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    Femme Fatale
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Femme Fatale
    Von Andreas Staben

    Kürzungen und Schnitte gehören zum Schicksal von Thrillern und Horrorfilmen. Während hierzulande immer wieder Gewaltdarstellungen beanstandet werden, sind es in anderen Ländern und Kulturkreisen eher Sex- und Nacktszenen, die Anstoß erregen. Brian De Palma hat in seiner inzwischen mehr als 40 Jahre währenden Karriere auf beiden Ebenen regelmäßig Probleme gehabt. Auf der einen Seite wurde und wird vielen Zuschauern ein explodierender Kopf in „Teufelskreis Alpha" genauso vorenthalten wie blutige Details aus „Dressed to Kill" oder „Scarface", auf der anderen Seite wiederum ist die berühmte Dusch- und Menstruationssequenz, die De Palmas Stephen-King-Verfilmung „Carrie" eröffnet, bei Fernsehausstrahlungen etwa im arabischen Raum oft nur noch ein Torso. Solche Eingriffe sind jenseits aller geschmacklichen Fragen gerade bei einem Meister der Bildkomposition wie De Palma ein künstlerischer Verlust – zumal sie manchmal auch die gesamte Konstruktion der Filme ins Wanken bringen: Wer etwa das erotisch aufgeladene Techtelmechtel zwischen der Juwelendiebin und dem Model in „Femme Fatale" unverfänglich zurechtschneidet, zerstört nicht nur den Rhythmus einer der brillantesten Einbruchs- und Diebstahlsequenzen der vergangenen Jahrzehnte, sondern greift auch entscheidend in die Erzählstruktur ein. Und das ist bei diesem meisterlich aufgebauten Erotik-Thriller von 2002, der als vorläufige Summe und absoluter Höhepunkt im Schaffen des umstrittenen Regisseurs gelten kann, eine Schande.

    Bei einer Premiere während des Filmfestivals in Cannes präsentiert das Model Veronica (Rie Rasmussen) ein millionenschweres diamantenbesetztes Schmuckstück. Eine Bande von Dieben, darunter die als Fotografin getarnte Laure Ash (Rebecca Romijn), versucht, die Edelsteine in einem ausgeklügelten Raubzug zu entwenden. Als scheinbar alles anders kommt als geplant, verschwindet Laure mit der Beute. Für die Flucht benötigt sie neue Papiere, die sie in Paris beschaffen will. Dort trifft sie auf ihre Doppelgängerin Lily (ebenfalls Romijn) und übernimmt deren Identität. Sieben Jahre später kehrt sie als Frau des amerikanischen Botschafters Watts (Peter Coyote) in die französische Hauptstadt zurück. Als es dem Fotografen Nicholas Bardo (Antonio Banderas) gelingt, eine Aufnahme von ihr zu machen, die in der Presse erscheint, heften sich die einst betrogenen Komplizen an ihre Fersen und ihre geheime Vergangenheit droht ans Licht zu kommen...

    Der Titel ist Programm, das ist hier von der ersten Einstellung an klar: Im französischen Fernsehen läuft Billy Wilders klassischer Film noir „Frau ohne Gewissen" und im Konterfei von Barbara Stanwyck auf dem Bildschirm zeichnen sich allmählich die Konturen von Rebecca Romijn ab, die rauchend auf einem Hotelbett liegt. De Palma stellt ohne Umschweife den Bezug zur Filmgeschichte her, aber er hat mehr als eine Hommage eine Revision im Sinn. Später wird er erneut einige Dialoge der hartgesottenen Phyllis Dietrichson aus Wilders zynisch-pessimistischem Thriller zitieren, aber da ahnen wir längst, dass De Palmas Protagonistin eben nicht wie Stanwycks Figur bis aufs Blut verdorben und böse ist. Und diese Ahnung wird in der Folge bestätigt, die Femme fatale bekommt ihre Menschlichkeit zurück und ein versöhnliches Schicksal sorgt für poetische Gerechtigkeit.

