur im übertragenen, sondern auch im buchstäblich-physischen Sinne. Schließlich ist er nicht einmal mehr in der Lage, ohne Hilfestellung ihrerseits aufs Klo zu gehen. Hier kommt gut rüber, wie es Marlene einerseits schmerzt, ihn so zu sehen. Andererseits scheint sie es aber auch zu genießen, dass ihr Sohn sie eben doch noch braucht und auch er selbst diesen Umstand realisieren muss.

    Jonas braucht lange, um sich mit der neuen Situation nach dem Unfall abzufinden.

    Visuell ist der Film oft sehr nah an den Figuren dran. Während die Skateboard-Impressionen zu Beginn noch eine Art stylisch-glatten Werbefilm-Look heraufbeschwören, geht Chef-Kameramann Friede Clausz („24 Wochen“) danach mit seinem handgehaltenen Arbeitsgerät deutlich experimenteller und intuitiver, aber doch angenehm zurückhaltend zur Sache. Das illustriert auf unterschwellige Art geschickt die Emotionen der Figuren. Einfach zu viel ist indes die oft arg aufdringlich wirkende musikalische Begleitung von Angela Aux, Cico Beck und Nicolas Sierig. Mit ihren instrumentalen Passagen sowie unpassend seichten Pop-Songs tragen sie regelmäßig fast schon unangenehm dick auf.

    Fazit: Das mit allerlei Humor-Einsprengseln angereicherte Coming-Of-Age-Drama „Mein Sohn“ hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits ist das Mutter-Sohn-Roadmovie – auch dank seiner gut aufgelegten Hauptdarsteller – streckenweise sehr unterhaltsam. Andererseits wird der Film durch tonale Missgriffe sowie einen arg auffällig konstruierten Handlungsverlauf immer wieder ausgebremst.

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