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    Anonymus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Anonymus
    Von Christoph Petersen

    Der deutsche Hollywood-Export Roland Emmerich ist bekannt dafür, auf der Leinwand möglichst verheerende Zerstörungen anzurichten – vom Empire State Building in „Independence Day" bis hin zur ganzen Erde in „2012". Mitunter ist das ziemlich unterhaltsam („The Day After Tomorrow"), ein anderes Mal ziemlicher Mist („10.000 BC"), aber bei seinen Blockbustern gilt so gut wie immer die alte Erkenntnis: „Weniger ist mehr." Bei seinem neuen Film „Anonymus" hat der Regisseur nun auf jeglichen Zerstörungsbombast verzichtet und stattdessen in der Nähe von Berlin für ein vergleichsweise bescheidenes Budget von 30 Millionen Dollar ein Historiendrama inszeniert, das auf der provokanten These fußt, dass die Stücke von William Shakespeare gar nicht von William Shakespeare selbst geschrieben wurden. Doch auch hier gilt wieder: „Weniger ist mehr." Nur bezieht sich der Sinnspruch diesmal nicht auf überbordende Spezialeffekte, sondern auf die allzu zahlreichen Handlungsstränge und Zeitebenen, die dem Filmemacher leider immer wieder entgleiten.

    London in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: Am Hofe von Elisabeth I. (jung: Joely Richardson, alt: Vanessa Redgrave) reiht sich eine Intrige an die andere. Die engsten Berater der Königin, William Cecil (David Thewlis) und sein Sohn Robert (Edward Hogg), wollen erreichen, dass der schottische König James VI. (James Clyde) ihr auf dem Thron nachfolgt. Deshalb setzten sie alles daran, ihre Widersacher, den Graf von Sussex (Sam Reid) und den Graf von Southhampton (Xavier Samuel), am Hofe in Misskredit zu bringen. Dabei geht es auch darum, den gemeinen Pöbel auf seiner Seite zu wissen. Dieser liegt gerade dem aufstrebenden Autor und Ex-Schauspieler William Shakespeare (Rafe Spall) zu Füßen, der die Menschen mit seinen tragischen und lustigen Stücken begeistert. Was jedoch keiner weiß: Shakespeare hat die gefeierten Bühnenwerke wie „Ein Sommernachtstraum" und „Romeo und Julia" gar nicht selbst geschrieben, sondern fungiert lediglich als Mittelsmann für den Graf von Oxford (Rhys Ifans), der sich aufgrund seines adeligen Standes nicht selbst zu den Stücken bekennen darf. Schließlich entscheidet sich der Graf, seine Macht über die Massen zu nutzen, um den Pöbel gegen die Cecils aufzubringen...

    Wem diese Inhaltsangabe bereits ein wenig kompliziert erscheint, der sollte um „Anonymus" lieber einen Bogen machen, denn die hier vorgestellten Intrigen und Verstrickungen sind nur ein kurzer Abriss des komplexen Plots. Nach einem im heutigen New York angesiedelten Prolog beginnt der Film mit einer Rückblende, einer Rückblende in der Rückblende und dann einer Rückblende in der Rückblende in der Rückblende. Diese aneinandergereihten Zeitsprünge, die auch später im Film nicht viel seltener werden, erschweren dem Zuschauer das Abtauchen in die ohnehin nicht ganz leicht zu durchschauende Handlung zusätzlich. In dieser Hinsicht überrascht Roland Emmerich tatsächlich. Konnte man bei den meisten seiner früheren Filme ruhig zwischendurch mal eine kleine Pause machen, ohne dass man den roten Faden verloren hätte, gilt es nun, 130 Minuten lang aufzupassen wie ein Schießhund. Wer den Durchblick bei den ineinander verwobenen Zeitebenen und den vielen nur grob angerissenen Nebenfiguren nicht verlieren will, der sollte sich den Gang zur Toilette also lieber sparen...

    Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die üblichen höfischen Intrigen eher auf Sparflamme köcheln zu lassen und sich stattdessen stärker auf das größte Plus des Films zu konzentrieren. Die These vom falschen Autor William Shakespeare, der lediglich als Fassade für einen adeligen Stückeschreiber fungiert, ist nämlich nicht nur ziemlich spannend, sondern auch alles andere als eine abwegige Verschwörungstheorie. Schließlich gibt es allerlei Indizien, die gegen die Autorenschaft Shakespeares sprechen (zum Beispiel soll er Analphabet gewesen sein), weshalb sich in der Vergangenheit auch solche geistigen Größen wie Mark Twain, Charles Dickens, Orson Welles oder Sigmund Freud öffentlich als Zweifler geoutet haben (alles weitere zur verzwickten Autorenfrage könnt ihr in unserem Bericht vom Set nachlesen).

    „Anonymus" ist immer dann am besten, wenn sich der einfältige Schauspieler William Shakespeare für seine nicht selbstverfassten Stücke vom Publikum wie ein historischer Rockstar feiern lässt, während sich der Graf von Oxford auf den Zuschauerrängen windet, weil er nicht zu seiner eigenen Poesie stehen darf. Da setzt Rhys Ifans (unvergessen als Hugh Grants Mitbewohner in „Notting Hill") als wahrer Autor der berühmten Stücke auch die darstellerischen Glanzlichter und wandelt sich im Laufe des Films ganz langsam und fast unbemerkt vom selbstbewussten jungen Spund zum gebeutelten alten Mann. Von dieser Dynamik hätten wir gerne mehr gesehen und dafür lieber auf das ein oder andere höfische Ränkespiel verzichtet, zumal bei dem ständigen Hin und Her auch die Dramatik irgendwann auf der Strecke bleibt.

    Neben dem herausragenden Ifans warten auch weitere Mitglieder der mit einigen Shakespeare-Bühnengrößen gespickten Besetzung mit beeindruckenden Leistungen auf. Oscar-Preisträgerin Vanessa Redgrave („Coriolanus") und ihre Tochter Joely Richardson („Nip/Tuck") als die alte und junge Queen Elisabeth stimmen ihr Spiel erstaunlich exakt aufeinander ab, an die Intensität der Darstellung von Cate Blanchett in „Elizabeth" und der Fortsetzung „Elizabeth: Das goldene Königreich" kommen sie aber dennoch nicht heran. Und während David Thewlis („Harry Potter und die Heiligtümer des Todes") als Bösewicht enttäuschend blass bleibt, hätten wir von dem hierzulande noch unbekannten Briten Rafe Spall („Hot Fuzz") gerne mehr gesehen. Sicherlich werden ihm Puristen seine Interpretation von William Shakespeare als kleingeistiger und geldgeiler Möchtegern-Popstar ziemlich übel nehmen, aber einem aufgeschlossenen Publikum dürften seine großspurigen Auftritte dafür umso größeren Spaß bereiten.

    Fazit: Vertracktes Historiendrama für Fans von „Die Tudors" & Co., das zwar mit einer provokanten These über einen falschen Shakespeare punktet, aber von Regisseur Roland Emmerich allzu umständlich aufgerollt wird.

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