    Häufig musste sich De Palma den Einwand anhören, er sei ein visuell zwar hochtalentierter Filmemacher, der aber ohne Tiefgang persönliche Obsessionen auslebe und bis zum Exzess sein Vorbild Hitchcock imitiere. Dieser Befund der künstlerischen Unreife wird oft noch mit dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit garniert. Die meisten dieser Kritiker übersehen nicht nur, dass schon Hitchcock zu seiner Zeit mit vergleichbaren Reaktionen zu kämpfen hatte, was ihnen durchaus zu denken geben sollte, sondern auch und vor allem, dass De Palmas Kino hochgradig selbstreflexiv angelegt ist. So sind Thriller wie „Sisters", „Dressed to Kill" oder „Body Double" tatsächlich oft voyeuristisch, aber zugleich auch Traktate über die Schaulust. Macht und Lust stehen in De Palmas Filmen in einem komplexen Zusammenhang, in dem die Frauen entschieden mehr als nur Opfer und die Männer oft einfach machtlos sind. „Femme Fatale" macht dies noch einmal ganz klar, indem die Protagonistin, deren Vorgängerinnen in den Klassikern des Film noir stets mit dem Untergang für ihre Anmaßung zu zahlen hatten, hier eine tatsächliche Macht und das Heft des Handelns erhält. Der männliche Held dagegen ist wie einst John Travolta in „Blow Out" auch in Gestalt von Antonio Banderas ein wohlmeinender Zeuge, der von den Ereignissen mehr oder weniger überrollt wird.

    „Femme Fatale" ist also alles andere als frauenfeindlich, vielmehr ist er eine Liebeserklärung an die Frauen – dazu gehört auch, ihre Körper zu fotografieren. Das sich durch das Milchglas einer Toilettenkabine abzeichnende lesbische Liebesspiel, der Striptease im übertriebenen Kunstlicht einer Spelunke oder die in Zeitlupe zelebrierten langen Beine in Hotpants und Stiefeln mit hohem Absatz, all das ist ein Voyeurismus zweiten Grades, dem seine Inszenierung überdeutlich eingeschrieben ist. De Palma macht seine Methode wie so oft ganz deutlich und wer ihm vorwirft, seine Hauptdarstellerin nur nach dem Aussehen ausgesucht zu haben, der ist schlicht böswillig. Das ehemalige Model Rebecca Romijn („X-Men"-Trilogie, „The Punisher") besitzt natürlich etwas von dem sirenenhaften Reiz der fatalen Verführerin, aber sie ist eine ebenso starke Persönlichkeit, die auch in ihren verschiedenen Rollen und Träumen nie ihren Kern verliert und daher am Ende umso überzeugender einfach sie selbst sein kann.

    Nach der atemberaubenden Juwelenraub-Sequenz, die mit dem Einbruch in Langley aus „Mission: Impossible" durchaus mithalten kann, wechselt De Palma mehrmals virtuos die Erzählebene und beschwört durch ein Vexierspiel zwischen Traum und Realität nicht nur die erschütterten Bezugswelten des klassischen Film noir aus der orientierungslosen Nachkriegszeit herauf. Auch das Verhältnis von Kunst und Leben, von Film und Wirklichkeit wird hier indirekt hinterfragt. De Palma ist mit seinem vertrackten Entwurf ganz in seinem Element, erneut beweist er dabei, dass kaum jemand das Split-Screen-Verfahren so sinnfällig einzusetzen vermag wie er und dass lange Sequenzen ganz ohne Dialoge vor Spannung bersten können. Dabei assistiert ihm die traumhafte Musik von Ryuichi Sakamoto („Der letzte Kaiser"), die trotz Anklängen an „Bolero" und Bernard Herrmann („Vertigo") ähnlich wie der Film selbst schnell einen ganz eigenen Sog bekommt.

    De Palmas Traumwelten haben wenig mit denen eines David Lynch („Mulholland Drive") und noch weniger mit jenen von Christopher Nolan („Inception") gemein, dennoch ist auch „Femme Fatale" voller versteckter Hinweise und wiederkehrender Motive. Man achte etwa auf das überlaufende Aquarium oder auf das Wasserglas im Flugzeug, auch die Uhren sind nicht zufällig im Bild und wer genau hinsieht, kann Figuren an Orten entdecken, wo sie vielleicht gar nicht hingehören. Diese Verweisebene ist überaus genau konstruiert und macht auch das wiederholte Sehen zum anhaltenden Vergnügen. Der Bildermagier hat sich selbst übertroffen und vereint Virtuosität und Intelligenz, Affekt und Emotion in einem gerne übersehenen Meisterwerk.

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